Beyoncé, Frankfurt am Main, 2023 © Parkwood
Beyoncé, Frankfurt am Main, 2023 © Parkwood

Glitzerwelt aus tausend Schichten

Beyoncé zeigte bei ihrem ausverkauften Stadionkonzert am Samstag, dem 24. Juni 2023 in Frankfurt am Main, dass Freiheit und Selbstbestimmung für sie nur mit konzeptioneller Schärfe, musikalischer Präzision und struktureller Strenge möglich sind. Ihr Konzert geriet damit zum Triumpf.

Bereits auf ihrem im Juli 2022 erschienenen Album »Renaissance«, dem Beyoncé die aktuelle Tour widmete, war ihr Ansatz abzulesen: Sie habe, so schrieb sie damals, einen Ort der Freiheit erschaffen wollen, an dem Perfektion und andere Leistungskategorien wenig Rolle spielten. Dass die Platte zugleich musikalisch zu ihrem bisher komplexesten und experimentellsten Werk mit unzähligen Soundschichten und Harmonien geriet, erschien fast als ein Widerspruch. 

Sie meinte und meint es wohl so: Nur mit größtmöglicher Imagination und musikalischer Entschlossenheit lässt sich diese beschriebene und herbeigesehnte, fast utopisch anmutende Welt erschaffen. Je präziser der Entwurf ist, je klarer die Intention, je deutlicher der Anspruch und das Ziel formuliert, desto bunter, schillernder und freier ist der dadurch hervorgebrachte Raum. Das alles erfordert höchste Leistung und eiserne Disziplin. 

Vom Album zur Bühnenwelt 

Bisher hatte sich diese nur auf den ersten Blick widersprüchliche Haltung künstlerisch vor allem auf ihrem Album manifestiert. Visuals, also eine begleitende visuelle Erzählung zu den einzelnen Liedern, hatte sie bis dahin, abgesehen von ein paar kleinen Andeutungen, gänzlich vermieden. Auch die Intention dahinter wurde bei ihrem Konzert endlich klar: Die Welt, die sie auf »Renaissance« musikalisch grundlegte und akustisch ausmalte, sollte in voller, plastischer Pracht erst auf der Bühne vollends sichtbar werden.

Und das tat sie tatsächlich – mit der gewohnten strukturellen Strenge und der bereits vorauszuahnenden Präzision und Klarheit. Das knapp zweieinhalb Stunden dauernde Konzert rückte dabei die Struktur in den Vordergrund. In sechs Kapiteln staffierten Beyoncé und ihr Team die »Renaissance«-Welt mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln aus. Es gab dafür einen Opening Act, die Renaissance, die Kapitel »Motherboard«, »Opulence«, »Anointed« und zuletzt noch »Mind Control«. 

Es war somit deutlich mehr als ein Konzert, denn die Songs standen im Dienst der Sache. Sie hatten Inhalt für die bereitgestellte Form zu sein. Bloße Aneinanderreihung sogenannter Hits, derer gab es beim Konzert so gut wie gar nicht, genauso wenig wie die Option zum künstlerischen Selbstausdruck. Die Lieder, ein sehr großer Teil davon stammte aus dem aktuellen Album, wurden dafür geformt, zum Teil neu arrangiert, in neue Zusammenhänge gestellt oder auch nur fragmentarisch in Mash-up-Verfahren in das Set integriert. 

Beyoncé, Frankfurt am Main, 2023 © Parkwood

Eröffnung als eigener Opening-Act 

Beyoncé eröffnete diesen Reigen mit dem Destiny’s Child Song »Dangerously in Love« und ließ diesem Lied fünf weitere balladeske Stücke folgen. Erste dann ging es weiter in die Renaissance. Dass Beyoncé also ihr eigener Opening-Act war, durfte lange und ausführlich gedeutet werden. Es war aber eher weniger Pragmatismus als vielmehr ein deutliches Statement: Die gefühlige, stimmakrobatische Beyoncé war zwar noch immer da, aber veränderte sich stark durch ihre Wiedergeburt und den Übergang in den zweiten Akt.

Für diesen war auch die hochmusikalisch agierende Band verschwunden. Es dominierten die harten Beats, die Elektronik, etwa bei »Cozy« oder »Alien Superstar«. Die Türe zum besagten neuen Raum, in dem bereits Platz gemacht wurde für Experimente und unbändige Abenteuerlust, war damit weit aufgestoßen. 

Hinter der glamourösen Welt des Superstars Beyoncé, die sie in ihren ersten Songs selbst zelebriert hatte oder zumindest noch einmal erstehen ließ, zeigte sich eine glitzernde, aufregende Welt der unendlichen Möglichkeiten. Dort waren Genregrenzen weitestgehend außer Kraft gesetzt, Geschlechterrollen so offen wie nur irgendwie möglich und ganz generell eine Welt etabliert, in der anmaßende Urteile obsolet sind.

Dafür schöpfte Beyoncé aus dem Vollen: Tänzerinnen und Tänzer wirbelten atemlos über die Bühne, Visuals zeigten sie mal als Androidin, mal als Stilikone oder als eine Art mystische Gottheit, die aufwändigen Kostüme wurden für jedes Kapital gewechselt und am Ende stand die Euphorie-Klimax, als Beyoncé mit glitzerndem Disco-Pferd über das Publikum schwebte. 

Eine ganze, neu zusammengesetzte Welt 

Nicht nur diese Szene, klar eine Anlehnung an Bianca Jagger, die 1977 im berühmten Studio 54 in New York City auf einem weißen Pferd einritt, sondern auch andere Facetten machten klar, dass diese utopische und zugleich für die Zeit des Konzertes doch verortete Welt nicht aus dem Nichts erschaffen wurde. 

Es waren kulturelle Zitate, Bezüge, Referenzen, die sie Stück für Stück entstehen ließen. Die Stärke dabei war die Bereitschaft von Beyoncé und ihren Kollaborateur*innen, dass sie diese gewissermaßen verwandelten Anlehnungen frisch erscheinen ließen. In dieser sowohl kompilatorischen als auch musikalischen Arbeit gab es kreative Reibeflächen, das Neue entstand aus dem Wagnis der Übergänge ineinander. 

Nach der Zugabe »Summer Renaissance« hatte man eigentlich genug gesehen, gehört, erlebt, gefühlt. So viele Zitate, so viele Anspielungen und so viel Schönheit und Freiheit zu interpretieren oder auch einfach nur zu genießen gehabt. Dennoch wollte man fast instinktiv mehr: Noch mehr Überforderung, noch mehr Opulenz. 

Doch zuletzt machte sich auch die Erschöpfung breit. Staunen setzte im Anschluss ein – und die Gewissheit, ein Konzert erlebt zu haben, welches eine bloße Behauptung, nämlich aus tausend Bemühungen und tausenden Schichten eine neue Welt zu erschaffen, tatsächlich in die Tat umgesetzt hatte. Eine Welt, die trotz der Anstrengungen ihrer Erschaffung federleicht und von Sorglosigkeit getragen wirkte. 

Home / Musik / Konzert

Text
Markus Stegmayr

Veröffentlichung
28.06.2023

Schlagwörter

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