Marija Aljochina (rechts) und Olga Borisova (links) posierten auf ihrem Tourbus-Anhänger © Markus Stegmayr
Marija Aljochina (rechts) und Olga Borisova (links) posierten auf ihrem Tourbus-Anhänger © Markus Stegmayr

Lebenslust trotz Höllenqualen

Pussy Riot spielten am 15. Mai 2022 ihr einziges Österreich-Konzert in der beschaulichen Tiroler Gemeinde St. Johann. Mit ihrer Performance von »Riot Days« brachte das Kollektiv in Quartettform, angeführt von Marija Aljochina, vornehmlich deren Lebens-, Leidens- und Fluchtgeschichte auf die Bühne.

Dass dieses multimediale Happening in St. Johann in Tirol, einem Ort im Tiroler Unterland mit knapp unter 10.000 Einwohnern, über die Bühne geht, war kein Zufall. Denn dort hat Hans Oberlechner nicht nur das Free-Jazz-Festival Artacts aufgebaut, sondern sich auch über das Jahr kritische und offene Hörer*innen heranerzogen. Dass das Konzert von Pussy Riot so große Wellen schlägt, hatte er trotz seines kulturellen Weitblickes nicht vorhergesehen. Ursprünglich hätte dieses Ereignis nämlich schon 2021 und damit lange vor dem Ukraine-Angriffskrieg und erst recht lange vor der spektakulären Flucht von Aljochina aus Russland stattfinden sollen. So kam es aber, dass an einem sommerlichen Sonntagnachmittag zahlreiche Journalist*innen und einige Schaulustige die Ankunft von Pussy Riot erwarteten. Die Band kam schließlich, Tourmanager Sascha als Vorhut, in einem alten Auto mit russischem Kennzeichen, deutlich später als kolportiert und einigermaßen müde und gezeichnet an. Dennoch ließen sich vor allem Olga Borisova und Marija Aljochina zum Posen hinreißen.

Lautstärke und Inszenierung

Das mag Teil der Gesamtinszenierung rund um Pussy Riot sein. Im Gespräch weist die Pussy-Riot-Frontfrau nämlich darauf hin, dass sie beschlossen habe, genug im Gefängnis gesessen zu sein, und auch der Hausarrest unerträglich geworden sei. »Ich wollte bewusst auf diese Tour gehen und auf die Ukraine-Situation möglichst lautstark hinweisen«, streicht sie heraus. Sie nahm also ihr Leben wieder bewusst in die eigene Hand. »Die elektronischen Fußfesseln habe ich mit einer Schere entfernt«, gibt sie zu Protokoll. Es sei schließlich »ihr Leben« und diese Tour, Pussy Riot und deren Anliegen ein zentraler und wichtiger Teil davon. Lautstärke ist dabei also wohl nicht nur wortwörtlich zu nehmen und auf die tatsächlich hohe Dezibelzahl vor Ort in der Konzertlocation zu beziehen, sondern darauf, dass die Pussy-Riot-Aktivist*innen möglichst große Resonanz erzeugen wollen. Sie tun es offenkundig mit Posen, die auf Knopfdruck »on point« sind, mit Interviews, die die Situation auf drastische und plastische Weise schildern, und mit Musik, die nicht zimperlich mit ihrer Wahl der Mittel daherkommt.

Harte Beats, Spoken-Word und Körpereinsatz

Die Beats und elektronischen Sounds sind jedenfalls meist eher grobschlächtig und auf die größtmögliche Wirkung auf das Publikum ausgelegt. Thematisch stehen bei den Videozuspielungen zudem Putin und sein verbrecherisches Regime im Zentrum, durchmengt mit schockierenden Erzählungen aus dem Straflager und feministischen Parolen. Das Quartett, bestehend aus Marija Aljochina, Diana Burkot, Olga Borisova und Anton Ponomarev, lässt in der knapp 60-minütigen und durchkomponierten Performance keinen Zweifel daran, wo diese unweigerlich hinführen wollte: zur Hölle auf Erden, zur Tortur, zum Grauen. So wälzen sich die Bühnen-Performer*innen zum Schluss auch auf dem Boden, begleitet von infernalischen Schreien. Und doch klingt sie immer wieder durch, auch hier: die unbändige Lust zu leben, Wut herauszuschreien und weiterzumachen. So laut wie möglich.

Live gab sich das Kollektiv in Quartettform infernalisch und brachial © Markus Stegmayr
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