Elzbieta Sikora
Elzbieta Sikora

Im Matratzenlager der Moderne

Die spinnen, die Polen. Vor allem, wenn es um Musik geht. Eine kurze Vorstellung des polnischen Labels Bôlt Records anlässlich bienenfleißiger Tätigkeit.

Es herrscht in Polen nicht gerade Verlegenheit, wenn es um Musik und die dazugehörigen Labels geht. Insbesondere was moderne Klassik und improvised music betrifft, sind die Polen eine Weltmacht. Da schillern uns Namen wie Karol Szymanowski, Krzysztof Penderecki, Witold Lutoslawski, Henryk Górecki entgegen, in der Jazzecke auch Urszula Dudziak, Krzysztof Komeda oder der Trompeter Tomasz Stanko. Und das sind nur einige weltbekannte Namen. Unter der Schirmherrschaft des international agierenden Labels Monotype Records gibt es seit gut zwei Jahren das Label Bôlt Records, das nach behutsamem Beginn nun praktisch monatlich neue Tonträger veröffentlicht. Besonders schrill geht es dabei in der »Populista«-Reihe zu, die wir bereits an anderer Stelle portraitiert haben.

Blanc et Rouge

bec.jpgGrundsätzlich zeichnet sich im Bôlt-Programm mittlerweile ein wohldurchdachter Spagat zwischen Klassikern der polnischen Moderne und Nachwuchstalenten ab. So wird auf der Dreifach-CD »Blanc et Rouge« (Various Artists) der polnischen Musik unter dem Einfluss der bis 1989 bestehenden Volksrepublik gehuldigt. Vor allem die Verhängung und Legalisierung des Kriegsrechts nach der Revolution 1980 wird im beiliegenden Booklet als wesentlicher Einschnitt beschrieben, der die polnische Avantgarde noch stärker als zuvor politisierte. Schon 1979, offenbar in Erwartung des Kommenden, das dann noch neun Jahre auf sich warten ließ, komponierte Elzbieta Sikora eine »Rhapsody for the Death of the Republic«. Was hier, aus dem Kontext heraus verstanden, verwundern darf, ist die schonungslose Ansage. Selbst in unseren Breiten hätte eine derart betitelte Komposition wohl Aufmerksamkeit erregt. Aber offenbar durfte sich die polnische Musik mehr herausnehmen als irgendwo sonst im ehemaligen »Ostblock« – aufgrund der enormen Popularität und Wertschätzung in der Bevölkerung. Der Preis dafür war (im günstigsten Fall vermutlich) die völlige Ignoranz seitens der Obrigkeit oder mit anderen Worten: ein Totschweigen. Umso expliziter gingen viele Komponisten ans Werk, was sich an den Thematiken und auch an der Verwendung von Sprache und naturalistischen Elementen zeigt. Es konnte der polnischen Avantgarde gar nicht nah genug an der Realität sein. So komponierte Krzystof Penderecki 1964 ein Stück namens »Death Brigade«, das sich in Wort und Ton einer Vergangenheitsbewältigung widmete, die in der Sowjetunion ja lange Zeit völlig ausblieb. Auch Eugeniusz Rudniks bewegendes Stück »Elegy to the Victims of War« steht in dieser Tradition, während sein 1989 komponiertes »Guillotine DG« aus heutiger Sicht ein Kippen in den blanken Zynismus (samt eingesprungenem, französischen Chanson) ist. »Blanc et Rouge« muss man als zeitgeschichtliches Dokument hören, aber eben auch als wesentlichen Nachtrag in den Katalog der modernen Klassik. Viele der hier versammelten Stücke sind an sich hörenswert, aber ergänzt um den historischen und inhaltlichen Konnex bleibt der geneigten HörerIn mitunter die Spucke weg.

Kassettensymphonien

br1013_cover.jpgDrei weitere Bôlt-CDs widmen sich der zeitgenössischen Moderne in Polen. Eine indirekte Brücke ins Jetzt schlägt etwa die CD »Et Vidi Caelum Novum« von Cornelia Dan Georgescu, auf der sich mustergültige Einspielungen komponierter Werke aus den Jahren 1982, 1996 und 2007 finden. Indirekt ist diese Brücke, weil Georgescu natürlich nicht Pole, sondern Rumäne ist. Dennoch lassen hier Penderecki und Górecki durchaus grüßen, auch ein Hauch von La Monte Young und Harrison Birtwistle ist hörbar. Wer nicht auf allermodernste Modernität Wert legt, sondern auch mit dem Schlagen von Brücken (in Richtung einer »traditionellen Moderne« etwa) glücklich werden kann, hört in das Titelstück hinein … und wird damit garantiert nicht enttäuscht. Apropos zeitgemäß: Dort ungefähr sind wir bei der CD »Report« von Slawomir Kupczak. Kupczak verknüpft ein zweistimmiges Textlibretto mit laptopgenerierten Sounds, was mitunter wie ein von Elektropiraten geentertes Hörspiel wirkt. Auch dieser Zugang schlägt also, wie wir gehört haben, eine Brücke zur jüngeren polnischen Avantgarde. Und ebenso tun das Sultan Hagavik mit ihren »9 Symphonies«, nur auf weitaus extremere Weise. Denn die beiden Sultane Mikolaj Laskowski und Jacek Sotomski nutzen als Instrumente vier Kassettenrekorder. Auch hier wird also Textmaterial (unter anderem) verwendet, auch hier ist der Zugang naturalistisch, aber das Resultat ist ein Bastard aus field recordings, Elektronengewitter und vierspurigem Soundtornado, der genüsslich zwischen Hörattacke und ironischem Augenzwinkern balanciert. IKEA-Junkies wissen es natürlich: Sultan Hagavik schimpft sich eine Matratze im schwedischen Möbelhaussortiment. Ein böser Scherz also, man sollte die Herren Laskowski und Sotomski an den Ohren ziehen dafür. Stattdessen aber ziehen sie gehörig an unseren Ohren mit ihrer Kassettenrecorderattacke. Gut so!

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