Phaedra: »the sea«
Phaedra: »the sea«

Es raschelt in Norwegen

Schrill und trotzdem unterkühlt, überraschend und gewitzt. Die Acts auf Rune  Grammofon schöpfen mit Verve aus der Musikgeschichte.

Ganz und gar dem künstlerischen Schaffen des eigenen Heimatlandes verschrieben hat sich das norwegische Label Rune Grammofon. Man wolle das »kreative und abenteuerliche« Musikschaffen in Norwegen fördern, betonen die Labelbetreiber, die mittlerweile auf über 100 Veröffentlichungen zurückblicken können (übrigens alle in einheitlichem Design, für das ein gewisser Kim Hiorthøy verantwortlich zeichnet). Es raschelt also kräftig in der norwegischen Musik – höchste Zeit, mal reinzuhören.

Phaedra: »the sea«
Dieser Silberling vom norwegischen Kollektiv Phaedra entpuppt sich als lupenreiner Nordic Folk, sehr atmosphärisch und vielleicht eine Spur zu klassisch in Szene gesetzt. Die tiefe Stimme der Sängerin Ingvild Langgård streunt irgendwo zwischen Björk und (der eher Jazzfreunden bestens bekannten) Karin Krog umher. Sehr stimmig hört sich das an, aber es sind vor allem die Vocals mit ihrem unterkühlten – eben typisch nordischen – Timbre, die vor allem hängen bleiben.

rcd-2109-the-last-hurrah-spiritual-non-believers_1.jpgThe Last Hurrah!!!: »spiritual non believers«

Ein psychedelisches Folkpopmonster fällt ins Haus, überbordend und verspielt, endlos mäandernd. Auf bloß drei Takes bringt es die CD, die ein wenig wirkt, als hätte Ovid seine Metamorphosen mit einem Kollektiv norwegischer Musiker vertont, selbige haben aber im San Francisco der frühen 1970er ihren Zug verpasst. Also sitzt man out of time and space zwischen allen Stühlen. Am ehesten kann man sich das als Wunschhochzeit zwischen der guten Joanna Newsome und dem späten Jim O’Rourke vorstellen. Eine irrwitzige Sache also – trotzdem (und gerade deswegen!) herrlich anzuhören.

Jenny Hval: »viscera«
jenny.jpgWeitaus ruhiger und reduzierter gibt sich »viscera« von Jenny Hval. Hier verschlägt es uns stimmungsmäßig teilweise völlig in arktische Tiefen, was erneut am kühlen Timbre der Sängerin liegt. Zwischendurch bricht das Eis, wir schwimmen auf den Schollen zwischen spoken word performances, astreinem Folk und poppigen Avancen. Dass die gute Dame bereits für den Norwegischen Grammy nominiert wurde, ist weniger überraschend als die Tatsache, dass es überhaupt einen norwegischen Grammy gibt ;-). Auf »milk of marrow« lächelt uns dann sogar eine vage Erinnerung an Sinead O’Connor an … so stehen die Dinge also! Aber wer damit kann, wird mit »viscera« definitiv glücklich.

Jono El Grande: »phantom stimulance«
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Endgültig absurd wird es auf »phantom stimulance« von Jono El Grande. Der Klappentext verrät uns, dass es sich um eine Kompilation von überarbeiteten (und neu betitelten) Kompositionen anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Band handelt. Gut, kein Problem, wir haben von Jono El Grande ohnehin noch nie einen Ton gehört. Aber wir kennen Frank Zappa, insbesondere jenen Zappa, der uns mit »The Grand Wazoo« und Co. den feinsten Jazzrock ever geschenkt hat. Und, ja, ungefähr so klingt auch »phantom stimulance«, moderner und verspielter zwar – man kann ruhig auch experimenteller sagen, aber eben doch: Mama, das ist ja Jazzrock! Die spinnen, die Norweger! Im positiven Sinne natürlich.

Ein Fazit? Unbedingt! Schrill und trotzdem unterkühlt, überraschend und gewitzt ist das, was sich in Norwegen tut. Die neue, die moderne, die zukunftsweisende Musik wird zwar nicht unbedingt erfunden, aber man hat viel Spaß damit, aus dem Vollen der Musikgeschichte zu schöpfen. Eine nachdrückliche Empfehlung, die eigenen Ohren auf Erkundungsreise in den hohen Norden zu schicken und im Werkkatalog von Rune Grammofon zu stöbern.

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