Zucker (c) Euphorie
Zucker (c) Euphorie

Die Neue Verkrampfung – Deutscher Diskursrock

Wehleidig, glatt, einverstanden: Indie-Rock aus Deutschland war in den letzten Jahren oft eine wenig spannende Angelegenheit. Seit einiger Zeit aber machen wieder mehr und mehr Bands Sound mit Message und deutlichen Kanten. Gruppen wie Die Nerven, Messer, Candelilla, Trümmer und Zucker knüpfen damit an den lautstarken Antigemütlichkeits-Diskursrock der 1990er an.

Da wütet ein »War on Terror«, der nur zu immer noch mehr Leid führt, weltweit flüchten Menschen vor Krieg und Armut, das internationale Finanzsystem fällt in sich zusammen, und ein angeblich geläutertes Deutschland fährt einen immer erbarmungsloseren Kurs der wirtschaftlichen Vormachtstellung in Europa und der Welt. Und was machen deutsche, sogenannte Indie-Bands? Die singen von der »Schönheit der Chance« und davon, dass sie »den Kaffee für dich warm« halten.
Ist ja nichts einzuwenden gegen Lieder, die auch mal das Leben und die Liebe feiern. Bloß kamen und kommen Bands wie Tomte, Kettcar oder OK Kid dabei immer ein ganzes Stück zu geschmeidig und anbiedernd rüber. Und das, obwohl sie ihren Sound »Indie-Rock« oder »Indie-Pop« nennen und ihre Alben zum Teil auch auf Independent-Labels veröffentlichen. Auf der Strecke geblieben sind allerdings die Ideale des Indie-Pop/-Rock der 1980er und 1990er: Do it yourself hat nichts mehr mit Gegenkultur zu tun, ist nur noch die bessere Marktstrategie. Obwohl diese Bands auf Deutsch singen und mit Sicherheit früher Tocotronic-CDs in ihren Jugendzimmern herumliegen hatten, ist da wohl ziemlich was schiefgelaufen bei der Ûbertragung des deutschsprachigen Diskursrock à la Blumfeld, Sterne oder eben Tocotronic auf die nächste Generation.
Irgendwie schien es, als würde das ewig so bleiben. Als wären ein paar in Würde gealterte Bands und wenige junge, oft österreichische Gruppen das einzige, was man noch ohne Schamgefühle hören konnte an deutschsprachiger Popmusik. In etwa seit der Jahrzehntwende treten jetzt aber doch wieder zusehends Bands auf den Plan, für die »Indie« nicht nur ein Genre, sondern auch eine Haltung ist. Bands, die krachige Songs spielen und zornige Texte schreiben. Bands, bei denen die Welt alles andere als okay ist und nicht am eigenen Bauchnabel aufhört. Bands, die mehr von Musik wollen als nur einen schönen Abend.

Nenn es nicht schon wieder Hamburger Schule

Diese Bands heißen Die Nerven, Messer, Candelilla, Trümmer, Bessere Zeiten, 206, Zucker, Der Ringer und Karies. Einige haben schon ihr drittes Album draußen, andere gerade einmal die ersten Songs. Sie spielen fast alle dunkle Gitarren, schwere Bässe und scheppernde Schlagzeuge, erinnern oft an britischen Post-Punk und amerikanischen Indie-Rock und singen fast ausnahmslos auf Deutsch, lediglich Candelilla nehmen zur Hälfte auch die englische Sprache her.
messer.jpgKlingt schwer nach Hamburger Schule? Ist auch ein bisschen so: Denn im Gegensatz zu Tomte und Co. betonen diese Bands sowohl musikalisch wie textlich wieder die sinisteren, disharmonischen und unbequemen Seiten des Lebens. Und sie begreifen Musik als Mittel, sich in gesellschaftliche Diskurse einzumischen und Menschen aufzurütteln. Wenn sie von privaten Befindlichkeiten erzählen, hat das nie etwas mit Selbstmitleid, sondern immer mit den Verhältnissen, zumindest aber mit Wut oder Verzweiflung zu tun. Das führt dann sogar dazu, dass Trümmer in einem Video als Verkörperung der Goldenen Zitronen auftreten und Tocotronic in einem anderen als Die Nerven erscheinen. Aber dann hat es doch wieder kaum damit zu tun: Die jüngeren Bands können noch weniger mit dem Begriff »Hamburger Schule« anfangen als die der Neunziger. Und das einerseits, weil zwar Bessere Zeiten, Trümmer, Zucker und Der Ringer aus Hamburg, Messer aber aus Münster, Candelilla aus München, Die Nerven aus Stuttgart und 206 aus Halle kommen. Schon deshalb reden auch sie lieber von Diskursrock. Vor allem aber haben alle Bands neben Diskursrock immer noch andere Referenzen parat: Riot Grrrlism im Fall von Zucker zum Beispiel, Hardcore bei Candelilla, Indie-Rock bei Trümmer, Post-Punk und New Wave bei den Nerven und Messer.

Gleiche Haltung, anderer Sound

Die Nerven klingen durchwegs wohlüberlegt und gut produziert, spielen ihre Alben aber am liebsten in nur zwei, drei Tagen ein. Düstere Regenwetter-Gitarren, angeschlagen mit stoischer Unerbittlichkeit, verbreiten eine faszinierend kaputte Grundstimmung. Joy Division und Fehlfarben könnten ältere Fixpunkte sein, Kolossale Jugend und Mutter neuere. Nerven-Sänger Max Rieger denkt gar nicht daran, diesen Eindruck zu trüben: mit oftmals zittriger Stimme intoniert er kühl nihilistische Mantras und Schreie nach einem kompromissloseren Leben.
Zucker hingegen baden in Lo-Fi und Dilettantismus. Da zanken sich brennende Gitarren mit stümperhaft geschlagenen Becken, dann zappeln fiepende Kindersynthesizer mit krachigen Billig-Drumcomputern um die Wette. Ein kribbeliger Sound, der im gleichen Moment an Riot Grrrlism und (frühe) NDW erinnert. Dazu singen, oder besser: skandieren Christin Elmar Schalko und Pola Lia Schulten mal abwechselnd und mal zusammen sprunghafte, assoziative, Cut-up-artige Texte. Klingt im ersten Moment herrlich verspielt, stellt sich bei genauerem Zuhören aber als Inszenierung gelangweilter Aufgekratztheit heraus.
Ganz anders Trümmer: Hier ist die Musik so wenig dilettantisch wie die Texte sprunghaft. Trotz der zeitweise schrammeligen Gitarre, dem dunklen Bass und dem leicht punkigen Schlagzeug verbreitet der Sound der drei jungen Männer jede Menge Pop-Appeal. Sänger Paul Pötsch singt mal verraucht, mal zärtlich, aber immer in einer klaren Sprache von der Langeweile der durchgentrifizierten Stadt und der Lethargie der in ihr lebenden Menschen, aber auch von Liebe – und von Widersprüchen: »Ich will alles bekämpfen / und steh mir selbst im Weg«, heißt es programmatisch in der Nummer »1000. Kippe«. Eine jeweils ganz eigene künstlerische Herangehensweise also, die wie diese drei alle Gruppen haben.

Split-Singles und Tresengespräche

Gemeinsam mit anderen Bands aus dem weiteren Umfeld brachten Trümmer und Co. dieses Jahr den Sampler »Keine Bewegung« heraus. Natürlich schwang da ein wenig Koketterie im Titelnamen mit, aber auch die Besorgnis der Bands, zu einer Bewegung abgestempelt und ab sofort über einen Kamm geschert zu werden. Mittlerweile ist freilich klar, dass mit dem Titel vor allem die allgemeine Lethargie gemeint war, gegen die diese Compilation ein erstes Zeichen setzen sollte.
Denn die meisten Bands haben kein Problem damit, von einer Szene zu sprechen. Fast alle erzählen auch von Freundschaften. Freundschaften, aus denen sich dann eben Split-Singles und -Kassetten, gemeinsame Auftritte und Touren, DJ-Abende zu zweit und Tresengespräche zu sechst ergeben. Und schließlich schweißt die Abgrenzung zusammen: »Ich glaube, dass viele Musiker nicht mehr so Bock auf Happy Indie haben«, sagt Messer-Frontmann Hendrik Otremba im Interview mit »laut.de«. Und Trümmer-Sänger Paul Pötsch ergänzt im Gespräch mit skug: »Ich hatte in den letzten Jahren sehr den Eindruck, dass man sich in eine Privatheit flüchtet. Das fand ich sehr unangenehm.«

Retro mit Konsequenz
candelilla.jpgSo zeitgemäß die Haltung und die Themen dieser Szene sind: musikalisch bewegt sie sich in durchwegs bekannten Bahnen. Fast alle Gruppen spielen in klassischer Gitarre-Bass- Schlagzeug-Besetzung, nur bei Candelilla gehört ein Klavier, nur bei Zucker ein Synthie zum Signature-Sound. Den Retrovorwurf müssen sich diese Bands also genauso anhören wie 98 Prozent der restlichen zeitgenössischen Popmusik.
Angesichts der heutzutage fast selbstverständlichen Verschmelzung von akustischen und elektrischen mit elektronischen Klängen wirkt dieser Rekurs auf die Gitarre und die dazugehörige rebellische Pose sogar regelrecht konservativ. Angesichts der unzähligen wirklich puristischen Retro-Bands dieser Tage aber auch wieder nicht. Weder Trümmer noch Candelilla, noch eine der anderen Gruppen verfolgen die Absicht, irgendeinen Sound originalgetreu zu reproduzieren.
Dazu kommt, dass der Rückgriff auf ältere Bands und Stile hier mit einem Rückgriff auf die dazugehörigen Haltungen und Ideale einhergeht, sei es der DIY-Gedanke oder die Protesthaltung gegenüber dem gesellschaftlichen Mainstream. Lediglich die prekäre finanzielle Lage hat manchmal zu früher undenkbaren (oder unmöglichen) Kompromissen geführt: So haben Candelilla und Messer zeitweise Subventionen von der Initiative Musik der Deutschen Bundesregierung bezogen.

Zurück zu einer Ästhetik der Verkrampfung
Anders als beim Garage Rock- oder Psychedelic-Revival der letzten Jahre steht der Rekurs einerseits auf Post-Punk, New Wave, Hardcore und frühe NDW sowie andererseits auf den Diskursrock der 1990er nicht im Verdacht, ein Rekurs auf die radiotaugliche Seite der Popmusik zu sein. Im Gegenteil: Fast wirkt es so, als hätten die Bands das Plädoyer »Für eine Ästhetik der Verkrampfung « des skug-Kollegen Frank Apunkt Schneider ernst genommen. Darin lobt Schneider das »Reeducation«-Programm der westalliierten Besatzungsmacht namens Popmusik. Denn es sei dem Einfluss britischer und US-amerikanischer Soldatensender und Bands zu verdanken, dass in Deutschland überhaupt spannende, antiautoritäre und antinationale, im guten Sinn »verkrampfte« Musik entstehen konnte.
Verbindungslinien »verkrampfter« Musik lassen sich von deutschem Punkrock anno 1978 über die Neue Deutsche Welle der frühen 1980er bis zum Diskursrock der 1990er ziehen – jetzt eben auch bis in die erste Hälfte der 2010er Jahre. Natürlich gab es auch in den Jahren dazwischen nicht nur Tomte, Kettcar und OK Kid, nicht nur Sportfreunde Stiller, Juli oder Silbermond. Zum einen machten und machen zumindest einige der alten Diskursrock- Bands weiter, darunter Tocotronic, die Sterne, die Goldenen Zitronen und Mutter. Zum anderen gab und gibt es Bands wie Ja, Panik, Gustav, Kreisky oder 1000 Robota, die schon Ende der Nullerjahre zeigten, was in Sachen Verkrampfung alles gehen kann.
Aber wer sagt denn, dass Trennlinien scharf sein müssen. Allein eine Unterscheidung nach Länder- und Sprachgrenzen ist ja einigermaßen realitätsfremd, in geringerem Maß natürlich die nach Genres und Szenen ebenfalls. Und doch ist nicht alles gleich, nicht alles egal: Schließlich gab es lange nicht mehr so viele textlich und musikalisch »verkrampfte« Gitarrenbands, die zwar auf Deutsch, aber nicht deutschtümelnd singen, und die sich trotz aller Unterschiede als Szene begreifen. Einige haben schon ihr drittes Album draußen, andere gerade einmal die ersten Songs. The best may be yet to come.

» Zum Interview mit Trümmer-Sänger Paul Pötsch. 


Auswahldiskografie:

206: »Republik der Heiserkeit« Zick Zack/Indigo, 2011
Bessere Zeiten: »Sanktionen in Schutt« Zick Zack/All Rock’n’Roll Speeds Up, 2012
Candelilla: »Heart Mutter« Zick Zack/Indigo, 2013
Candelilla & Die Nerven: »Fick Dich Alter!« (Split-Single) Euphorie, 2013
Messer: »Die Unsichtbaren« This Charming Man/Cargo, 2013
Die Nerven: »Fun« This Charming Man/Cargo, 2014
Trümmer: »Trümmer« Pias Germany/Rough Trade, 2014
Trümmer & Zucker: »Es passiert immer irgendetwas« (Split-Kassette) Eigenvertrieb, 2013
V/A: »Keine Bewegung«
Euphorie/Staatsakt/Rough Trade, 2014

Literatur:
Frank Apunkt Schneider: »Deutschpop halt’s Maul! Für eine Ästhetik der Verkrampfung«
Mainz: Ventil Verlag 2014, 118 Seiten, EUR 10,-

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