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Die Freuden am einsamen Instrument

Das Soloinstrument zwischen unbeirrbarer Virtuosität und Wohlklangverweigerung. Eine Sichtung aktueller CDs von Hilde Sofie Tafjord, Stine Janvin Motland, Morton J. Olsen, Flo Stoffner, Achim Escher.

Eine Sparte der experimentellen Musik fällt oft und gerne unter den kleinen Wohnzimmertisch der Aufmerksamkeit. Es geht um Werke bzw. Tonträger, die einem Soloinstrument gewidmet sind und zumeist Erkundungen in eigener musikalischer Sache sind – oft mit einem Beigeschmack von Selbstverliebtheit, von Virtuosität um der Virtuosität willen oder überhaupt der extremen Sperrigkeit, weil sich der betreffende Künstler seinem Instrument bis zur kreativen Verausgabung widmet.

hild_sofie.jpgDie CD »Breathing« der Flügelhornistin Hild Sofie Tafjord ist dafür ein gutes Beispiel. Tafjord ist eine umtriebige Musikerin, man kennt sie vom Zeitkratzer Ensemble, von SPUNK, von Kollaborationen mit Fred Frith, Evan Parker, Ikue Mori und vielen anderen. Auf »Breathing« lotet sie das Soundrepertoire des Flügelhorns aus – mit atemberaubender Konsequenz einerseits, mit streckenweise hörermüdendem Resultat andererseits. Die virtuose Auslotung überlagert den musikalischen Gestaltungswillen eben doch ziemlich stark. Die ebenfalls aus Norwegen stammende Vokalistin Stine Janvin Motland zelebriert auf »Ok, Wow« dasselbe, bloß mit der eigenen Stimme. Die Gehirndecke schraubt sich beim Zuhören wie von selbst ab, um sich bloß keine konventionelle Hörgewohnheitsschwäche zu erlauben. Motland hechelt, schnüffelt, bellt, intoniert, kreischt, gröhlt, krächzt wie eine alte Hexe, verwandelt sich in eine Schimpansin und zerdehnt gleich darauf wieder genüsslich Vokale mit dem Gestus einer heroinsüchtigen Barsängerin. Oder sie kultiviert zwischendurch den reinen Ton, schickt ihre Stimme auf Reisen wie eine Nachttischlampe auf einem Drahtseil. Sie wird zur Hallforscherin und zum Raumklangjunkie und explodiert erneut in hysterische Walls of Monosound. Auch hier ist es keine Frage, dass die Dame ihr Metier beherrscht, aber warum beweisen, was wir längst wussten: Dass es ganz schön arg wird, wenn sie wirklich loslegt. Das gilt selbstverständlich für beide Damen.

olsen.jpgUnd auch für den nächsten Herrn. Der Impro- und Experimentalmusiker Morton J. Olsen besorgt mit der CD »Bass Drum« ebenfalls eine Art Redefinition im Zeichen der Virtuosität. Nur sind es hier die Percussions und die Basstrommel, die als »instrument of choice« dienen. Erneut ist es erstaunlich, welche Klangwelten Olsen zu erzeugen imstande ist. Irritiert sucht man auf der Hülle Hinweise nach elektronischen Geräten, die eventuell zum Einsatz kamen, aber da ist kein Hinweis. Der Mann bringt Trommeln zum Singen, das darf man so sagen, und trotzdem kritisch anmerken, dass sich dieser Wow-Effekt nach dem dritten Stück allmählich abnützt. Ohne das Wissen um die Sounderzeugung wäre »Bass Drum« eine sphärische CD mit etwas eigenwilliger Stimmung. So natürlich ist die Sache trotzdem Wahnsinn. Alle drei CDs sind übrigens auf dem norwegischen Label +3db Records erschienen, welches sich gänzlich der experimentellen Musik verschrieben hat – und dabei sehr oft eben auf die avantgardistischen Freuden am einsamen Instrument setzt. Dafür wurde eine eigene Serie, »Music for One«, eingerichtet. +3db CDs bestechen übrigens durch ihre einheitliche und extrem coole Aufmachung. Für Sammelfreaks innerhalb der Experimentalmusik ein heißer Tipp.

anluedi.jpgApropos Label, ein Schweizer Labelbruder im Geiste ist Veto Records, auch hier hat man sich ganz der experimentellen Musik verschrieben, oft genug ebenfalls mit Soloexkursen, ansonsten aber eher dem Genre der freien Improvisation zugewandt. So sind zuletzt die Gitarrenerkundungen »Norman« von Flo Stoffner erschienen sowie unter dem Titel »An W. Lüdi« zehn improvisierte Stücke für Alt- und Baritonsaxophon vom Saxophonisten Achim Escher. Auch bei Stoffner darf man staunen über die eigenwillige Soundlandschaft, die er seiner Gitarre entlockt. Der Begriff Klangarchitektur fällt hier zu Recht und beschreibt auch das Erfreuliche an Stoffners Soloarbeiten, seinen musikalischen Gestaltungswillen, der über die reine Selbsterkundung hinausgeht. »An W. Lüdi« belohnt die Hörerin in dieser Hinsicht weniger. Es handelt sich um eine Hommage an den bereits verstorbenen Schweizer Saxophonisten Werner Lüdi, der von einem Kritiker immerhin als »radikalster Schweizer Saxophonist der Impro-Neuzeit« bezeichnet wurde. Diese Hommage (für die Mats Gustafsson die Liner Notes besorgte, obwohl er als Hommage-Saxophonist auch keine schlechte Wahl gewesen wäre) spielt alle Stückerl, die in diesem Genre hoher Standard sind, es gröhlt und growlt, es quietscht, quiekt, wabert, röhrt, es verliert sich auch in sanfte Tonlagen und klingt zwischendurch sogar nach klassischem Saxophon, bleibt aber bis zum Ende »gereinigt vom Müll des Wohlklangs«, wie das ein Kollege treffend formuliert hat. Ob es hier um den »Firlefanz Profilierung« oder das pumpende, hässliche Herz der Musik geht, daran scheiden sich die Geister. Bemerkenswert ist »An W. Lüdi« als Kraftakt und Befähigungsnachweis allemal. Ûbrigens auch bezeichnend: Dem Branchenblatt Jazz ’n‘ more erzählte Achim Escher: »Ich habe sieben Monate lang trotz Bemühungen keinen einzigen Gig gehabt. Auch wenn ich gratis gespielt hätte, ging nichts. Das hat mich geknickt.«

Das ist schon ein Jammer, aber die Arbeit am einsamen Instrument ist eben immer auch ein Selbstbeweis. Und damit nicht weit entfernt vom Herzeigen auftrainierter Muskeln. Das scheidet in seiner Einschlägigkeit ebenfalls die Geister. (Und ist ein übler Vergleich, ich geb’s zu.) Aber es ist wirklich schwer zu entscheiden, ab welchem Zeitpunkt diese Melange aus unbeirrbarer Virtuosität und Wohlklangverweigerung zur bloßen Attitüde wird. Eben darum stimmen wir auch nicht ein in das branchenübliche Hallelujah angesichts virtuoser Kraftakte, sondern spendieren bloß ein lässiges »Eh ganz cool«.


Hild Sofie Tafjord: »Breathing«
Stine Janvin Motland: »Ok, Wow«
Morton J. Olsen: »Bass Drum«

plus3db.net

Flo Stoffner: »Norman«
Achim Escher: »An W. Lüdi«

www.veto-records.ch

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