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Kreisky

»Blick Auf Die Alpen«

Wohnzimmer

Das erste und das letzte Lied erzählen vom Tod. Im brachialen »Wir Unterhaltenen« fordert der Ich-Erzähler (der stets im Plural spricht) im Namen der »unwürdig Unterhaltenen«, die »Todesstrafe für unwürdig Unterhaltende und für ihre Unterhaltungen«. Im finalen »Todesstern« hingegen wird das Ableben mit einem seelenruhigen Fatalismus hingenommen. Panta rhei. Das gilt auch für die Erde, denn »wer auf ihr lebt muss sterben«. Den inflationären Apostrophierungen als grantig(st)e Band setzen Kreisky also auch mit ihrem neuen, sehr guten Album »Blick Auf Die Alpen« zwei Granitdenkmäler. Aber eben nicht ganze zehn oder elf solche. Weniger Klage, mehr Beobachtung lautet vereinfach gesagt das Motto der Platte. Den Blick richten Kreisky dabei nicht bloß auf die Alpen, sondern generell auf menschliche Verhaltensweisen und die Eigenheiten des Alltags. Sie erzählen uns vom pubertierenden Mädchen, das überall sein will, nur nicht Zuhause. Oder vom Romantiker im klassischen Wortsinn, der sich nach der Wildnis sehnt, doch eigentlich ein grobes Alkoholproblem hat. Abgesehen von den eingangs erwähnten Stücken folgen die Lieder in ihrer Reihenfolge grob dem Tagesablauf und sind in einigen Fällen emblematische Skizzen des menschlichen (Zuwider-)Handelns, sei es für das bewusste Liegenbleiben am Morgen, das Dilemma um ein ewig wachsendes BIP gegenüber ewig schrumpfenden intellektuellen Arbeitsansprüchen oder für den Zweifel am Selbstlob der schon etwas verbraucht wirkenden Bohème beim abendlichen Feiern. Dabei gleicht die Pointenschärfe in der Darstellung des figuralen Handlungsrepertoires strukturell zum Teil jener eines Thomas Spitzer zu dessen besseren Zeiten. Freilich schildert Franz Wenzl, Sänger und Texter von Kreisky, im Gegensatz zur EAV die Begebenheiten aus der erlebenden Position und verzichtet auf jegliche moralische Komponente. Passend zur neu gewonnenen Mehrdimensionalität in den Texten hat sich auch die Musik von Kreisky verändert. Die rohe Wucht manch älterer Songs weicht auf dem von Oliver Brunbauer luftig produzierten Album tendenziell filigraneren Tönen. Vermehrt werden Dur-Akkorde zugelassen; hie und da flackert zart ein Synthesizer oder ein E-Piano auf. Speziell Gitarrist Martin Offenhuber hat neben Bottleneck-Tobsucht und wilden Dissonanzen noch andere Arten entdeckt, seiner Jazzmaster Töne zu entlocken. Paradox, dass die im Eingang erwähnten scharfkantigen Songs zu Beginn und Ende der Platte derlei thematische und stilistische Neuerungen fast ein wenig verdunkeln. Ob dieses Spannungsverhältnisses wird man »Blick Auf Die Alpen« in einigen Jahren wohl als Ûbergangsalbum deuten. Kreisky bleiben denkwürdig.

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