Essentiell besonders für Zuspätgeborene wie mich ist die SHOCKABILLY-Wiederveröffentlichung »Vietnam Heaven« (Shimmy Disc). Eugene Chadbourne, Kramer und David Licht haben Mitte der Achtziger Jahre Country, Rockabilly und Rock’n’Roll, vorwiegend der 60er Jahre, durch den Fleischwolf gedreht, dass heute noch die Fetzen fliegen. Hier werden nebst eigenem viele Coverversionen (Fogerty, Hooker, Lennon…) durch die Gefielde der »Avantgarde« und Improvisation gejagt. Voller Ironie, Energie, musikalischer Freiheit und mit einer klaren politischen Aussage. Kaufen! Zwar neu, aber gut in die Recyclingkolumne passend ist »Shadows In The Rain« von CHRISTOF LAUER und JENS THOMAS (ACT/edel). Lauer (Sax) und Lehn (Piano) haben das Cikada String Quartet geladen, um gemeinsam die Musik Stings zu interpretieren. Was irgendwie eigenartig ist, ein klassisches String-Quartett, dazu jazziges Sax und Piano, aber in Summe ist das schon richtig schön. Zu schön manchmal, aber zum Glück entfernen sich die Stücke recht weit von den Originalen, nur die Themen sind erkennbar. 1985 bis 95 führte Stefan Winter, heute Winter & Winter, das Label JMT Productions (Jazz Music Today). Sein jetziges Label legt nun einige wichtige, vergriffenen Dinge wieder auf, der gesamte JMT-Katalog soll folgen. Das Ganze natürlich inklusive aller Recycling-Gagerl wie Original-Booklet drinnen, neue Verpackung draußen, remastering usw. Erster Streich ist das Debüt-Album als Leader eines heute ganz Großen: »Motherland Pulse« von STEVE COLEMAN feat. Geri Allen (p), die damals sogar noch frei spielen konnte, Lonie Plaxico (b), Marvin Smith (d) und diverse Gäste. Bei Dave Holland und anderen hatte er damals schon reüssiert, seine ersten eigenen Einspielungen, mit Anleihen im Funk und Bebop, weisen schon alle Qualitäten Colemans aktueller Arbeiten auf, nämlich eine ganz eigene musikalische Sprache, unverkennbare Phrasierung und Virtuosität. Was auch immer Jazz sein mag, das hier ist es sicher! »Transparency« von HERB ROBERTSON (tp) lässt ob der Besetzung sehr abgehobenes erwarten: Tim Berne, Bill Frisell, Lindsey Horner, Joey Baron spielen auf. Die Platte entspricht aber dann doch eher ihrem Titel, ist relativ klar, was aber nicht heißen soll langweilig, ganz im Gegenteil. Besonders Frisell würgt manchmal die Gitarre recht fein, Baron ist ohnehin ein Gott, Berne hält sich sehr zurück, aber auch ihn muss man nicht kommentieren. Kein Vulkanausbruch, aber wunderbare Musik zwischen schön und schräg, die sich mehr auf das Gesamtbild und weniger solistische Ausflüge konzentriert. »As One« von JENA IRA BLOOM (s) und FRED HERSCH (p) ist ein durchwegs poetisches und recht klassisches Zwiegespräch, besonders das Saxophon wird doch gelegentlich etwas intensiver, aber in Summe eher was für den gemütlichen Abend zu zweit.

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