Der Dry January bringt Neues aus der heimischen Musikszene. Ein Wunder, schließlich abstinenzeln sogar überzeugte Pickenbleiber im trübsten Monat des Jahres – der Entgiftung wegen und weil’s Jahr doch ohnehin noch lange sei. Auf derlei leistungsoptimierten Schwachsinn kann nur entgegnet werden: Hier wird konstant getrunken. Daheim. Zur Sperrstund. Hinter zugezogenen Vorhän … Eh scho wissen!
V. A. – »Besuchen Sie die Kernzone 100« (Vienna Underground Traxx)
Techno schläft im Club, aber fix nicht in der Kernzone! VUT rattern in der U4 zum Stadtpark, packen das Soundsystem aufs Dach und beschallen einen Ententraum. Rambazamba für die Gäste im Steirereck, Liebe von Kobermann, Welia und der Rasselbande aus den neuen U-Bahn-Schächten.
Sakrileg – »2020« (Cursed Records)
Es geht nichts über ein bisserl Black Metal, um den Sternsingern den passenden Soundtrack zu liefern. Sakrileg, die Kärntner Band, hat sich fast zehn Jahre für ihr zweites Album Zeit gelassen, aber es müssen ja nicht alle bei der turbokapitalistischen Selbstausbeutungsscheiße auf Schloppify mitmachen!
Ebriach – »Willensstärke« (Two Towers Tapes)
Als hätten die Düsseldorfer Düsterboys ihren Winterurlaub auf einem Mittelaltergschnas am Wörthersee verbracht, um dem Kärntner Lokalkolorit zu frönen, kurz die Quetschen gegen die Laute zu tauschen und sich den Runenbledsinn wiederanzueignen.
Mae Lune – »Amendment« (s/r)
Hat hier jemand die frühen Demo-Tapes von Thom Yorke ausgegraben oder ist das die neue Kammermusik-Platte von Radiohead? Computer says no. Mae Lune heißt eigentlich Stephan Pointner, lebt in Wien, macht schöne Pressefotos und ist mit einem Kopfstimmlein gesegnet, für das sich sogar Kid A himself Amnesiac einschmeißt.
Das Rheintaler Nachtwerk – »Split with Last Action« (s/r)
Im Rheintal rauscht‘s. Felix von Montfort, der einzige Krachmacher im Ländle, dreht den Distortion-Regler ans Limit. Flammen aus dem Bregenzerwald. Feuer in Feldkirch. Brunst am Bodensee! So mog mas! Und splittet den Release mit Last Action aus Belgien für noch mehr Lötereien.
J____Just – »acrophobia« (s/r)
Alle Monate wieder tauchen Tracks von J____Just auf. Aus heiterem Drone-Himmel. In der Stille des Knister-Ambients. Elektronik-Freunde mit Hang zum schwarzen Kleiderschrank warten auf diese Momente wie auf Drops von Supreme. Kurz vor dem Jahreswechsel war es wieder so weit. Neuer Düsterkram für Psychonauten-Trips landete. Demnächst als Mitternachtseinlage auf Donaufestivals ihrer Wahl zu hören!
Martin Auer – »Traumurlaub in Zwentendorf« (s/r)
Martin Auer war Schauspieler und Zauberer, hat Kinderbücher geschrieben und die Weltrevolution vorbereitet. Irgendwann waren die fetten Jahre vorbei. Jetzt ist Auer 70 Jahre jung und der einzige KSA-Student, der sich offiziell Professor nennen darf. Außerdem rettet er bei Scientists for Future das Klima – und schrieb schon in den Achtzigern Songs über Urlaub … im Atomkraftwerk. Der beste österreichische amerikanische Country, den wir dieses Jahr wieder hören werden!
Horizont – »Corvus« (Horizont)
Hinter dem Horizont wartet Gitarrengeschrammel. Das Wiener Irgendwas-mit-Kunscht-Kollektiv Horizont klopft auf Metallbolzen, malträtiert die Akustische und mischt Hüttenkäse mit Noise von der Sophienalpe. Am Anfang steht die Hoffnung, am Ende keine Zukunft. Das ist »der hedonistische Trugschluss«.
Girmindl – »…schwarz…« (s/r)
Ibiza grätschte rein, Corona verseuchte die Lage – die Idee, der türkis-blauen Shitshow einen sechssaitigen Mittelfingerakkord ins aufgeschwemmte Papperl zu schmieren, scheiterte. Johannes Girmindl, der Thomas Spitzer des Gitarrenfolk, haut seine schwoaze Scheibm trotzdem raus. Danzer grinst. Da Votava eh ah. Schee!
Christina Ruf – »Estuary« (s/r)
Sobald Christina Ruf zum Cello greift, brummt der Kasten wie ein Vierzylinder-Turbodiesel, der nach süßem Sprit lechzt. Mit Autos hat Ruf aber nichts zu tun. Sie ist Cellistin – vielleicht die beste, die derzeit in Österreich lebt. Und sie weiß, wie man das Ding bewegt, um statt Burnouts am Verteilerkreis einen Wheelie auf der Triesterstraße hinzulegen.
Orange Gone – »Safe In The Ember« (s/r)
Maximilian Mrak ist der Sufjan Stevens aus Ottakring. Oder ein Panda Bear aus Simmering. Jedenfalls kommt der Typ mit dem Wiesenblumen-Vibe aus Wien. Hätte FM4 noch einen letzten Genierer, der Mann säße morgen am Küniglberg, um eine Acoustic Session einzuspielen.
raveandphan – »the tapes« (s/r)
Raven Utku und Aljhon Phan fabrizieren eine Mischung aus Bonobo am Bosporus und Konfetti-Cocktails zum Sundowner auf Ibiza. Die Beats kommen aus der Maschine, die Gitarre stellt Anspruch auf Autentitti. Für die neue EP schraubt Rauschkind Jakob Schauer mit. Unterm Strich: Popmusik, für die man ausnahmsweise die ZIB verpasst.
Jay Cleys – »Landscape« (s/r)
Jay Cleys lebt in Wien und produziert elektronisches Vierviertelhupfen, das mit Dub-Techno den Sky vom Sand trennt. Soll heißen: Der Kalkbrenner steckt sich zwei Pillen in die Nasenlöcher. Schließlich gingen die drei Tracks locker als »zufällig« gefundene Demos seiner frühen BPitch-Releases durch.
The Smiling Buddhas – »Far Off« (base)
Die Buddhas humpeln über den Dancefloor und verteilen gute Laune. Ehe der Dorninger sich im Kaffeehaus noch gschwind einen doppelten Espresso reinpfeift, bumpert das Herzerl schon 130 Mal in der Minute. Berlin, die frühen Neunziger, die Staaten und ein Greyhound. Wenn die Vergangenheit nur ansatzweise so geklungen hat, war’s eine Heidengaudi!
Macello Basstrojani & The Joan Carpenters – »Bochi Bochi Club« (Stubenmusicstudio)
So ein Glück. Der Steirerbua bekam zu Weihnachten kein Kernöl, sondern eine Blockflöte. Auf der begleitet er ein Klavier, das Frau Magister Stöger in der Musikschule vor zwölf Jahren zum letzten Mal gestimmt hat. Zwischendurch grinst Hassell aus dem Fourth-World-Grab. Hosono ordnet das Xylophon in Regenbogenfarben. Es knarzt. Und alles, was fehlt, ist eine Vinyl-Veröffentlichung, Burschen!
Puke Puddle – »Binge« (Urban Lurk)
Alle, denen der Dry January zu bürgerlich erscheint, lassen den Grind mit Kristina Pia Hofer und Tina Bauer aus den Löchern spritzen. Die beiden Alleskönnerinnen zwischen Doktortitel und Underground-Ikone prügeln ins Schlagzeug, reißen an den Saiten und hauchen ins Mikro. Eine Platte, so räudig schön, als hätte man den beiden gerade mit dem Leibhaftigen gedroht.
Trackscan – »Farewell« (LOWHOP-Records)
Josef-Matthias Printschler, der Käpt’n Iglo hinter Stubenmusicstudio und LOWHOP-Records, haut als Trackscan eine Tiefseetauchstation von einem Album raus. Atlantis ist ein Scheiß gegen solche Beats, die ausgewaschener daherkommen als ein Frequency-Leiberl von 2001. Hat das Wörtchen »deep« noch Relevanz, dann hier!
Mother Morgana – »Rise« (s/r)
Die Grazer Band Mother Morgana rollt den fliegenden Teppich aus und erzählt eine Geschichte von Tausendundeiner durchzechten Nacht. Gitarren hängen zwischen dem Crimson-King und einem Samsara Blues Experiment, das Schlagzeug leidet an Flüssigkeitsmangel, die Königin der Wüste säuselt statt Porgy lieber bös.
Von Seiten der Gemeinde – »Almen aus Plastik« (s/r)
Hell das Auge, ehern die Stirn, blond das Haar wie hanfener Zwirn. Offen der Blick, die Miene ein Schrein, ja, so soll der Alpenländer sein. Die Tirola Rapcombo bucht zwei Wochen All-inclusive im Gletscher-Disneyland, pfeift auf Blingbling im Kitzloch, Schneekanonen auf der Herrentoilette und fahrbare Schwanzverlängerungen bei der Talstation. Am 9. Juni 2022 vielleicht im Flex.
Future Nightmares – »This is the light of the mind, cold and planetary« (s/r)
Entscheidest du dich für die grüne Pille, bleibt alles, wie es nie war. Schluckst du die gelbe, liegt Einstein falsch. Die Matrix bricht, die Zeit steht still, während der Raum … Gähn! Man muss nicht erst den Hauntolog*innenkongress im November abwarten, um diesen Ambient-Alabaster auszubuddeln. Mehr Fläche als ein Fußballfeld auf der Planai. Von Psychonauten empfohlen.
Bronco Jedson – »Golden Retrieveyeah!« (Amateurs for Life Recordings)
Sie sind hier, sie sind laut, weil ihnen jemand das Fuzzpedal klaut. Bronco Jedson, die Grazer Piff-Paff-Truppe mit dem Namen zweier Ehhh-Gitarren, dreht den Regler auf Zwölf und macht Lärm, den man sich vor 50 Jahren in einem verrauchten Bauchstich-Beisl auf den Unterarm gepeckt hätte.
morgen es wird schoen – »the tape recordings 96-99« (s/r)
Stefan Frankenberger ist ein Genie in Grenzfurthnerschem Ausmaß. Eine Band aus den späten Achtzigern erfinden, uralte Gaga-Interviews zwischen »Uhudla« und »Falter« faken und einen Mythos schreiben, voilà: morgen es wird schoen sind die Underground-Ikone, die sie schon immer waren. Dass jetzt Tapes aus den Neunzigern aufgetaucht sind, geschenkt! Zum Billardkugeln-in-die-Nase-Stecken!
Pilmaiquén – »Dubb Deeper« (s/r)
Das gute Leben flicht sich Cornrows am Strand, sippt unter Palmen an veganen Lianen-Shakes und dreht das Soundsystem auf B wie »bissle mehr Bass«. Pilmaiquén hat den schon unter der Haremshose gespürt, als sich andere gerade mal an ihren Trüffeln erbrachen. Vielleicht versprüht sie deshalb gute Laune im Drei-Liter-Fass. Spliff!
Virgil Enzinger & Submerge – At The End (s/r)
Apropos Bass. Zeit für Betonmischgestampfe in den Enzinger-Variationen. Oder Ballerina-Bummstata im Darkroom. Allein »So Far Away« ist Tellerwaschen in der Schwitzkammer um Viertelfünf. Bussi!
B.Visible – »In Between Places« (Data Snacks)
Hätten Cid Rim und Dorian Concept ein Kind adoptiert, es hieße Peter Kalcic und besäße ein Kalimba. Für nervöse Finger und zum Rumklimpern, eh klar. Im Februar kommt die neue Platte von B.Visible. 2019 sagte er: »Ich versuche meinen Stil fernab von HipHop weiterzuentwickeln.« Ist gelungen. Bald zum Sieben-Uhr-Tee im Sass ihres Vertrauens.