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Ausflug ins Rykoland

Um das in London beheimatete Label Rykodisc ist es in den letzten Jahren ruhig geworden, und das war gelinde gesagt schade, denn das musikalische Erbe der Meat Puppets, der Flaming Lips oder der Replacements, liegt genauso in Rykos Händen, wie der Nachlass des als Komiker missverstandenen Realtragöden Bill Hicks (Frank Zappa und Yoko Ono seien auch noch genannt). Zum 20. Geburtstag des Labels ist es aber rechtzeitig mit der Stille vorbei, und das Label lässt es ordentlich krachen.

Die »Big Star Story« ist die erste umfassende Präsentation von BIG STAR, dieser genauso kurzlebigen wie großen Band rund um Alex Chilton, die allein mit Kassettenkopien ihrer oft schwer erhältlichen Werke eine Unzahl von Power-Pop-Bands in den letzten drei Jahrzehnten schwer beeinflusst haben. Hier sind nun all die Hits versammelt, die Leben verändert haben, ohne auch nur eine Woche in einer Hitparade verbracht zu haben: »In The Streets« (Titelmelodie der brauchbaren TV-Serie »That 70s Show«/»Die wilden 70er«), »September Gurls«, »Ballad Of El Goodo«, aber auch die Songs vom anderen Ende des Gefühlsspektrums wie der Gipfel der selbstzerstörerischen Einsicht, »Holocaust«, finden auf dieser editorischen Großtat ihren Platz. Eine dieser von Big Star geprägten Bands waren in den 90ern The Posies, und deren Songwriter JON AUER und KEN STRINGFELLOW präsentieren nun mit »Private Sides« auf dem interessanten Format der Maxi-Splitsingle je drei Songs, in denen sich beide als würdige Träger des Staffelstabes erweisen.
In der Gegenwart kämpfen die amerikanischen Provinzler THE CARLSONICS mit Ihrem gleichnamigen Debüt um die Vorherrschaft in der Garage. Und da sie ihren Iggy, MC5 und ihre Namensgeber wirklich inhaliert haben, und auch noch ihre Unschuld in den Kampf werfen können, schaffen sie kurze krachende 11 Songs, wobei die hypnotische Hymne »The Leisure Class« in keinen Gitarren-DJ-Set fehlen darf.
Ja und dann gibt es einen Künstler, dem dieses Label seit langem verbunden ist und der mit »Cuckooland« beweist, dass er einer der ist, die abseits von Alltag und Medientrubel ihre Kunst schaffen: ROBERT WYATT. Mit zarten Klanglandschaften meditiert Wyatt über Zerstörung, Tod und Hoffnung. Und genau in der Mitte dieses wunderbar individuellen Werks findet eine Pianoversion des alten Bryant/Bryant-Songs »Raining In My Heart« Platz, die einem atemberaubend die Illusion der ewigen Harmonie für knappe drei Minuten vorgaukelt. Unterstützt wird Wyatt unter anderem von David Gilmour, Paul Weller und natürlich von der langjährigen Gefährtin Annie Whitehead.
Und in einer Zeit in der die Tonträgerindustrie ihre geballte Macht in ausdauerndes Jammern legt, zeigt Rykodisc wohin der Weg führen kann: Neuen Kräfte wie den Carlsonics, die sich nicht scheuen ihre Hintern über alle Landstraßen dieser Welt zu bewegen und ihre Verstärker selber zu schleppen, eine solide Plattform zu geben und gleichzeitig auch den eigenen historischen Besitzstand zu pflegen und so auch dem schon eher museal veranlagten Musikkäufer zuzuarbeiten.
>> Rykodisc im Vertrieb von Lotus Records

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Text
G. Bus Schweiger

Veröffentlichung
28.09.2003

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