Foto: Highgrade Disharmonic Orchestra
ROMAN FL?GEL ist in der Welt der Beats und Laserlichter wahrlich kein Unbekannter. Seit gut fünfzehn Jahren gehört der Frankfurter in der deutschen Elektronik-Szene zu den ganz Großen, sei es unter seinem eigenen Namen, als Teil des ?berdrüber-Produzentenduos Alter Ego oder unter einem seiner zahlreichen Aliases. Mit »Fatty Folders« veröffentlicht er nach zwei 12-Inches nun ein Album bei Dial, den Hamburger Spezialisten für intelligente Housemusik. Flügels langjährige Erfahrung hört man in jeder Sekunde heraus, seine versierten Produktions-Skills sowieso, und auch, dass er von Electronica-Spielereien und ruhigeren Momenten ebenso viel Ahnung hat wie von (Deep-)House und Techno. Für den Dancefloor ebenso geeignet wie für den Hausgebrauch, gibt einem der Meister auch beim zweiten und dritten Hördurchgang noch immer einiges zu entdecken.
Freuen kann man sich auch über Teil zwei der Compilation-Reihe mit dem super Namen: »If This Is House I Want My Money Back« (Permanent Vacation). House ist es sehr wohl, und sehr guter noch dazu. Die Permanent-Vacation-Labelgründer Benjamin Fröhlich und Tom Bioly versammeln von John Talabot bis Session Victim wieder ehrenwerte Produzenten aus aller Herren Länder und lassen sie sich mit heruntergekochtem Chicago- bis Acid House austoben. Auch wenn das Grundtempo gedrosselt bleibt, ist hier für die nervösen Hi-Hats von Hunees »A Study In The Wind«, die entspannte Poppigkeit des eigenen Tracks der Label-Bosse und sonst noch so einiges Platz. Eine Platte, die froh macht. Lust auf Ferien hat auch der Düsseldorfer ANDY VAZ und begibt sich auf seinem Album »Straight Vacationing« (Yore) ebenfalls auf eine Reise durch die abwechslungsreiche Welt der Housemusik aus den Vereinigten Staaten. Die Betonung liegt bei ihm auf »abwechslungsreich«. So entdeckt er den Groove etwa in den äußersten Winkeln des Funk, in Acid-Höhlen zwischen Detroit und Chicago oder doch auf den Dancefloors großer Clubs. Nur das tonangebende Saxophon in »Stubnitz« schreit ein bisschen zu laut nach »Soul« – das wäre doch gar nicht nötig gewesen!
Die Musik des HIGHGRADE DISHARMONIC ORCHESTRA, gegründet zum zehnjährigen Jubiläum ihres Labels, entsteht zwar in gemeinsamen Jamsessions, konventionell darf man sich diese allerdings nicht vorstellen. Stattdessen schließen die fünf Mitglieder ihre Laptops zusammen, nehmen noch ein paar Drummachines und Synthesizer dazu und basteln an einem gemeinsamen Technosound. Die einzelnen Nummern des mit »Multilayer« (Highgrade) sehr treffend betitelten Albums sind recht unterschiedlich, nehmen oft überraschende Wendungen und sind in ihren technoiden Momenten am stärksten. Nur die Vocals oder plötzlich auftauchende Jazz-Sample-Passagen können etwas irritieren. Ebenso wie diese beiden Platten zeigt auch die folgende Zusammenstellung Notwendigkeit wie Wunsch von Plattenlabels, in »Zeiten wie diesen« (Wirtschaftskrise, Musikmarkteinbruch) zu einem bestimmten Jubiläum etwas möglichst Besonderes hervorzubringen. Kann man es ihnen verdenken? Im Fall von H-Productions setzen CARI LEKEBUSCH und ALEXI DELANO bei der Labelwerkschau »The Path of Hybrid« auf die nicht neue Idee eines 3CD-Sets, das aus einem »Past«, »Present« und einem »Unreleased« Teil besteht. In unseren Händen halten wir nur letzteren: ein tighter Mix aus sieben- bis zehnminütigen Technotracks, wie man sie zwar in einem x-beliebigen Club hören könnte, aber in keinem schlechten. Von den insgesamt 47 Nummern stammt laut Tracklist mehr als die Hälfte von Labelgründer Cari Lekebusch selbst, was aber angesichts der fast zwanzigjährigen Karriere und dem unermüdlichen Musikoutput des Schweden auch verständlich scheint.
»Komisches Cover!«, denkt man vielleicht beim Anblick von MARCEL FENGLER auf seinem »Berghain 05«-Mix (Ostgut Ton). Ein kompromissloses, sehr stringentes Techno-Set, das vor allem durch nervöse Höhen und viel Kleinteiliges schneller und härter wirkt, als es eigentlich ist. Das Rauschen und die flirrenden Höhen mag man dann halt vielleicht doch lieber auf der Funktion-One-Anlage des Berghain hören, zuhause gibt das mitunter Ohrensausen – aber ein prima Mix ist das schon.
ANCIENT ASTRONAUTS, ein Album namens »Into Bass And Time« (ESL Music) und ein Gorillaz-mäßiges Artwork, das sieht alles schon mal vielversprechend aus. Die Nachforschungen fördern ein Kölner DJ- und Produzentenduo zutage, das schon seit zehn Jahren aktiv ist und an den Schnittstellen von oldschooligem Dub, Hip Hop und Mr. Scruffs Ninja-Tune-igen Sounds zuhause ist. Ihr Album erweist sich als eklektischer Mix dieser verschiedenen Styles und dürfte in der Live-Ausführung wohl auch Spaß machen. Nur etwas weniger Dub und mehr von dem versprochenen Bass hätte es sein dürfen.
Oldschooliger Chillwave, macht dieser Begriff Sinn? Wenn ja, dann soll er bitte für die Musik von Chris Ward alias TROPICS verwendet werden. Aufgenommen hat der junge Brite sein Album »Parodia Flare« (Plante Mu/Hoanzl) zwar anscheinend im elterlichen Wandschrank, die Gedanken führt er aber auf eine tropische Südseeinsel, in eine entfernte Zeit voller Träume und wenig Arbeit. Oldschoolige Rhodes-Tropfen und Synth-Flächen, pluckernde Gitarren und Chris‘ verhallte Stimme sind die Hauptzutaten dieser Songs, die alle im sehr gemäßigtem Tempo gehalten sind, manchmal zu epischen Ambient-Flächen werden und auch in schnelleren Momenten lediglich Gedanken an eine sommerliche Autofahrt auf der Küstenstraße wecken. Chillen in Slow Motion, herrlich!
Ein sehr feines Album, das ebenso entspannt des Wegs kommt, legen die Schweden JONSSON und ALTER vor. »Mod« (Kontra-Musik) entspricht keinem musikalischen Trend und steht völlig für sich. »Acapellan« baut um eine gerdadezu sanfte Acid-Line vorsichtig einen Beat, das wunderbare »Tre Ackord« verheißt neun Minuten lang heruntergekochte Deep-House-Glücksseligkeit und auf dem Dancefloor, der von »Djup House« erhellt wird, möchte ich jetzt gerade sein. Top.
Ebenfalls völlig »anders« ist »In Dust« (The Leaf Label) von ROLL THE DICE, schon wieder zwei Schweden. Malcolm Pardon und Peder Mannerfelt arbeiten ausschließlich mit analogem Equipment und erschaffen damit eine cinematische Welt, die sich beim Zuhören entfaltet, sobald man sich darauf einlässt. Nur langsam öffnen sich ihre Nummern, die auch auf Editions Mego in der Nachbarschaft von Oneohtrix Point Never und Emeralds gut aufgehoben wären, und geben ihre Bilder Preis. Musik, die man nicht nebenbei am Weg zur Arbeit hören kann, die ihre Kraft im Großstadtraum entfalten will, Musik, die Zeit braucht.