Foto: Eddy Brethier/Wikimedia CC0
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Athletischer im Ruin

Iggy Pop erleidet mit Josh Homme eine etwas verkorkste »Post Pop Depression«. Das neue Album wird der radikalen Unabhängigkeit nicht gerecht, die Iggy Pop in Live-Performances ausstrahlt und die er jüngst in seinen luziden Lectures bewies.

Iggy Pop: wohlbehütendes, liebevolles Elternhaus, gute Ausbildung, Punk. Der Schmerzensmann der populären Musik, der seinen ausgezerrten und gestählten Körper in Glasscherben wälzte, der als Restkonvention allenfalls die Hosen während seiner Konzerte anbehielt und der eine Unabhängigkeit ausstrahlte, die wahres Gottvertrauen voraussetzt.

Iggy_Schoolboy.jpgSeit den 1960er Jahren half er in unterschiedlichen Rollen Musik zu kreieren, bei der dem Publikum die Gitarrenhälse wie gezückte Messer im Gesicht herumfuchtelten während ihnen die Drumsticks die Haare zerzausten. Er hat entscheidende Fragen gestellt: Warum bist Du so langweilig? »I’m bored!« Das ist genau das, was Punk uns zu sagen hat und damit hat er genügend von den richtigen Leuten geärgert. Wer sich nie auf einer faden Party gedacht hat: ›Ach wäre doch Iggy Pop hier‹, wird die Wucht dieser Kunst nicht verstehen. Punk half jungen Menschen ein gesundes Verhältnis zur Gesellschaft zu entwickeln: ›Ächt interessant was Du da erzählst, super Projekt, total spannend, nur warum möchte ich jetzt kooooootzen?‹ Regelmäßiges Vomieren gehörte zur Bühnenroutine bei Iggy Pop. Wer Punk und Iggy Pop verstehen will, muss versuchen zu begreifen, wie gerade in der energischen Ablehnung, dem Ausspucken, dem wütenden Schrei nach Unabhängigkeit eine wirkliche Anteilnahme liegt, das »natürliche Gebet der Aufmerksamkeit« und – es gibt kein besseres Wort: Liebe. Denn die dazu nötige Aufrichtigkeit verlangt den wütenden Kampf gegen all das falsche Geschwätz.

Ein verheißungsvolles Paar: Iggy und Josh
Fünf Jahrzehnte Auftritte, zahlreiche (allerdings nicht unbedingt viele) Platten später, nun das neue Album, das nach eigenen Worten möglicherweise sein letztes sein könnte: »Post Punk Depression«. Es wurde produziert und maßgebend mitgestaltet von Josh Homme, dem Frontmann der Queens of the Stone Age (QOTSA). Josh Homme und Iggy Pop sind SMS-Brieffreunde. Sie haben – laut gemeinsamem Interview bei Stephen Colbert – angefangen sich kleine Gedichte elektronisch zu schicken und es irgendwann gewagt, einander ihre musikalische Zuneigung zu gestehen. Ihre Beziehung haben sie heimlich, in einem winzigen Nest in der Wüste mit Tonstudio, ausgelebt. Ein paar Monate später und nach intensiver Post-Produktion durch den QOTSA-Frontmann kam »Post Pop Depression« im März 2016 zur Welt.

Iggy Pops Werk kreist seit langem um die Themen Sterben, Abschied, Tod. Das 2013er Stooges-Album lässt mit dem Titel »Ready To Die« wenig interpretatorischen Spielraum und auf dem 2009er Chanson-Album »Préliminaires« betrachtet ein Mann mit skelettiertem Schädel eine Nackte. Beschwörend singt Iggy Pop: »It’s nice to be dead.« Spätestens seit in kurzem Abstand sowohl Lou Reed als auch David Bowie, die, wenngleich auf hohem toxischen Niveau, ein doch eindeutig drogenärmeres Leben geführt haben, Iggy Pop vorausgegangen sind, dürfte klar sein, dass der Tod für ihn nicht mehr nur Gegenstand unverbindlicher Spekulation ist. So könnte der Titel »Post Pop Depression« nun ebenso auf die Trauer nach dem Pop, also auf die Zeit wenn Iggy einmal nicht mehr ist, verweisen. Dafür ist das Album vergleichsweise wenig düster geraten und dies mag an Josh Homme liegen.

Iggy_und_Josh_Homme.jpgHomme ist es möglicherweise auch zu verdanken, dass der Weg der Alben »Après« und »Préliminaires« verlassen wurde, bei dem im Wesentlichen die alt gewordene Stimme Iggy Pops ausgestellt wird, wie seinerzeit jene Johnny Cashs von Rick Rubin. Ûberhaupt darf das Kalkül dieser Alben, Iggy Pop mit altersgemäßem Jazz zu helfen, andere Menschen im Herbst ihres Lebens anzusprechen, als ein wenig problematisch betrachtet werden. Nein, »Post Pop Depression« ist wieder eine Art Punkrockalbum und das ist gut so.
Nur leider eben nicht so richtig gut. Der Song »Gardenia« hat ein gewisses Mitgröl-Potential und der Rest der Platte wirkt sehr um Einfallsreichtum bemüht. Ohne Frage: Fans von Queens of the Stone Age können sich die Platte nahtlos in den CD-Schrank schieben (sofern noch vorhanden). Insbesondere bei Nummern wie »In the Lobby« oder »Sunday« klingen die Sounds, die Riffs, die musikalischen Einfälle, überhaupt der ganze Aufbau der Songs, ein wenig wie »No one knows« mit angezogener Handbremse. Und das ist ja nun alles anders als schlecht, QOTSA ist anerkannter Maßen eine wirklich gute Band. Eine Liaison in ungeahnten neuen Himmeln des Crossover zwischen Punk und Stoner-Rock ist Josh Homme und Iggy Pop aber nicht gelungen.

Ein zentrales Stück ist »American Valhalla« und an dieser Aufnahme lässt sich gut zeigen, warum die Platte letztlich etwas unbefriedigend geblieben ist. Dieser Song hinterlässt ein wenig den Eindruck, ›Iggy, Iggy was hat Dich bloß so ruiniert?‹ Früher war doch alles so klar und treffend: »I love girls.« Rumdi-dumdi-dada. Und jetzt diese weitschweifenden Ûberlegungen zu einem schwierigen Thema, gepaart mit komplexer und übermäßig einfallsreicher Musik. Der simple, unverstellte Impuls von Songs wie »The Passenger« wirkt unendlich weit entfernt. Die darin artikulierte wunderbar klare und zugleich seltsam tiefe Poesie: Ich bin auf Reisen, ich sehe über mir den bestirnten Himmel, er ist schön und ich singe »La la la la la-la-la la« Perfekt. What else? David Bowie meinte Iggy Pop sei ein ungeheueres Talent, das einfach während der Jamsession die fertigen Texte vor sich hin singen kann. Bei dem schwülstigen Monumentalwerk »American Valhalla« war dies sicherlich nicht so. Hier finden sich zehn Ûberlegungen, wo eine gereicht hätte. Und dies hat auch eine inhaltliche Dimension, die Aussage des Songs ist gewunden und verworren. Was vielleicht differenziert gemeint sein soll wirkt unentschieden.

»We, the people here, don’t want a war«
Lang vorbei scheinen die Zeiten des alten Folk, dem sich Iggy Pop sehr verbunden gefühlt hat und von dem er meint, die Tonträgerindustrie und Politik habe ihn erledigt, weil durch ihn ›Kommunisten‹ und Farbige zu viel Einfluss gewonnen hatten. Einzig die Rolling Stones – weil weiß und britisch – hätten diese Kunstform weiterbetreiben dürfen. Dieser Folk war eindeutig in seinen Messages, ob Bobby Darin oder Buffy Sainte-Marie. Klarer Text, simple Message, ein »Simple song of freedom« eben, voll unmissverständlicher Ansagen: »He is the universal soldier and he really is to blame.« Aber was ist »American Valhalla«? Der Song beschreibt die Suche eines Soldaten nach Valhalla. Walhalla – ernsthaft? Nach jenem mythischen Ort germanischer Kriegsheldenverehrung, an den allenfalls Norbert Hofer und dessen Intellekt- und Parteiunabhängiges Unterstützungskomitee glauben? Es soll allen Ernstes die Frage abgewogen werden, ob es eine transzendente Belohnung für imperialistisches Morden gibt? Also, werden die Taten der US-Soldaten in Walhalla entgolten? Hm, interessant, mal abwägen: einerseits sagt der Soldat: »I shot my gun, I used my knife.«, andererseits… ›Stop, aus! Josh und Iggy, das ist Bullshit!‹ Das ist wirklich viel zu viel Empathie an der ganz falschen Stelle.
Nun sind Iggy Pop und der zarte »meat-and-potatoes«-Machorocker Josh Homme keine CIA-Agenten, die moralische Probleme gerne in künstlich erzeugter Komplexität vernebeln, sondern ganz nette Typen. Die meinen das nicht so, sie wollen sich tatsächlich nur irgendwie die Frage stellen, ob US-Soldaten fehlgeleitet sind, oder so. Nur wie sie das tun, das hat Züge des leicht Beknackten und lässt vermuten, sie wussten einfach nicht worüber sie singen sollen. Leider. Die Gestaltung des Songs spiegelt dieses Dilemma. Eine reizend seltsame Melodie, mit verzerrten Steeldrums aufgenommen, wird mit wuchtigem QOTSA-Bass kontrastiert, dann erklingt Iggy Pops Gesang ambitioniert-kunstvoll und so schichtet sich Einfall über Einfall, Ideen die allesamt ganz okay sind, aber auch ruhig in der Schublade hätten verschwinden können. Am Ende scheint das Mikro so nah an Iggy Pop heranzutreten, dass der Eindruck entsteht, Iggy Pop säße einem auf der Schulter. Dort haucht er, nach dem Verklingen der Musik zweimal den Satz: »I have nothing but my name.« Verstehe, das soll jetzt Pathos sein. Nur stimmt das vorne und hinten nicht, denn gerade seinen Namen hat der Soldat mitverkauft. Nichts ist unpersönlicher und entindividualisierender als ein Soldatenfriedhof. Aber die Namen sind zu lesen, sie bleiben über den Tod hinaus im Besitz der Heerführer. Die Namen der Toten werden auf die Marmorwände unter die Flagge gemeißelt und bedeuten nur mehr »Gefallen für sein Land«. Wer von ihnen mit ›Stolz‹ starb und wer im Moment seines Todes ›Gott und Vaterland‹ verflucht hat, steht dort nicht zu lesen. Das sollte sich jede Soldatin und jeder Soldat klar machen, wenn sie mit ihrem Namen unterschreiben und sich verpflichten Zielen zu dienen, die vielleicht gar nicht die ihren sind.

Empathie für die »simple working poor«
Solche verkorksten Hymen wie »American Valhalla« tun insbesondere bei Iggy Pop weh. Sie verdunkeln seine einstige Stärke ebenso wie die nett-biederen Chanson-Alben der letzten Jahre. Dabei hat er es immer noch faustdick hinter den Ohren, wie seine Vorlesung bei der BBC »John Peel Lecture 2014« beweist. Das Thema »Free Music in a Capitalist Society.« Hinter dem Katheder stehend, mit enormer Lesebrille bewaffnet, liest Iggy Pop, der Autor von Essays über Edward Gibbon, seine Gedanken vom Blatt ab. Und es tut gut ihm zuzuhören. Entgegen allfälligen Klischees vom Drug Addict und Punkmusiker ist Iggy Pop ein überraschend klar sprühender Geist, der luzide analysiert, wie das ganze Geschwätz über den Diebstahl von Musik im Internet am eigentlichen Problem vorbeigeht. Denn die Leute, besonders die »simple working people« haben einfach kein Geld mehr, um Musik zu kaufen. »[They] have been totally leftout, screwed and abandoned.« Weiter konstatiert er infernalisch: » [We are living] in an atmosphere of resentment, pressure, perpetual war.« Und weiter: »Wir leben in einer Zeit, in der sich kaum mehr jemand für irgendetwas interessiert, das einzige, das Bedeutung behalten hat, ist das Geld. Das ist sehr traurig.« Stimmt. Dieser noch immer gestählte Körper Iggy Pops, diese enorme Wucht seines Auftretens, beherbergen zugleich eine empfindsame Verletzlichkeit in ihrer schönsten Ausprägung. Eine Zerbrechlichkeit, die in krassem Widerspruch zu seinem ausgezehrten Athletenkörper zu stehen scheint. Iggy Pop ist eine Natur, die versteht aufzunehmen, die sich bewegen lässt, ein Schwamm für den Ozean des ›Nicht-Ich‹. Das ist er gewesen und ist es immer noch. Und das ist verdammt vorbildlich für einen Künstler. Wenn Iggy Pop von seinen alten Freunden, den Ramones, redet oder vom Tode JFKs und den Hoffnungen, die sie damals mit ihm zu Grabe trugen, dann bricht ihm die Stimme. In fünf Worten Iggy Pops schwingt mehr aufrichtige Anteilnahme und Verständnis für seine Mitmenschen mit als sich auf fünfzig Seiten ÖVP-Grundsatzprogramm finden. Was verstanden werden sollte und was die Spießer dieser Erde nicht wahrhaben wollen: Floskeln, wie »Gemeinsames Haus Europa«, Bla, »Zukunft für alle« Blabla, »nachhaltig« Bla, Blablabla sind böse und wer sie ohne Ausspucken akzeptiert, der trägt sie mit. Iggy Pop weiß das und er hat dies lebenslang gelehrt, in seiner Musik, seinen Performances und jetzt in seinen Lectures.

Iggy Pop ist noch bei uns, ganz klar und vorbildlich wie eh und je. Sein neues Album aber ist es nicht, das ist, bei allem darin unter Beweis gestellten Können, ein wenig verkorkst. Tipp: Kauft Euch die Platte – wenn ihr das Geld habt – und verzeiht ihm.


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Iggy Pop
»Post Pop Depression«
Caroline/Universal

Iggy Pop live
Rock in Vienna, Donauinsel, 4. Juni 2016 »details
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