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Fotos: © David Visnji? »pnyhof.tumblr.com

»Alle Bläser sind Luft-Junkies!«

Der Trompeter Franz Hautzinger sieht sich als musikalischer Dramaturg, der mit unterschiedlichsten Mitstreitern stets volles improvisatorisches Risiko eingeht. Sein Quartett No Dogs There! bot im Februar ein fulminantes Konzert beim Salon skug im Wiener fluc.

Wie ein schwarzer Scherenschnitt hob sich Franz Hautzinger von den Rauchwolken in der Fluc Wanne ab. Er könnte auch mit einem Luftballon Musik machen, sagt der Trompete spielende Improvisations-Maniac von sich der ausschlie&szliglich mit Musikern arbeitet, die er spannend findet. An diesem Abend machte sein subtiles und doch eindringliches Spiel aus Andeutungen, Antönungen, Anflügen einen ganz leicht – dieser Trompeter bläst sie nie ganz aus bzw. in diesen krachenden schallenden Militärklang hinein, den Roma so schön persiflieren. Ein Fest, das on and on and on ging. Selbst wenn jemand dem Fuckhead-Schlagzeuger Didi Kern hätte ausrichten sollen, dass trotz rhythmischem Gerüst und Klangteppich und Ansprüchen auf melodiöses Schlagzeug die Trompete das Lead-Instrument bleibt obwohl er die Zuhörer ein paar Mal mit seinen driving beats elektrifizierte und unter Strom setzen konnte -, wird eines Tages jemand einen Nacht-Film machen zu dieser Musik, mit langen Fahrten im Dunkeln und zu Lichterfunken. Dann wird der Synthie-Virtuose Philipp Quehenberger mit seinen verqueren Sounds noch mehr in der Gegend herumblicken und Bassist Michael Strohmann beweisen müssen, dass er in seinem Herzen rauen Trash liebt.

skug: Der Auftritt von No Dogs There! in der Fluc Wanne wirkte zum Teil sehr abgestimmt. Gibt es ein Gerüst, innerhalb dessen improvisiert wird, eine Struktur oder vorgegebene Improvisationsmuster?

Franz Hautzinger : Das Konzert war durchimprovisiert. Seit zwanzig Jahren improvisiere ich professionell. 95 Prozent meiner Konzerte sind frei erfunden. Ich suche mir die anderen Musiker sehr genau aus, überlege mir, wer und was klanglich und strukturell dazu passt. Manchmal gefällt mir etwas oder jemand auf anderen Konzerten, dann lade ich die Musiker ein. Mein Risiko bei solchen Einladungen ist, dass ich die Musik ??aufstellen?? muss, soll hei&szligen, ich muss sie spielen, damit sie so wird, wie ich mir das vorstelle. Die Musik, die wir da spielten, ist sehr speziell, eine Art von Rock-Jazz-Underground. Die Kunst besteht im richtigen Aufbau. Es geht vor allem um Dramaturgie … Klarheit und Präzision sind wichtig, ein Wissen zu haben über Formen, Gestalten und das Erfinden im Allgemeinen. So stellt sich mir das Grundsätzliche dar. Eingesetzt werden die grundlegenden Improvisations-Tools: Wiederholung, Variation, Durchführung – so wie die Musik eben funktioniert. Dabei kann ich mich auch auf die Leute verlassen, mit denen ich da spiele, die machen diesen Druck.

Wie oft habt ihr geprobt, um zu so einem eindrucksvollen Ergebnis zu kommen?

franz_hautzinger_by_David_VINJIC.jpgKeine Probe, denn wenn man probt, dann muss man das öfter tun [lacht]. Die erste Aufregung bei solcherart Begegnung – das ist Ernstsein mit Lachen. So kann man das Interessante an einer Begegnung erfinden! Ich hatte eine Vorstellung, eine Idee – und dazu habe ich diese Leute eingeladen. Musik ist also das, was ich mir ausrechne, was dabei herauskommt, wenn man diese Leute einlädt. Und wenn man sich an die Gesetze der Musik hält, kann man das auch spielen, vorausgesetzt man hat auch die Kraft dazu.

Und warum ging das ganze Konzert ohne Pause, ohne abgegrenzte Nummern in einem einzigen Zug durch?

Das war das, was offen blieb! Ob es ein zusammenhängendes langes Stück wird oder mehrere kürzere. Ich habe nicht im Vorhinein festgelegt, was geschehen soll, denn das konditioniert total und ist zum Scheitern verurteilt. Das Allerwichtigste für einen Musiker ist das Hören. Man muss erst einmal zuhören, was der andere macht, erst dann wird klar, dass das so gehen könnte, in einem Fluss. Nach zehn Minuten merkt man, ob es geht oder nicht – das ist schon der ganze Aufwand. Ein guter Improvisateur hört, wenn es fad wird! Selbstreflexion ist sehr wichtig bei dieser Art von Musik, besonders wenn man Leute einlädt, um gemeinsam etwas zu erfinden; dazu gehört auch, dass man sich von jemanden das wünscht, was er am besten kann, und nicht, was er nicht kann. Zu verlangen, was einer nicht kann, ist eine typische Musikerkrankheit – das muss man im Laufe der Jugendjahre unbedingt abklären [lacht]. Der Synthi-Spieler Philipp Quehenberger kommt aus der Techno-Szene, er ist der Lieblingsmusiker von Franz West und spielt auf dessen Vernissagen. Der Schlagzeuger Didi Kern ist u. a. bei Bulbul und Fuckhead beschäftigt. Der Bassist Michael Strohmann ist auch bei Fuckhead und macht Musik für Performance und Theater.

Aber mitunter haben Sie doch eine Melodie vorgegeben – oder zumindest bestimmte Melodiebögen?

Vorgegeben? Wenn man etwas vorgibt und die anderen machen nach, funktioniert das nicht. Es gibt einen gewissen Sound mit starken, klaren Melodien. Ich mag dieses Denken nicht, ich würde etwas anführen, und wenn niemand dich begleitet, kannst du sowieso nicht führen.

Warum wählten Sie als Instrument die Trompete?

Das ist zunächst durchs Hören gekommen, und wenn man dabei bleibt, geht es über das Atmen – dieses ständige Hyperventilieren! Alle Bläser sind Luft-Junkies [lacht]! Alle! Drei Stunden voll Luft geben bei einem Konzert, dann wei&szligt du, was das mit dir macht, was dabei passiert – und das ein ganzes Leben lang! Und ich hatte schlie&szliglich Erfolg mit diesem Instrument. Meine erste CD erschien bei einem kleinen Label, und nach einem Jahr kannte die jeder. Ich freue mich, dass ich ein Stück der Trompetenwelt anfügen konnte, das vorher noch nicht da war. Es gibt immer etwas Neues.

Woher kommen Sie eigentlich?

Alle Trompeter kommen vom Land [lacht]. Ich habe mit Blasmusik angefangen. Ich bin in Burgenland, in Tadten im Seewinkel, geboren und wuchs auf einem Bauernhof mit Gemüse- und Weinanbau auf. Die Bürger spielen Klavier und Geige, die Streicher kommen aus besseren Häusern. Als ich während meines Studiums eine Lähmung in der Oberlippe bekam (die nie mehr ganz wegging), habe ich u. a. Arrangements für den »Musikantenstadl« gemacht, für Jazz Gitti, … einfach jahrelang komponiert. Bei Andy Lee Lang habe ich mit kaputter Lippe, mit kaputtem Ansatz gespielt! Dann kam ich zur Avantgarde, zu den experimentierfreudigen Menschen. Es ist Suche gefordert, Tun ohne Suche ist nichts. Ich arbeite dauernd, ich habe seit fünfzehn Jahren nicht mehr richtig geschlafen (lacht), ich bin dem Leben gefolgt, dadurch ist es leicht gewesen. Das Trauma hat mir sehr geholfen, es hat mich zwar komplett aus allen Bahnen geworfen, aber ich schöpfe aus dem Trauma, daher denke ich immer: ernst oder gar nicht. Auch wenn es noch so hart war. Wenn du einem jungen Burschen die Trompete wegnimmst, ist alles weg, die ganze Identität ist weg. Aber die Verletzung war auch lange eine Entschuldigung, im Sinne von »Ich könnte eh, aber ich kann gerade nicht …« [lacht]. Die Verantwortung liegt bei mir, das wei&szlig ich heute. Ich kann auch mit einem Luftballon Musik machen – ich muss es zwar nicht, zum Glück. Mittlerweile habe ich aber alle Vorstellungen über Missbildungen weggearbeitet. Zwanzig Jahre lang unterrichtete ich an der Universität Improvisation und Strukturanalyse, viele Jazzmusiker waren bei mir. 2008 bin ich ausgestiegen aus all diesen hölzernen, bürgerlichen Vorstellungen, um ganz frei zu sein.

Franz Hautzinger spielt bei der »TRAUMA«-Ausstellungseröffnung von SOHO in Ottakring (siehe skug empfiehlt).

Ein weiteres Interview von Kerstin Kellermann mit Franz Hautzinger ist im Augustin (# 317) erschienen:
Franz Hautzingers Weg vom Musikantenstadl zur Avantgarde.
Das Gegenteil vom Trompeten-Tütü

Auch nachzulesen auf www.kerstinkellermann.com

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