Wer solch einen zäh fließenden, von metallischem Junk und präparierten Akustikgitarren durchdrungenen Maelstrom schätzt, sollte www.napalweb.sk besuchen oder napalmed@volny.cz kontaktieren. Sammlerstück! Seelenverwandtes, doch Weltoffeneres bieten die »Sum Trake II Noise Tapes« (www.egoboobits.net oder www.geocities.com/paaajo), eine in selbstgebrannter Auflage erschienene CD von DRAGAN PAJIC PAJO. Der kroatische E-Gitarrist erweist sich darauf als vielseitiger Improvisator, der mit heimischen und holländischen MusikerInnen zwischen Elektronik und freiem Jazz das Schwergewicht auf Industrial on Acid legt. Klingt streckenweise, als ob Eugene Chadbourne ein Industrialalbum eingespielt hat, doch gibt es durchaus auch ätherisch-lyrische Momente. Also driften wir in beschaulichere Gefilde: Das slowakische Sitzdancefloor-Projekt ABUSE samplet Bekanntes wie Unbekanntes und webt daraus einen stilvollen Soundteppich für faule Herbst- und Winternachmittage. »Sleepfields« (www.deadred.sk) beschwört dämmriges Twilight, das auf zwei Tracks gar mit Dubbässen unterfüttert wird, herauf. Diese Mini-CD wird von www.tamizdat.org vertrieben, wie auch folgende drei CDs: SQUALL nahmen »How Things Work« in Prag auf. Dort haben sich tatsächlich drei Exilwestler aus Kanada, Irland und England zusammengetan und wurden schon nach dem zweiten Livegig von Silver Rocket Records gesignt. Lange, getragene Postrock-Exkursionen mit psychedelisch zwirbelnden Gitarren- und Bassläufen sind eher die Ausnahme, denn das Trio kann auch mächtig aufdrehen. Wenn verzerrte Gitarren verdächtig an Sonic Youth oder Shellac gemahnen, wird rohe Energie frei, die sich in kürzeren Songs Bahn bricht. Historisches schicken dagegen NE ZDAHLI, die »Dedicated to Marina D/She-Ye-Ye« (Solnze) 1988 im Studio des Russian Dramatic Theatre in Tallinn einspielten. Die Theatraliker aus dem estnischen Teil der Sowjetunion waren damals schon begnadete Stilberserker mit verwinkelter Musik. So ist »March« ein unglaublicher Bastard: Das Piano rollt fast in einen Latin/Reggaerhythmus, Schlagzeug und Bass marschieren, und die Bläser jazzen. Auch vergeht sich die Combo um Gitarrist/Sänger Leonid Soybelman an Bossa und intoniert wackelige Reggaerhythmen mit dröger Sixtiesbluesrockgitarre. File under: baguk@infonet.ee (Kontakt Ne Zdahli) oder solnze_records@mail.ru. Gleichfalls dort erschienen ist ein Sideprojekt von Messer für Frau Müller: Die MESSER CHUPS feat. Lydia Kavina spielen auf »Black Black Magic« loungy twangy Surf-Klassikaner mit Titeln wie »Agent Tremolo«, »Lo-Fi Woman«. Herausragend: der Frauenstimme-Nach-Oben-Schrauben-Wahnsinn »Ich lerne, mich zu beherrschen«. Höret B-Movie-Sounds from Russian TV, cheesy Orgeln, wirbelnde Analogsynths, schneidige Surfgitarren und das jenseitig-hysterische Theremin von Lady Kavina. Erfrischend!
Den Sprung in den Westen geschafft hat Ivan Pavlov. Als COH ist der Russe seit 1998 Raster-Noton-Artist und hat auch schon mit zwei Coil-Mitgliedern kollaboriert. Seine Musik aus der »Mort Aux Vaches«-Serie von Staalplaat ist Laptop-generiert, bietet aber nicht Klischee-Glitches, sondern besonders gegen Ende gelungene, pluckernd wabernde Sounds, die deep maschinenbrummend Atmosphäre verströmen. Eindeutig poporientierter sind die glückselig machenden, melancholischen Klänge von TIGRICS. »Chromalion« ist voll pulsierender Instrumentalsongs, die nie so kitschig wie etwa jene von Bernhard Fleischmann wirken, sondern ideensprühend ein Thema umkreisen, etwa im selbstredenden »SmallsomeDub«. Erhältlich ist diese Pretiose bei www.uh.hu, Ungarns schmal, aber bestsortiertem Indielabel. Erkennungsmarke: Durchsichtige, praktisch zu öffnende Plastikhülle mit aufgeklebter, nüchterner Typografie. Auch S.K., die Improkönige Zsolt Kovács und Zsolt Sõrés, veröffentlichen bei der Ultrasound Foundation. Die 2/3 Abstrakten Monarchisten vermessen auf »lessness« präzise Landkarten mit wenigen Orten. Klare, überschaubare, bedächtig aufgetürmte Soundscapes, die einer tabletop guitar bzw. tabletop viola, bowed cymbal und diversen Objekten entlockt werden, warten aufs Entdecktwerden.
Anna Nacher, vocal goddess of Poland
Von »The Wire« schon gefeatured wurde das MAGIC CARPATHIANS PROJECT (MCP) aus Nowy Sacz. Auf »Ethnocore 3: Vak« (Fly Music/www.vivo.pl) beunruhigt Anna Nacher mit langgezogenen Leidensvocals. Bassgitarren schleichen drohend langsam und selbst diesmal spärlich verwendete Ethnoinstrumente wie eine Karpatenharmonica züngeln wie gefährliche Giftschlangen. Kalte Schauer rinnen über den Buckel, als ob Lydia Lunch und Diamanda Galas gleichzeitig losgelassen wären. Anna Nachher hat sich von indischen Frauenritualen inspirieren lassen – Vak ist eine Hindugöttin, die Musik verkörpert – und muss ob dieser aufwühlenden, bluestriefenden Platte zur Frau mit der ausdrucksstärksten Stimme des Jahres 2002 verklärt werden. Abgrundtief magic! Kontakt: nytuan@ceti-pl. Das MPC gibt sich ja selbst das Etikett »Electroacoustic ethno-drone from Carpathians« und kommt diesem in »Water Dreams« (Fly Music) näher. Nacher & Marek Styczynski, der MPC-Kern, spielen eine Unzahl von Instrumenten wie Slovakian Pastoral Fujara oder Tampura, doch verästelt sich die Musik zu sehr in beinah kitschigen Sphären und das Booklet mit Fotos von Zygmunt Stenwak ist dieser schlechten Stimmung recht ähnlich. WOLFRAM kontert mit dem Album »Atol Drone« (polycephal.terra.pl). Dominik Kowalczyk ist Wolfram und taucht damit in subsonischere Tiefendimensionen, die infolge langgedehnter Irgendwie-doch-Melodiebögen nicht das schaurige Potential des MCP erreichen. Er lässt gerne seine Industrialvergangenheit durchblitzen, wie auch das verfremdete Cover zeigt: Ein Taifun hat nicht wenige Palmen geknickt. Kowalczyk hat auch an der Konzept-Reihe »even more special series« (Mik.Musik/wojt3k@artcom.pl) teilgenommen: »wolfram – superrecombination-sys« bedeutet, dass seine Tracks, die auch auf Vol. 1 aus der Serie basieren, von einem Nachfolgeact remixt werden, um dann, nochmals von Wolfram bearbeitet, musikalisch abgedrehter zu funkeln. Von schmerzvoll stöhnend bis kraftvoll dröhnend. Postindustrialized! Genial! Der Remix von von Wolframs Vol. 2-CD ist aber total verunglückt: »e.m.s.s. vol. 3 (remix of vol. 2)??? von »opopop – caro de computar« nervt, weil hier auf 13 Minunten herunterkomprimiert wird und die Schnittmenge zu sehr nach verstaubter Elektroakustik klingt. Der Rest der CD-CDR funktioniert leider nur am Mac.
Spektakulärer hebt *RETRO*SEX*GALAXY* mit »*entertaining*physics*« (Mik.Musik) an. Wojtek Kucharczyk setzt wummernde Bassfrequenzen und introspektiven Klingklang genauso ein wie wohlkalkulierte Drumsounds und stellt in den Tracktiteln, inspiriert von Perelmans Pop-Wissenschaftsbuch, physikalische Fragen wie »Do Rays Of Cold Exist?«. Ein intellektuell wie musikalisch anregender Volltreffer. Hedonistischer ist das »City Magazine???, eine dem Wiener »Falter« ähnliche Stadtzeitung, die in den größten polnischen Städten erscheint, und die Elektronikmusik-Kompilation »Warszawa: sciezka dzwiekowa« (Sony Music Entertainment Polska) verantwortet. Talente sind z.B. der verträumte Poxe, der jazz-dubbige Adamus oder Jacek Sienkiewics, Polens Pole. ARKONA ist mit dem wuchtigen Melodiemacher »Pekin« vertreten, der auch auf seinem Album »Permanent Vacation« (Sandoz Lab/arkona.suka@wp.pl) zu finden ist. Darauf kommt zunächst krudes Hawaii-Feeling auf, ehe er sich doch seiner Bestimmung krautiger Dub feat. Waldpilzextrakte besinnt. Auch
ein Stück von ELEKTROLOT fand sich auf der »City Magazine«-CD. Das selbstbetitelte Debüt auf www.teetorecords.com wartet neben einem traumhaften Bizarre-Fluggeräte-Booklet mit verspielten Sounds auf. Bundloser Bass, Keyboards und Gitarre/Sampler agieren in einem Freiraum, wo rohe New-Wave-Fetzen auf avantgardistische wie naive Melodien treffen und viel Sinn für verquere Arrangements verschwendet wird. Elektrolot wollen höher hinaus, trotz gegenteiliger Kontaktadresse: lowend@tlen.pl