Oh, schön, denke ich gleich zu Beginn beim Hören der »Poly EP« (Zoikmusic/Word&Sound) des mir vorher unbekannten TAPRIKK SWEEZEE. Gibt es für diese Musik eigentlich schon eine Genre-Schublade? Soulige Vocals mit Pop-Appeal, darunter und darüber aber eröffnen sich rauschige Räume, Lo-Fi-Geblubber, Glitch-Synthies und stolpernde Beats. Catchy und irgendwie doch nicht greifbar und somit sehr super. In eine stilistisch nicht unähnliche Bresche schlägt der Elektroniker DAEDALUS mit seinem neuen Album »Bespoke«(Ninja Tune/Hoanzl), wenn auch das Ergebnis ein anderes ist. Eine elf Nummern lange bunte Trickkiste, broken Beats aus Schlagzeug und Computer. Oft kommen auch Vocals dazu, doch auch der durch sie erzeugte poppige Charakter wird durch das ?bereinanderschichten zahlreicher anderer Spuren wie etwa Synthielines gebrochen. Aus »komplex und verwurschtelt« wird dann in manchen Fällen aber »nervig« (»What Can You Do«, »French Cuffs«), allgemein ist »Bespoke« aber schon ein gutes Album.
Der Künstlername des russischen Duos WOLS steht für die Umkehrung von Slow, außerdem in einem russischen Dialekt für einen »langsamen und von der Realität entrückten Menschen«. Dass dies durchaus positiv konnotiert sein kann, beweisen die beiden mit ihrem Album »Unframe« (Pingipung) mit echt okay-em, verdrehtem Dubstep, zerschnipseltem Techno (»Liquid Meets Discrete«) und Electronica. Dabei entsteht die Musik immer durch eine originelle, unkonventionelle Zugangsweise und klingt demnach ziemlich erfrischend. Die Künstler des folgenden Abschnittes bleiben da schon mehr innerhalb der Genregrenzen. Der amerikanischstämmige Spanier Eric Estornel legt als Maetrik seit über zehn Jahren in großer Regelmäßigkeit 12“s vor, die musikalisch düstere Technowelten erschließen. Unter seinem Alter Ego MACEO PLEX ist sein Sound leichtfüßiger. Funky, deeper House mit dunkler Danceloor-Electroschlagseite, den er in zwölf Nummern auf seinem Maceo Plex-Debütalbum »Life Index« (Crosstown Rebels/Hoanzl) nahtlos aneinanderfügt, wodurch die Platte auch als tanzbares DJ-Set funktioniert. Warum auch nicht.
Der schwedische alte Produzenten-Hase AGARIC fragt sich im Titel seines ersten Full-lenght-Albums zwar »Who Made Up The rules« (Ovum), um diese in seiner Produktionsweise aber doch brav einzuhalten. Was macht man mit so einem Album? Auflegen. Ein gutes Techno-Album, keine Frage, von gemäßigt bis pumpend ist alles dabei, perkussive Elemente ebenso wie ab und zu verhallte Vocals, kleine, wieder erkennbare Motive, eine fette Bassdrum. Das muss als Konzeptalbum aber nicht unbedingt sein, ist für professionelle DJs aber sicher nützlich, denn kicken tut das ja trotzdem. Ein Stückchen wurschter hingegen kommt »On The Road« von JACEK SIENKIEWICZ (Cocoon) die Straße entlang. Solche Alben sind ein Grund dafür, dass dieses Format jahrelang totgesagt wurde. Den einzelnen Stücken soll dies zwar keineswegs Qualität absprechen – sieben von acht Tracks sind gut produzierter, oft feingliedriger Techno mit vorsichtigen Blicken über den Genrerand, der abschließende Zehnminüter dann eine Art Chill-out-Nummer, die dann tatsächlich nur so mittelprächtig ist. Aber als Ganzes kann ich mich für Sienkiewicz‘ viertes Werk nicht erwärmen. Für den Clubeinsatz dann doch zu verkopft, für Zuhause aber zu beiläufig.
Dafür hier jetzt einer, der wirklich weiß wie?s geht: Genau zehn Jahre nach dessen Erscheinen bringt der schwedische Produzent ARIL BRIKHA sein Album »Deeparture In Time« in einer »Revisited« (Art of Vengeance/Word and Sound)-Fassung neu heraus. Brikha, der schon in jungen Jahren stark vom Detroit Techno rund um Transmat und M-Plant Records beeinflusst wurde, zeigt darauf eindrucksvoll, dass er tatsächlich genau verstanden hat, worum es seinen Vorbildern aus der Motor City musikalisch ging. Deep, atmosphärisch, genau auf den Punkt pulsieren seine Kickdrums, die Synthesizeratmosphären treffen genau den richtigen Ton zwischen kühl, aber doch nicht distanziert, und als Bonus legt Brikha noch eine zweite CD mit zehn unveröffentlichten Tracks drauf. Dieser Re-Release reißt nicht nur »De:Bug« zu Begeisterungsstürmen hin.
Von ELLEN ALLIENs letztjährigem Album »Dust« war ich persönlich ja nicht gerade begeistert. Ihre Idee, das eigene Stimmchen in hauchig-flüsternder Manier allzu oft einzusetzen und aus einem Teil ihrer Tracks Songs zu machen, ging leider nur bedingt auf. Dafür hat sich die Berliner Grand Dame des Techno für die »Remixes«-Ausgabe ihres Albums (bpitch control) so ungefähr die coolsten möglichen Remixer überhaupt an Board geholt. Das neue New Yorker Electronica-Wunderkind Nicolas Jaar, Melancholie-Klavier-Deep-House-Meister John Roberts, Detroit-Veteranen Aux 88, Ambient-Wizard Tim Hecker oder den Leipziger Spezialisten für allerdeepste Housekompositionen, Kassem Mosse. Lyrics wie »It’s up to you to feel huibuh« werden dadurch zwar auch nicht besser, treten aber immerhin in den Hintergrund. Nicolas Jaar sieht das wohl ähnlich und hat die Vocals gleich vollständig durch seine eigene, verfremdete Stimme ersetzt (dass er dabei »flashy flashy lights« singen muss, dafür kann er nichts), eine Prise Percussions und Handclaps dazu, langsame Synthiechords, fertig. Alles in allem schon eine echt okaye Remixsammlung.
Wenig überraschend mit einem Knall meldet sich dieser Tage auch die Ed Banger-Posse zurück. Unter dem leicht bemühten Titel »Let The Children Techno« (Ed Banger) präsentieren die Labelbosse Busy P und DJ Mehdi eine Werkschau über neues und altes Material aus ihrem kunterbunten Artistpool. Die französische Hit-Schmiede, die den Electro-Punk-Rave-Trend vor einigen Jahren mit Acts wie Justice, Mr. Oizo, SebastiAn oder Uffie zu einem großen Teil mitverantwortete, gibt so ein kräftiges und, wie es ihr gebührt, rotzig-lautes Lebenszeichen in gewohnter hoher Qualität von sich, aber ob sie den Hype zum wiederholten Male wiederbeleben können, bleibt fraglich.
Das Schweizer Duo ROUND TABLE KNIGHTS steht für poppigen, funky House, der ebenso radio- wie club- und sommerhittauglich ist. Inspiration holt dieser sich auch auf ihrem neuen Album »Say What?!« (Made to play/Rough Trade) dabei aus allen möglichen Stilen wie HipHop, Electro und Jazz, verwendet immer wieder gerne Trompeten- oder Saxofonsamples und bei »Calypso« die obligatorische, karibische Steelpan. Manchmal gerät er dabei in die Nähe der musikalisch ähnlich ausgerichteten Franzosen Noze (»Cut To The Top«). Der Titeltrack des Albums, den die Ritter gemeinsam mit den österreichischen Durchstartern Ogris Debris aufgenommen haben, ist bei uns bereits ein kleiner Alternativ-Radiohit, den doch stark kommerziellen Einschlag des Albums muss man halt mögen.
Zev Eisenberg und Gadi Mizrahi alias WOLF+LAMB sind zwei der zur Zeit am heißesten gehandelten Produzenten im House-Bereich; das »De:Bug«-Magazin schrieb ihrem ebenfalls Wolf+Lamb betitelten Label sogar die elektromusikalische Wiederbelebung der amerikanischen Ostküste zu. Tatsächlich stammt mit Deniz Kurtel, Nicolas Jaar oder Soul Clap gleich eine Handvoll junger Talente aus dem Dunstkreis ihres Labels, und auch ihre eigenen Produktionen halten regelmäßig das hohe Niveau. Für ihren aktuellen Beitrag zur »DJ Kicks«-Reihe (!K7/Hoanzl) holen sie sich die eben erwähnten SOUL CLAP ins Boot und fabrizieren zu viert einen tatsächlich großartigen House-Mix in sehr gemäßigtem Tempo voller Soul, Funk und Sex. Dass dabei knapp die Hälfte der Nummern aus ihrem eigenen Label-Umfeld kommt (oder einer der vier zumindest indirekt seine Finger im Spiel hat), ist nur ein weiteres Zeichen für die absolute Rechtmäßigkeit des Hypes um sie. Nur, warum alle vier am Cover weinend abgebildet sind, mag man nicht verstehen, denn der Mix ist ein reiner Grund zur Freude.
FRANK BRETSCHNEIDER kennt man bereits aus dem Umfeld von Electronica- und Klangkunst-Labels wie Mille Plateaux und Raster-Noton; nun wartet er erstmals mit einem Album für Shitkatapult auf. Der Reiz von »Komet« liegt im Detail seiner sieben feingliedrigen Tracks. Im Prinzip ist das eine Art Minimal-Techno, denn ein sanft pluckernder Beat ist allen Stücken gemein. Rundherum aber fließt und ziept es, ein kleines Elektronik-Biotop, das dann mit dem ursprünglichen Begriff Techno nichts mehr zu tun hat. Ein fein ziseliertes Klanguniversum, um sich darin fallen zu lassen.
Rock hat seinen Postrock, Techno bekommt spätestens mit dem folgenden Album wohl seinen Posttechno: Das Wiener Duo ROTTERDAM erzeugt auf seinem Debütalbum »Cambodia« (Everest Records) mit Hilfe einer akustischen Gitarre, Flöte, Cello und »Elektronik« minimalistische, post-technoide Soundscapes von großer Anmut. Anders als bei einigen der aktuellen Techno-Livebands wie Elektro Guzzi oder Brandt Brauer Frick werden hier nicht Ästhetiken aus der elektronischen Tanzmusik mit konventionellen Instrumenten umgesetzt, sondern minimale Bausteine daraus mit teils analogen, teils digitalen Mitteln aneinander gereiht und verdichtet, bis ein sonorer, hypnotischer Klangteppich entsteht, der selbst zu atmen scheint und nie in starren Strukturen verharrt. Repetitiv, ohne stehenzubleiben, »Krautrock für das dritte Jahrtausend« sagt der Pressetext und hat damit recht.