Davko – »Davko« © Hair Del. Records
Davko – »Davko« © Hair Del. Records

Grundrauschen #2

Der Februar bringt einmal mehr einige interessante Kassettenveröffentlichungen mit sich. Neben virtuosen Jazzimprovisationen aus Russland, rebellischen Feldaufnahmen aus Australien und zwei in Vergessenheit geratenen Stimmen der griechischen Diaspora in den USA gibt’s diesmal zwölf prägnante Elegien als Hommage an den Avantgardisten Pierre Boulez sowie dunkel-ätzenden New Wave aus Zagreb. Im Überblick zusammengefasst von Christoph Benkeser.

Davko – »Davko« (Hair Del. Records)
Davko ist eine fünfköpfige Band aus St. Petersburg. Auf dem russischen Avantgarde-Kassettenlabel Hair Del. Records veröffentlichten sie nun ihr erstes, selbstbenanntes und auf 15 Stück limitiertes Album. Darauf zu hören sind wunderbar verträumte Improvisationen, die großteils von Slava Ipatov und seinem virtuos anmutenden, jedenfalls aber brillant umgesetzten Flöten- und Saxophonspiel getragen werden. Davko, »dedicated to unconscious movements of spirits«, lediglich auf die brillante Beherrschung von Holzblasinstrumenten zu reduzieren, würde dem Anspruch der Band aber keinesfalls gerecht. Die Stücke liebäugeln mit erstklassig ineinander übergehenden Jazzimprovisationen und machen der Krautrock’schen Tradition durchaus ernst gemeinte Avancen. In Kombination mit dem phasenweise recht beißenden Stakkato eines Rhodes Pianos (Andrei Korobeinikov) und dem lässig verschleppten Bass (Stanislav Kolpakov) trägt Anton Glebov (Schlagzeug) mit sanft-wischenden Bewegungen des Jazzbesens gerade genug Rhythmik in die Stücke, um sie nicht gänzlich auseinanderbrechen zu lassen. Das resultiert vor allem in einer abwechslungsreichen Dynamik, die durch verhallte Gitarrenakkorde (Denis Shmilov) an Tiefe gewinnen. Die Stimmung auf den elf Stücken ist überschäumend, aufgeladen. Verrucht wie in einem versteckten Kellerlokal nach zwei Uhr früh und doch auf interessante Weise verspielt genug, um nicht im Dunst des freier interpretierten Jazz unterzugehen. »Davko« ist ein großartiges Album für jene Menschen, die sich gleichermaßen in konventionellerem Jazz wiederfinden, experimentierfreudigen Ausflügen in die Welt des Krautrocks nicht ausschließlich skeptisch gegenüberstehen und dabei in manchen Momenten dennoch den Blick für Neues offenhalten wollen.

Wim Dehaen – »12 Elegies For Pierre Boulez/Ústí OST« (ACR)
Der Instrumentalist und Klangkünstler Wim Dehaen wird auf dem in London angesiedelten Label ACR mit einem scharfsinnigen Konzeptalbum vorstellig. Mit »12 Elegies For Pierre Boulez« gelingt Dehaen, der hauptberuflich als Chemiker arbeitet, ein abstraktes und trotz seiner kurzweiligen Form überaus interessantes Album, das in den zwölf Stücken jeweils schemenhaft um den französischen Komponisten Pierre Boulez kreist, ohne dabei den stupiden Versuch zu unternehmen, ihn zu kopieren. Es sind vielmehr bruchstückhafte Collagen, einzelne, lose aneinandergereihte Fragmente und verhallte Ausschnitte, die in dissonanten Überlagerungen den schwer zu fassenden Anspruch dieser Arbeit gründen. Die Stücke bieten jedenfalls wenig Halt, sie beginnen abrupt und finden ebenso jäh zu ihrem Ende. Wie elementare Prägungen greifen sie verschiedene Aspekte aus Boulez’ Arbeit heraus, fokussieren darin aber weniger auf dessen Rhythmik und Tonabfolgen als vielmehr auf die Klangfarben seiner impressionistischen Stücke. Das evoziert eine beklemmende und unheimlich wirkende Stimmung, die sich schaurig schwer über das Album erstreckt. Fast würde man glauben, Boulez selbst habe seine Stücke von innen nach außen gestülpt, sie in einen hermetisch abgeschlossenen Metallkäfig gesperrt und unter Wasser zur Aufführung gebeten. Die B-Seite, ein Score zu einem Kurzfilm des tschechischen Regisseurs Lukáš Janičík, bietet hingegen freundlichere und annehmbarere Texturen. Es ist ein immer wieder aufbauschendes, im höheren Frequenzbereich angesiedeltes Drone-Stück, das sich im Laufe der knapp elf Minuten zunehmend mit angenehm aneinander anschmiegenden Pad-Sounds vereinigt. Das klingt harmonisch und stellt einen stimmigen Gegensatz zu den auf der ersten Seite eher düster vorgetragenen Elegien dar. Wim Dehaen setzt mit diesem Album ein anspruchsvolles Konzept um, das sich ambientöseren Konventionen mehrheitlich verschließt und gerade deswegen so interessant klingt. Großartig!

George Katsaros – »Greek Blues in America, Vol. 1« & Kostas Dousas – »Greek Blues in America, Vol. 2« (Death Is Not The End)
»Death is not the end« sang Bob Dylan 1988 auf seinem sonst eher schmalspurigen Album »Down in the Groove«. Dass der Tod nicht das Ende, und die Erinnerung nicht das einzige ist, was übrig bleibt, wenn wir alle irgendwann einmal das Zeitliche segnen, muss hier als bescheidene Gewissheit genügen. Luke Owen, Gründer des britischen Labels »Death Is Not The End«, trägt jedenfalls seinen ganz persönlichen Teil zu dieser Vorstellung bei. Seit 2014 veröffentlicht er von Vergessenheit bedrohte und im sprichwörtlichen Rauschen der Zeit untergehende Musik. Vor allem die aus unterschiedlichen Orten stammenden Blues- und Gospel-Songs der späten 1920er-, 1930er- und 1940er-Jahre haben es dem Briten angetan. Owen durchforstet dafür akribisch die Archive, immer auf der Suche nach interessanten Geschichten und – wie er sagt – »rohem« und aus der öffentlichen Wahrnehmung größtenteils verschwundenem Klangmaterial. Zuletzt erschienen im Februar zwei Kassetten: »Greek Blues in America« Vol. 1 und Vol. 2. Die jeweiligen Editionen sind im speziellen den stark rauschenden Originalaufnahmen von George Katsaros und Kostas Dousas gewidmet. Zwei Griechen, die Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA emigrierten und dort mit ihrem breiten Repertoire an griechischer Volksmusik über New York hinaus zur Stimme der hellenischen Diaspora wurden. Rembetiko – der »griechische Blues«, war die Musik der Entwurzelten und Ausdruck von Schmerz und Heimatverlust. Besungen wurden die Liebe und das Leid, die Drogen und das Gefängnis fanden inhaltlich ebenso Einzug wie der permanente Widerstand gegenüber staatlicher Repression. Es sind die Themen der armen Leute, außerhalb der damaligen bürgerlichen Gesellschaft – gefühlvoll, traurig, oft melancholisch vorgetragen und verbunden mit einzigartiger Gitarrentechnik. »Greek Blues in America« offenbart einen ethnologischen Blick auf das Leben griechischer AuswandererInnen in den USA des frühen 20. Jahrhunderts und legt die Stimmen zweier langvergessener Protagonisten frei. Ausdrückliche Empfehlung!

MP Hopkins – »Aeroplanes & Puddles« (mappa)
Von ausgedehnten Spaziergängen an der frischen Luft profitiert nicht nur der Körper, sondern auch der Geist. Das dürfte sich wohl auch Matthew Philip Hopkins gedacht haben, als er die von der Globalisierung eher unbeeindruckte, möglicherweise aber auch einfach vergessene Industriezone rund um den Sydenham Bahnhof im Süden Sydneys erkundete. Ausgestattet mit Mikrophonen nahm er dort allerhand Umgebungsgeräusche auf. Entfernte Sprachfetzen der wenigen verbliebenen BewohnerInnen, die sich skrupellosen UnternehmerInnen entgegenstellen und eisern ihre Behausungen verteidigen. Dazu das beständig anschwellende Geräusch von Flugzeugen, zuerst leise am akustischen Horizont auftauchend, um dann überfallsartig und mit markerschütterndem Lärm eine Schneise in die Gehörgänge zu ziehen. Hopkins versteht es, der Umgebung Details zu entlocken und sich zurückzunehmen, selbst nur dann einzugreifen, wenn es überhaupt nötig ist. So rezitiert er an manchen Stellen völlig emotionslos und in abwesend unterdrückter Stimme einige Fragmente der letztjährigen australischen Budgetrede. »On the edge of change« – größer kann der Kontrast nicht dargestellt werden. Weder im Text noch in der spärlichen Untermalung ist viel Lebensbejahendes zu finden, und doch löst das kontemplative Zuhören – wenn man sich denn die Zeit nimmt – ein Gefühl von Freiheit aus, das sich gerade dadurch ausdrückt, dass es trotz seltsam außerweltlicher Resonanzen scheinbar nichts zu befürchten gibt. Noch scheint die Gefahr in Form der Enteignung in weiter Ferne – ganz so, als wären die multidimensionalen Klangflächen nichts anderes als reißfeste Fallnetze, die Sicherheit vermitteln, wo keine zu vermuten wäre. Wie bei so vielen anderen Field-Recording-Arbeiten ist der kontextuelle Rahmen entscheidend. In diesem Fall wird er in aufwendig gestalteten Liner-Notes und anderen handschriftlichen Notizen nachgezeichnet. Hopkins erzählt als beflissener Sound-Journalist die Geschichte von Ungerechtigkeiten und Widerstand. Er tut dies auf seine Art und lässt die Natur zu Wort kommen. Erschienen ist »Aeroplanes & Puddles« auf dem slowakischen Label mappa.

Neon Lies – »II« (Black Verb Records/Cosmic Brood Records)
Goran Lauter ist sicher eine illustre Figur in der hochinteressanten Zagreber Post-Punk-Szene. Bei unterschiedlichen Bands wie The Babies, Dykemann Family und The Celetoids hat der Kroate in der Vergangenheit seine gitarristischen Ideen miteingebracht, was im letzten Jahr zumindest zweimal in Wien zu bewundern war. Solo ist Lautar wiederum seit Ende 2016 mit dem Projekt Neon Lies unterwegs. Zwei Alben sind seither produziert. Der neuste, schlicht »II« genannte Tonträger erschien im Februar auf dem Berliner Kassettenlabel Black Verb Records in Kooperation mit Cosmic Brood Records. Darauf zu hören sind stoisch repetitive Synthesizer-Arrangements, gefährlich resonierende Gitarrenakkorde und eine von höchstem Respekt zollende Pastiche des Suicide-Sängers Alan Vega. Soweit, so einladend. Die Texte sind zwar vergleichsweise einfach gehalten und haben mit der vegaesken Brutalo-Poesie wenig zu tun. Dafür lässt sich der belanglos dahingeschlatzte Stil, mit dem Lautar karge Worthülsen im zischelnden Delay ihrer eigenen Resonanz untergehen lässt, eindeutig auf das Schaffen der New Yorker New-Wave-Pioniere zurückführen. Durch eine Armada von verfremdenden Effekten geschliffen, kann nicht mit letzter Bestimmtheit gesagt werden, was auf den elf Stücken genau besungen wird. Ist aber auch ehrlich wurscht. Gefällige Titel wie »Ephemeral Meeting«, »Kill Us« oder »I Will Always Fuck It Up« lassen nämlich die vage Vermutung zu, dass es sich dabei eher weniger um einen vergnüglichen Nachmittag im Park handelt. Zu den existentialistischen Texten kommen so rudimentäre, ungleich eingängige, wenn auch dunkel-ätzende Synthesizer-Melodien, die sich in ihrer ständigen Wiederholung nicht abnutzen wollen, durch die heillose Übersteuerung aber ziemlich gut neben krachenden Gitarrenakkorden machen. Die Drums kommen entsprechend aus dem Computer und preschen meist im straightem Viervierteltakt nach vorne. Neon Lies ist die technoide Desillusionierung zwischen Punk und Electro. Tanzbar und schön und demnächst wieder in Wien zu hören: am 26. Februar in der Brunnengasse (AU).

»Grundrauschen« im Radio
»Grundrauschen« ist nicht nur der Name dieser Kolumne, sondern auch ein Gefühl, das sich in und mit Musik beschreiben lässt. Auf Radio Orange 94.0 wird jeden dritten Dienstag im Monat ab 21:00 Uhr genau diesem Gefühl nachgespürt – mit interessanten KünstlerInnen und experimenteller Musik, die sich dem Mainstream weitläufig entzieht. Je größer die Verstärkung, umso deutlicher das Grundrauschen.

Link: https://o94.at/radio/sendereihe/grundrauschen/

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