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Trivial pursuit

Kennen Sie Jean Louis Costes? Der Wahnsinnige, der vollkommen nackt singt. Der große Moralist des 20. Jahrhunderts, aber auch der Rekordhalter unter den französischen Künstlern, weil er nunmehr seit acht Jahren - nach Marquis de Sade, Jean Genet und anderen - von der Justiz verfolgt wird. Im Interview mit Noël Akchoté kommt er zurück zu den Motiven und Anklagen.

Trivial pursuit

Kennen Sie Jean Louis Costes? Der Wahnsinnige, der vollkommen nackt singt. Der große Moralist des 20. Jahrhunderts, aber auch der Rekordhalter unter den französischen Künstlern, weil er nunmehr seit acht Jahren – nach Marquis de Sade, Jean Genet und anderen – von der Justiz verfolgt wird. Im Interview mit Noël Akchoté kommt er zurück zu den Motiven und Anklagen.

skug: Wofür genau klagt man Dich an?

J.L.C.: Man klagt mich an, in meinem Werk das Böse zu propagieren. Einige der Personen meines Werks sind sicher amoralisch und gewalttätig. Die Situationen, die ich in Szene setze sind extrem und repräsentieren eine sehr derbe Art. Meine Gegner behaupten, dass mein Werk die Grenzen der freien Meinungsäußerung überschreitet, dass ich mein Publikum zum Verbrechen anstachle und einen schlechten Einfluss auf die Gesellschaft ausübe.

N.A.: Wer klagt dich an?

J.L.C.: Die Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte und die Antirassisten.

N.A.: Warum so viele aufeinander folgende Prozesse, und aus welchen Gründen hören sie acht Jahre später immer noch nicht auf, Dich zu verfolgen?

Vorwand, die Moral zu schützen
J.L.C.: Seit acht Jahren werde ich mit einer außergewöhnlichen Hartnäckigkeit verfolgt. Der gegen mich geführte Prozess ist mit seinen 2522 Tagen der längste je gegen einen französischen Künstler geführte! Ich verstehe die Hartnäckigkeit meiner Gegner nicht, die genau wissen, dass ich kein Verbrecher, sondern ein Künstler bin. Ich habe den Eindruck, dass diese Menschen unter dem Vorwand, die Moral zu schützen, die Kultur, den individuellen Ausdruck und schlussendlich die ganze Gesellschaft kontrollieren wollen. Die moralischen Bünde stehen im Dienst der großen ökonomischen Interessen. Indem sie mich zerstören, statuieren sie ein Exempel, um anderen Angst zu machen.

N.A.: Wie sieht Deine Verteidigung aus (Gründe und Plädoyer)?

J.L.C.: Sie ist evident. Ich bin kein Politiker. Ich bin kein Krimineller. Ich bin Künstler. Ich präsentiere die Welt, so wie sie ist, in all ihren Widersprüchen. Die Kunst war in Europa seit jeher der Ort der symbolischen Überschreitung und der Repräsentation des Bösen. Ich schreibe mich in diese Tradition ein. Es wäre erstens unehrlich, bestimmte Tatsachen, wie z.B. den Rassismus oder die Pädophilie, einfach mit Schweigen zu belegen. Das würde mein Werk vollkommen uninteressant machen. Und meinem Werk eine moralische Botschaft beizumengen, würde aus ihr Propaganda und nicht Kunst machen. Ich lehne beides ab. Ich lasse mich von guten wie von schlechten Dingen durchkreuzen und kotze, scheiße sie hinaus. Prozess hin oder her, ob ich gefalle oder nicht, die einzige Stimme der Kunst ist das Kotzen und das Scheißen.

N.A.: Wie sahen denn bisher die Verurteilungen aus?

J.L.C.: Ich wurde nie verurteilt. Ich habe bis heute immer gewonnen. Aber leider beginnen meine Gegner immer wieder mit ihren Attacken. In dem Moment, wo ich einen Prozess gewinne, reichen sie am nächsten Tag eine Klage ein!

N.A.: Wie wird Deiner Ansicht nach der Prozess ausgehen, und was verlangen die Kläger, um diese Prozedur abzuschließen (oder kann das alles noch 20 Jahre dauern)?

J.L.C.: Zu Beginn wollten diese pseudomoralischen Bünde mich kulturell verschwinden sehen. Prozess zur Schließung meiner Homepage, Druck zur Absage meiner Vorstellungen und Rücknahme meiner Platten aus den Geschäften. Belästigung am Telefon und per E-Mail, Morddrohungen, Attacken und Schläge auf der Straße und auf der Bühne. Aber sie wurden von meinem Widerstand und von der Unterstützung durch unabhängige kulturelle Szenen überrascht und wirken nun weniger heftig, oder weniger geradeheraus. Im Moment wollen sie die Zensur meiner Homepage und Geld.

N.A.: In welche Situation hat Dich dies im Alltag gebracht?

J.L.C.: In die Scheiße. Ich kann zwar meine Werke in den Milieus des Undergrounds verbreiten, aber ich habe keinerlei Zugang zu den wichtigsten Verbreitungsmedien (Fernsehen, große Hallen, Festivals …), was mich zu Elend verurteilt. Aber auf lange Sicht hin bleibe ich optimistisch, denn mehr und mehr Leute realisieren den Missbrauch, der von diesen Vereinigungen getrieben wird, die das Denken im Namen des Guten terrorisieren. Aber ihr Einfluss schwindet.

N.A.: Scheinbar bist Du als der verfolgteste Künstler Frankreichs ein trauriger „Rekordhalter“. Wozu inspiriert Dich das?

J.L.C.: Ja ich bin der Rekordhalter in der Kategorie Prozess! Das ermutigt mich manchmal und es lässt mich weiter machen, weil diese Konflikte mich stimulieren. Auf jeden Fall kann ein Künstler, der ans Ziel seines Werkes kommt, nur auf die Verfolgung treffen. Wenn man mein Werk zerstören will, ist klar, dass es soziale Wichtigkeit hat, eine Wirkung, einen Einfluss und schlussendlich einen Nutzen und einen Wert.

N.A.: Wirst Du von Organisationen, Freunden oder anderen Gruppen unterstützt?

J.L.C.: Ich werde von unabhängigen kulturellen Milieus unterstützt, aber von den großen Medien und politischen Parteien im Stich gelassen, die mehr oder weniger Komplizen jener Vereinigungen sind, welche den Mächten als Wachhunde dienen.

N.A.: Gab es bisher in diesem Prozess Angebote zur gütlichen Einigung zwischen den Klägern und Dir?

J.L.C.: Niemals. Ich hatte nie Kontakt mit meinen Gegnern. Im Prozess sieht man nur ihre Anwälte. Jene, die die Fäden in den Händen haben, zeigen sich nie und neigen nicht dazu, Kompromisse zu machen. Nur sie haben Recht, sie sind die Chefs und ich habe mich zu unterwerfen. Leider – für sie – bin ich keiner, der in die Knie geht. Ich sterbe lieber, bevor ich mich unterwerfe.

N.A.: Wie steht es unabhängig vom Prozess mit Deinen Projekten? Ich glaube einige Bücher, Platten oder Videos gesehen zu haben.

J.L.C.: Ich schließe gerade eine große Tournee mit meiner letzten pornosozialen Oper „Holy Virgin Cult“ ab (55 Vorstellungen in Europa und den USA). Ich bringe meinen Roman „Viva la merda“ heraus. Eine DVD der Tournee in den USA wird Ende Februar erscheinen. Ich bereite einen neuen Film mit dem Regisseur Edwin Brienen vor, in dem ich die Hauptrolle spiele. Ich nehme neue CDs für französische, amerikanische, deutsche und japanische Labels auf. Und ich werde im Sommer in einer deutschen Oper singen.

N.A.: Danke!

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Text
Alessandro Barberi (Übersetzung), Noël Akchoté

Veröffentlichung
07.06.2004

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