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Karen Geyer. Grautonorchester eine Klanglandschaft © dumpf.com

The Erlesene World Of Schrill

Sommerzeit, Geschenkezeit! skug präsentiert skurrile und schrille, vor allem aber erlesene Neuerscheinungen auf Vinyl und CD, die wahlweise dem besten Freund oder Feind geschenkt werden dürfen. Feat. Grauton, Betacicadae, Pascal Dusapin, Phantom Horse, Tomutonttu & Fang den Berg.

Grauton: »Zwischen«
Fangen wir mit einem herrlich reduzierten Stückchen Vinyl an. Die Schweizer Klangkünstlerin Karen Geyer präpariert gerne Alltagsgegenstände bzw. -geräte, um ihnen manisch-originelle Soundskulpturen zu entlocken. Auf »Zwischen« ist etwa eine Installation aus Plattenspieler, Fahrrad, Wasserkocher und Elektromotor zu hören, die natürlich ein extrem minimalistisches Hörerlebnis bereitet, das aber auch ihren Reiz hat … wenn man nicht gerade ein Leben lang in einer Webstuhlmanufaktur gearbeitet hat. Was aber wohl eher selten vorkommt – so selten übrigens wie diese streng limitierte Platte, die auch samt schönem Linoldruck erhältlich ist. Ein echtes Kleinod also. »Zwischen« schenkt man einem gestressten Vorstandsdirektor, der heimlich bunte Nähkissen sammelt.

Betacicadae: »Mouna«
Das nächste Kleinod kommt ebenfalls streng limitiert – jeweils 100 Exemplare Vinyl & CD – auf den handverlesenen Kunstfreund zu. Der CD liegt eine per Hand bedruckte (!) Karte bei. Dass der Lack von klebriger Konsistenz ist und leicht an der Kunststoffhülle klebt, garantiert umso mehr die Einzigartigkeit jedes Exemplars. Zu hören gibt es eine ätherische Soundreise vom multiinstrumentalen Soundtüftler Kevin Scott Davis. Elegant vermischt Davis ein Sammelsurium schwebender Sounds mit dezent eingesetzten Field Recordings – wohinter sich eine zweijährige Tüftelei verbirgt. Das darf man ruhig wohlwollend anerkennen, auch wenn das Resultat oft schon genau so oder ähnlich zu hören war. »Mouna« schenkt man einem intellektuellen Freund mit Hang zur meditativen Freizeitgestaltung.

Pascal Dusapin: »O Mensch!«
Wir wechseln den Sender, und zwar völlig. Das österreichische Label Col Legno bringt immer wieder bemerkenswerte CDs heraus, stets mit unverwechselbarem, gediegenem Layout, sodass schwache Naturen schnell der Sammelwut erliegen könnten. Im Fall der Nietzsche-Lieder des französischen Komponisten Pascal Dusapin kommt dieser Impuls bei mir eher gedämpft an. Natürlich ist es bemerkenswert Nietzsche zu vertonen, allerdings bezieht sich Dusapin nur auf dessen poetische Potenz. Die steht ebenfalls außer Zweifel (was für ein Anfang etwa für ein Lied: »Fünf Ohren – und kein Ton darin! Die Welt ward stumm …«), aber das macht die Sache natürlich in erster Linie wieder zum Hochkulturspektakel. Dass sich Dusapin kompositorisch gewissermaßen zwischen Franz Schubert und Anton Webern bewegt, ist ebenso stimmig wie wenig überraschend. Klar ist das große, eigentlich sogar hohe Kunst, aber was hätte man daraus machen können, wenn man Nietzsche nicht bloß als Poeten, sondern auch als Provokateur verstanden hätte! »O Mensch!« schenkt man einem tiefroten Klassikliebhaber und späht mit unauffälligen Blicken, ob sich dessen Wangen ebenso verfärben.

Phantom Horse & Tomutonttu
Wir springen zurück zu Vinyl. Und zwar nicht nur zu einer wunderschön gestalteten Platte, sondern auch zu einem wesentlich flockigeren Hörerlebnis. Phantom Horse sind Ulf Schütte und Niklas Dommaschk, beide lieben ihre Synthesizer und offenbar auch die glorreiche Frühzeit des Elektropop. Also irgendwo zwischen Kraftwerk, den frühen Cabaret Voltaire und, ja, klar, Brian Eno und David Byrne. Falls jemand die Kollaboration zwischen Andy Summers und Robert Fripp kennt (»I advance masked«) – auch das passt hier gut. Wahnsinnig fein, dass Schütte und Dommaschk sich nicht vor einfachen Melodien scheuen, und ihre minimalistischen Spielereien auch nicht durch diverse Tricks hochkünsteln. Fast alle Tracks kommen hier herzenswarm aus der Nerd-Garage – und das ist auch gut so. »Phantom Horse« schenkt man allerbesten Freunden, die diese Musik auch mögen. Das Label Dekorder veröffentlicht übrigens generell hübsche Platten. Atemberaubend schön gestaltet ist etwa auch »Hylt« von Tomutonttu. Dieser finnische Underground-Irrsinn ist aber eher etwas für Freunde der experimentell verschrobenen Elektronik. Diese ist hier allerdings ausnehmend gut gelungen, von meditativ bis krachig, bis überraschend. Also fast so gut wie die Plattenhülle. Ein tolles Geschenk für Menschen, die sonst an nichts mehr Freude haben, weil sie schon alles kennen.

Fang den Berg: »Viel Schlafen«
Den Abschluss machen Fang den Berg, vier umtriebige Herren aus dem Großraum Linz. Nachdem man bislang »atmosphärischen Noiserock« gemacht habe, beherrsche man nun »197 Modi« von ähm, ja Musik. Das stimmt fast. Beinahe. Ungefähr. Tatsächlich drängen sich auf »Viel Schlafen« mehrere noise-related Genres eng aneinander, so wie die Marx Brothers in ihrer legendären Kabinenszene. Das ist durchaus großartig geglückt, aber ob die von Dialekt zu Hochdeutsch tapsende Spoken-Word-Performance ebenso gelungen ist, darf als Streitfrage im Raum stehen gelassen werden. Sagen wir: Es klappt manchmal besser, manchmal schlechter. Aber »Viel Schlafen« entschädigt mit einigen wunderbaren Passagen, wo wirklich alles passt (sogar die Stimme) und einem truly funny Cover. Die Platte (nicht die CD) schenkt man Freunden, die sich nicht nur Musik anhören, die ihnen zu 110 Prozent gefällt, sondern auch bloß zu 77,3 Prozent.

Grauton: »Zwischen« / Dumpf Edition
Betacicadae: »Mouna« / Elegua Records
Pascal Dusapin: »O Mensch!« / Col Legno
Phantom Horse: »selftitled« / Dekorder
Tomutonttu: »Hylt« / Dekorder
Fang den Berg: »Viel Schlafen« / Zach Records

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