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Südosteuropa sounds global

Atemberaubende Musik aus Bukarest und Belgrad

Weil der Balkanmusik-Hype regiert, ist ein detaillierterer Einblick in die Musiklandschaft der Karpaten- und Balkanregion willkommen: Gypsymusik ist in Rumänien offiziellerseits (Ceausescu ordnete eine Säuberung der Folklore an – ein Blödsinn, weil die rumänische Musik gerade dem osmanische-orientalischen Einfluss ihre Grandezza verdankt) noch immer unten durch und noch mehr die Roma, die als Diebsgesindel verschriien sind. Grit Friedrichs Compilation »Suburban Bucharest – Mahala Sounds From Romania« (Trikont/Hoanzl) entdeckt endlich die nur teilweise (Taraf De Haidouks, Fanfare Ciocarlia) bekannten Songs aus den Mahalas, den heruntergekommenenVorstädten der rumänischen Hauptstadt, für ein westliches Publikum. Die Manele(»=verunreinigte«)-Musik der Lautari, die nicht Noten lesen können, also nach Gehör spielen, besticht allein schon durch die Interaktion von Cymbalon und Kontrabass, die atemberaubende Rhythmen, die sich bis zum einem furiosen Stakkato steigern können, evoziert. Darüber legen, je nachdem, Geigen, Akkordeon, Gitarren und Bläser Melodien, die zum Tanz auffordern bzw. Melancholieverstärker sind. So zählt Faramita Lambrus »La Crama Din Dragasani« – … wenn ich mich verarzte / mit dem Glas, das ich austrinke / dann weiß ich, dass ich lebe …« zu den herzzerreißendsten Trinkerliedern ever. Entdeckt wurde er von Maria Tanase, Rumäniens populärster Sängerin und auch von Gabi Lunca und Romica Puceanu, den Ikonen urbaner Tiganimusik, sind Klassiker zu hören. Der Bogen spannt sich also von Aufnahmen aus der 1930ern bis zu modern musizierenden Combos wie jener von Vasile Ameanca, der mit »Alilili Monica« an den Sound des Punjabi MC andockt.
Wenn ein Texaner vergleicht, dass der Sound von Bob Wills Geige die Musiksprache von Texas verkörpert und jener von ALEKSANDAR SISICs Violine für Serbien steht, dann liegt er so falsch nicht. Also ist statt Barbeque Balkan-Grill-Dancehall angesagt. Heißblütige Coceks, Kolos und auch getragene Folksongs haben Romaspirit intus und werden pikantest serviert. Vom vielgereisten Gentleman, der im Folkmusikorchester des jugoslawischen TV/Radios bekannt wurde. Der 75-jährige Pensionist spielt nun dort nicht mehr die erste Geige, sondern startet dank der CD »Magicna Violina« (B92/RingRing/www.b92.net/music) wieder durch und erinnert sich dabei gern an die Musik seiner Jugendzeit in Obrenovac. Sisic ist auch auf »Srbija: Sounds Global, Vol. 3« vertreten. Gemäß Miles Davis ist die Tradition zu wichtig, um sie professionellen Traditionalisten, geschweige denn Patrioten zu überlassen. Also geht es hier weder um Turbofolk-Prop, noch Ethnografie. Vielmehr bringen selbst SangeskünstlerInnen wie Kladenac, Svetlana Spajic-Latinovic oder Dudelsackspieler Bokan Stankovic (sonst Bregovic-Musiker) Authentisches auf Trab. Somit ist der Sampler erneut eine Fundgrube für Balkan Brass wie feurige Romaorchester. Kal und das Earth Wheel Sky Ensemble ragen heraus und gleich vier mal beeindrucken fantastische Arrangements. So reüssieren Boris Kovac und Serboplov mit eleganter, seelenvoller Salonmusik und brillieren der Klarinettist/Saxvirtuose Dragan Dimic-Dimke mit dem adlerhochfliegenden »Balkansko Hodocasce« und Balkanto Vero mit dem nicht weniger majestätisch Flügel schlagenden »Waiting«. Selbst Münchner haben mittlerweile einigermaßen Balkan-Swing absorbiert. Irgendwie mag ja QUADRONUEVO gefallen. Doch wirken selbst arabeske Melodien zu gekünstelt, selbst wenn ein Tango Oriental gelingt und eine montenegrinische Gusle oder eine griechische Bouzouki verwendet werden. Die Musik ist nicht geerdet wie bei Balkanmusikern, sondern ein nachempfundenes Konstrukt, das auf »Mocca Flor« (www.glm.de/www.blankton.org ) nicht an das Ladaaba Orchest von Kovac herankommt. Von bürgerlicher Kaffeehausmusik also zu jener der chicen Jugend Ex-Jugoslawiens, zum »Belgrade Coffee Shop, Vol. 4« >> www.b92.net . Selbst in der serbischen Hauptstadt ist ein Trend zu raueren Electro-Beats (Shazalakazoo, Dejan Milicevic), funkyerem Swing (Marko Hollywood), dubbigerem Downtempo (Ivy & Toxic) und Retro(Synthie)klängen zu erkennen. In den 1980ern fündig geworden sind Donga, aber im Prinzip hat diese Compilation das selbe Problem wie vergleichbare aus Wien: Zu viele Langweiler-Tracks stören.
>> www.trikont.de
>> www.hoanzl.at
>> www.b92.net

Home / Musik / Review Collection

Text
Alfred Pranzl

Veröffentlichung
12.09.2004

Schlagwörter

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