Text 1 & Fotos: Curt Cuisine
»Kunst und Natur« steht kunstvoll verziert auf den T-Shirts, die man auf dem »Schrammel. Klang. Festival« im niederösterreichischen Litschau kaufen konnte – und das ist ausnahmsweise kein lahmer Slogan: Stimmiger lässt sich ein Musikfestival wohl kaum inszenieren. Aber Moment mal, wo liegt Litschau überhaupt? Und Schrammeln? Im Ernst?
Litschauer Idyllen 1: Die Strottern live auf der Waldbühne.
Naturbelassener kann man sich sein Hyde-Park-Stadion nicht vorstellen.
Litschau liegt im hintersten Waldviertel, nördlich von Gmünd, also schon fast jenseits der tschechischen Grenze. Zum fünften Mal fand dort heuer das Schrammelfestival in einem Ambiente statt, von dem so manches Popfestival nur träumen kann. Direkt in der Ortschaft liegt der kleine Herrensee, um den herum die Veranstalter fünf fast unscheinbare Bühnen installiert hatten, die man an zwei Nachmittagen zu Fuß (oder mit Elektrobootfähre über den See) erkunden konnte. Dort saß man mitunter tatsächlich mitten im Wald, auf dem Reisig zwischen den Bäumen, mit Blick auf den idyllischen See (der fast schon aus der »Üsterreich-Werbung« geklaut sein könnte) und fragte sich, was man denn jetzt mehr genießen soll? Die Natur oder die ?? Kunst?
Litschauer Idyllen 2: Nachmittagskonzerte, teils auf der Floßbühne! Keine Sorge: Eine Voranmeldung war obligatorisch, um einem Kentern ob begeisterter Ovationen vorzubeugen.
Im Schrammelkosmos
Ja, es geht und ging um Schrammeln. Aber das Programm war weit gefasst, auch sehr jazzig interpretierte Klezmermusik wurde aufgrund der vielfältigen ?berschneidungen zwischen jüdischem Liedgut und Wienerlied als Teil dieses Klangkosmos aufgefasst. Die jungen Szenestars Bratfisch wiederum entführten das Genre in Richtung Pop und Reggae, was allerdings nur teilweise stimmig gelang. Auch Ernst Molden ist hier ein gern gesehener Gast – und fand auch ein begeistertes Publikum. Im Großen und Ganzen blieb man aber dem Kern des Genres treu, eben dem Singen von Gstanzln, Wienerliedern, und der Reproduktion des Schrammel-Werkkatalogs. In vielen Fällen war das – allzu erwartungsgemäß – traditionslastige Altherrenmusik. Mit Zither, Zupfgeige, Ziehharmonika oder Kontragitarre präsentiert, dabei ein Liedgut strapazierend, das sich seit Jahrzehnten keinen Deut weiterentwickelt hat. In einigen Fällen aber bekam man doch mehr.
Was neben der virtuosen Instrumentenbeherrschung am meisten in Litschau begeisterte war die unbedingte Publikumsnähe. Es gab kaum einen Act, der »dort oben auf der Bühne« seine Show machte. Wie denn auch? Musiker und Publikum saßen gemeinsam mitten im Grünen, verstärkte Instrumente gab’s allenfalls abends im großen Herrenseetheater, weil vor großem Auditorum sonst nicht machbar. Kein Weg führte also daran vorbei, mit dem Publikum zu kommunizieren, das alte Liedgut dabei mit tagesaktuellen Anspielungen aufzufrischen oder überhaupt »zeitgenössisch« zu interpretieren. Am besten gelungen ist das etwa dem (nicht nur einschlägig bekannten) Kollegium Kalksburg oder dem jungen Duo Die Strottern, die mit ihren »neuen Wienerliedern« schon mehr in Richtung Musikkabarett wandern, aber gerade das eben ist wichtiger Bestandteil des ganzen Genres- das Publikum auf Augenhöhe zu unterhalten.
Klein sein ist mehr
Das wäre auch eine Herausforderung für ein zeitgenössisches Popfestival. Den Bands die Verstärker wegnehmen, sie mit zwei Akustikgitarren mitten in den Wald und damit auf die Probe zu stellen: »Schafft ihr es, euer Publikum nur mit der nackten, melodiösen Kraft eurer Songs und eurer unmittelbaren Performance zu begeistern? Könnt ihr die Leute dort abholen, wo sie sind? Mit euren Songtexten vor allem?« Wie wäre das wohl, wenn sich Bands wie Kreisky, Ja, Panik oder eine Clara Luzia dort mitten im Wald abmühen würden, um eine Unmittelbarkeit herzustellen, die in der artifiziellen Welt des Pop oft gar nicht vorgesehen ist?
Aber selbst wenn, es würde ohnehin nicht funktionieren. Alleine schon deswegen, weil das Schrammelfestival, obwohl insgesamt gut besuchtein überschaubares Vergnügen war – und es auch sein muss. Würden dort solche Menschenmassen hinströmen wie beim FM4 Frequency Festival, wäre es schnell vorbei mit dem idyllischen Miteinander von »Kunst und Natur«. Man würde auch nicht mit den Künstlern nach dem Auftritt auf derselben Heurigenbank sitzen oder im selben See gemütlich schwimmen. Das ist auch einer der Gründe, warum das Schrammel. Klang. Festival überhaupt empfohlen werden darf. Die Zukunft der Musik oder sonst einen angesagten heißen Scheiß wird man dort sicher nie finden, aber eine Vorstellung davon, wie ein in nahezu jeder Hinsicht sympathisches und relaxtes Festival aussehen kann. Und wer jetzt immer noch über Schrammelmusik meckert, der sei daran erinnert, dass diese – im Guten wie im Schlechten – auch einer der Ursprünge des Austropop ist.
Holzlöffel, Veltliner und Schrammel.Klang.Express. Ein Erlebnisaufsatz.
Text 2 & Fotos: Stefan Koroschetz
Bereits zum fünften Mal traf sich in Litschau alles was Rang und Namen in der Wienerlied-, Schrammel- und Artverwandtes-Szene hat. Aufhänger war diesmal der 200. Geburtstag von Kaspar Schrammel, dem Vater von Johann und Josef Schrammel, der – indem er den Nachwuchs zum Studium der Violine an das Konservartorium schickte – der Impulsgeber für ein eigenes Genre wurde. Immerhin an die 250 Kompositionen haben Josef und Johann hinterlassen, die zum Teil auch heuer wieder in unterschiedlichen personellen Zusammensetzungen interpretiert wurden. Insgesamt präsentiert sich der Herrensee und seine unmittelbare Umgebung als 2011 doch etwas anachronistisches Nostalgietheater, und das nicht nur auf der Bühne (zur Eröffnung wurde im Herrenseetheater das hauseigene Erfolgsstück »Herzfleisch« von René Freund in einer aktualisierten Version in der Regie von Intendant Zeno Stanek präsentiert). Auch am Schrammelpfad tummeln sich HändlerInnen, Wäscherinnen, oder einfach nur FlaneurInnen, gekleidet (besser: kostümiert) in Originalanzügen/kleidern aus der aktiven Zeit der Schrammel-Familie. Das ist schon ein wenig befremdlich, aber wenn man einmal akzeptiert hat, dass hier eben eine weit zurück liegende Vergangenheit abgefeiert wird, fällt das nicht weiter ins Gewicht. Abgesehen davon soll in Litschau natürlich nicht ausschließlich Altbekanntes reproduziert werden, und wo das der Fall ist, sind die Darbietungen auf höchstem Niveau.
Jazz bei niedrigen Lustbarkeiten
Vor beindruckender Naturkulisse gaben sich also über hundert MusikerInnen aus dem In- und Ausland ein Stelldichein, darunter die absoluten Kapazunder des Genres: die Strottern, Kollegium Kalksburg, Agnes Palmisano, Georg Breinschmied, Ernst Molden, Walter Soyka, die 16er Buam (die sich jetzt rutka.steurer nennen), die Neuen Wiener Concert Schrammeln und und und, viel zu viele, um sie aufzuzählen. Einen ersten Höhepunkt am Freitag lieferte der fulminante Bassist Georg Breinschmied im Verbund mit dem nicht minder eindrucksvollen Thomas Gansch an der Trompete. An dieser Stelle wurde bereits zum ersten Mal unorthodox musiziert, indem lustvoll auch dem Jazz gehuldigt wurde. Diese Programmierung stellt übrigens die exakte Umkehrung des Angebotes beim Jazzfest Wien dar, bei dem Jazz ja praktisch nicht (mehr) gespielt wird. »Brein’s Cafe« – so der Titel dieser Performance – wusste außerdem mit lustigen, tiefgründigen Musikkabaretteinlagen zu gefallen.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass das Herrensee-Theater ein gelungen konzipierter Aufführungsort ist: vor der Bühne sind für die sehr Interessierten Stühle aufgestellt, dahinter im Halbrund noch jede Menge Heurigenbänke, auf denen man sich, ohne den harten Schrammel-Kern zu stören, hemmungslos den vermeintlich niedrigeren Lustbarkeiten hingeben kann. Infrastrukturell ist alles in ein- oder zweimal Umfallen zu erreichen, das Service funktioniert ausgezeichnet, und sogar der Sound ist beeindruckend klar. Fast zu perfekt, um wahr zu sein? Naja, vielleicht wäre ist nicht schlecht, in den nächsten Jahren auf der mehr als bodenständigen Speisekarte auch ein Gericht für VegetarierInnen anzubieten, VeganerInnen würden vermutlich schon von mehreren Kilometern Entfernung erschnuppern, dass da für sie in punkto Nahrungsaufnahme nicht viel zu holen ist. Aber ich schweife ab.
Aufgrund der Unmittelbarkeit fast noch eindrucksvoller war der nächste Programmpunkt, eine Jamsession der anwesenden MusikerInnen direkt an den Heurigentischen, bei der rutka.steurer, die sogar das Publikum in ihre Holzlöffelakrobatik einbezogen, als wahre Stimmungskanonen auffielen. Im Sinne eines Stop and Go muss dann aber doch mit dem einen oder anderen nachdenklichen oder gar traurigen Stück die Luft aus dem ?berschwänglichkeitsballon herausgelassen werden, bevor man sich allzu sehr am Wienerlied-Ballermann wähnte. Gut so.
Frisurbehandlung der ungekrönten Könige
rutka.steurer waren demnach auch am frühen Samstagnachmittag die erste Performance der Wahl am Schrammelpfad (diesen bilden fünf kleine Bühnen um den Herrensee, auf abschüssigen Wiesen oder direkt im Wald gelegen), um die spätnächtlichen Eindrücke einer nüchternen Prüfung zu unterziehen, und ich hatte mich nicht getäuscht. Selbst auf nüchternen Magen und bei aufziehenden Regenwolken spielen die Ex-16er Buam ein launiges, wunderbares Set. Für meinen Geschmack etwas zu old-school waren dann die Neuen Wiener Concertschrammeln (mit Walter Soyka), die jedoch die Wartezeit auf die Publikumslieblinge vom Kollegium Kalksburg gekonnt verkürzen konnten. Und dann die ungekrönten Könige (so man den Strohhut von Heinz Ditsch und die Kappe von Vinzenz Wizlsperger nicht als Kronen sehen möchte) des so genannten Neuen Wienerliedes. Weil viele der Musikanten am Schrammelpfad mehrmals kürzere Auftritte (alles selbstverständlich komplett ohne elektrische Verstärkung) auf unterschiedlichen Bühnen absolvierten, hatten auch die Kalksburger schon einen ausgedehnten Nachmittag nicht nur in den Beinen, sondern anscheinend auch in den Kehlen. Es wurde ja auch wirklich vorzüglicher Veltliner ausgeschenkt, Eva Billisich ging am Sonntag so weit, dem Publikum mitgebrachten Schnaps beinahe aufzudrängen, ein Angebot, dass von Einigen nur allzu gern angenommen wurde. Zurück zum Trio Infernal: Paul Skrepek hatte offenbar einen schlechten Tag erwischt und war sogar aus der letzten Publikumsreihe leicht als etwas illuminiert auszumachen (oder war das alles gutes Schauspiel?), was jetzt kein Drama ist, nützte doch Herr Wizlsperger die Situation sofort, um dem angeschlagenen Kollegen einer fachmännischen Frisurbehandlung zu unterziehen. Es folgte viel scheinbar ziellose, trotzdem sehr lustige Moderation, sogar das eine oder andere ausufernde Lied, und man freute sich, dass mit Akkordeonist Heinz Ditsch auch ein besonnener Ruhepol auf der kleinen Waldbühne stand.
»unhamlich unguat« im Regen
Das samstägliche Abendprogramm wurde von der Uraufführung der »Litschauer Hetz« mit Musik aus der Zeit von Kaspar Schrammel unter der Leitung von Alfred Pfleger eingeleitet, und das war auch der Zeitpunkt, an dem auch der Klezmer noch ein Schlupfloch ins Festivalprogramm fand. Bratfisch beendeten mit sympathischen, aber doch allzu handzahmen Stücken den Abend im Herrenseetheater, als Soundtrack zur Bestellung der nächsten Lage Schremser war das aber mehr als gut genug. Just gegen Ende der fischigen Brat-Performance zeigte das Waldviertler Wetter seine sprichwörtliche Instabilität und die anstehende Nachtwanderung unter der ?berschrift »unhamlich unguat« drohte im Gewitterregen zu ersaufen. Mit Beteiligung von Karl Ferdinand Kratzl, Roland Sulzer, den Shootingstars vom Catch-Pop String-Quartett, Christa Göd und noch einigen mehr fand diese letztlich doch statt. Was genau sich dabei zugetragen hat kann wegen Nichtteilnahme auch nicht kolportiert werden. Fix ist nur, dass das Abschlusskonzert von Des Ano im Schloss aufgrund der Wetterkapriolen entfallen ist. Bei perfektem Sommerwetter präsentierten sich die beiden jungen Männer von den Strottern am Sonntag mitten im Wald wie gewohnt als echte Rampensäue mit höchstem Unterhaltungswert, damit konnte später andernorts die Neo-Wienerlied-Interpretin Eva Billisich nicht ganz mithalten. Wobei diese Performance eindeutig am allzu großen Abstand zwischen dem an Tischen sitzenden Publikum und der Bühne krankte. Wenn der viele Platz als Freiraum für TänzerInnen freigehalten wurde, war es dazu ganz klar zu früh am Tag, oder Frau Billisich & Band gelang es nicht (trotz »geistiger Animation«, s. o.) dass sich hauptsächlich in den besten Jahren befindende Publikum auf die Tanzwiese zu locken. Das Abschlusskonzert von Roland Neuwirth und den Extremschrammeln fiel Sonntagabend den suboptimalen öffentlichen Verkehrsverbindungen zum Opfer.
Entspannung in der grünen Lunge
Aufgrund eines an den Nachmittagen überbordenden Programmangebotes am Schrammelpfad mit naturgemäß jeder Menge ?berschneidungen ist es nur möglich von einem kleinen Ausschnitt der Nachmittagsshows zu berichten, andere Sensationen wie das schwimmende Floß konnte ich nur von weitem erspähen, die Existenz einer eigenen Schrammel.Golftrophy und eines Schrammel-Express-Nostalgiezuges (Schrammel.Klang.Express) sind mir nur vom Programmheft bekannt. Die Schrammelfrühstücke waren dann wieder zu früh, und überhaupt geht sich das ja alles hinten und vorn nicht aus. Macht aber überhaupt nichts, besser ein ?berangebot, als ein zu geringes oder ein schlechtes gar. All jenen, die sich vom doch stark ausgeprägten Nostalgiefaktor nicht abschrecken lassen oder etwa beim Tierschützerprozess auf der Anklagebank gesessen sind, ist das Schrammel.Klang.Festival – nicht zuletzt wegen seiner hochgradig entspannten Atmosphäre inmitten einer grünen Lunge – zu empfehlen.