© Eva Ruiz, www.evaruizart.com
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Einstürzende Neubauten: alien pop music 2024

Mal sehen, ob die Altbauten noch stehen … Wir waren beim Open Air der Kultband am Donnerstag, dem 5. September 2024 in der Arena Wien mit dabei.

Beim Tourauftakt in der Arena Wien am 5. September 2024 lassen sich die Einstürzenden Neubauten mit 18 Stücken der letzten 24 Jahre hören, deren Auswahl auch arithmetisch befriedigend ist: Vom jüngsten Album, »Rampen (apm: alien pop music)«, das der Tour den Namen gegeben hat, schaffen es sieben Lieder auf die Bühne, vom 2020er-Album »Alles in Allem«, das Berlin zum Thema hatte, fünf. Aus 2014 ist es ein Stück, aus 2007 sind es zwei, aus 2000 drei – weiter zurück geht der Griff in die musikalische Vergangenheit nicht. Die Jahrtausendwende ist die Grenze des Countdowns der alien pop music.

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Die Setlist beinhaltet zwei wohlkoordinierte Zugaben inklusive Federboa um Blixa Bargelds Hals und Percussion-Kanistern, die für alle, die sie am Ende des Konzerts noch nicht entdeckt hatten, aus den Tiefen der Bühne geholt und unübersehbar an vorderster Front neu aufgebaut werden. Kurze Ansagen von Bargeld sind humorvoll, retrospektiv und teilweise auch politisch: »Die Renaissance des Einkaufswagens«, »Slava Ukraini« oder »Dat war jut« – er beschränkt sich meist auf Zwischenrufe. Die Akustik ist fantastisch, die Bühnengestaltung cineastisch: Eine Leinwand spannt sich hinter den Neubauten auf und leuchtet die meiste Zeit goldgelb. Leere Spotlights und die Schatten der Musiker werden bei Bedarf darauf geworfen, beides übergroß.

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»Die Renaissance des Einkaufswagens«

Das Publikum, das sowohl aus alteingesessenen Anhänger*innen als auch aus kaum volljährigen Begeisterten besteht, ist wahrscheinlich schon ob der metaphorischen Übergröße von Anfang an enthusiastisch und flüstert die meisten Texte mit. Da die Personendichte auch in Nähe zur Bühne locker bleibt, entsteht bei leiseren Passagen der Eindruck, in eine katholische Kirche gestolpert zu sein. Wie könnte eine Band, die auf fast ein halbes Jahrhundert experimentierfreudiges Lebenswerk zurückblickt, bei einem solchen Willen zur Partizipation enttäuschen? Vielleicht mit zu viel Nostalgie, zu viel Show oder zu wenig Freude an der eigenen Musik. Nichts davon ist in der Arena zu spüren.

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Der Einkaufswagen, der laut Bargeld seit den Theatervorstößen in den 1980er-Jahren nicht mehr als Instrument zum Einsatz gekommen ist, die blaue Fasstonne oder der »Engel« wurden von den Zuschauenden wiedererkannt und gefeiert: Gimmicks einer alten Karriere. Auch wenn die Einstürzenden Neubauten schon lange nicht mehr unter Autobahnbrücken Musik aufnehmen und seit Jahrzehnten eher Texte niederschreiben, statt sie live zu improvisieren, hätte das Kultige, das hinter ihnen und ihren Sound-Objekten steht, wohl auch ein Konzert erlaubt, in dem sie Ordnung vor die Säue werfen und einfach machen, wonach ihnen spontan der Sinn steht. Dass sie sich nie auf die Notorietät, die ihnen anhängt, zurückfallen lassen, sie aber gezielt einsetzen, ist bewundernswert. Denn: Die Neubauten haben sich im öffentlichen Auge gut gehalten, erlauben sich selbst und ihrer Musik aber ein Altern.

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»Dat war jut«

Das Altern findet man im Tempo des Auftritts, in der stehenden Energie der Einstürzenden Neubauten und wahrscheinlich auch in den Texten und dem Grundton des »Rampen«-Albums, das aus zuvor bei Konzerten improvisierten Stücken entstanden ist. Sie spielen mit den Erdzeitaltern und Daseinsformen, mit dem Wort »Sein« und mit dem Tod. Musikalisch sind die Stücke getragen, aufgeführt werden sie mit Anzügen, Hüten und glitzernden Augenlidern – und mit einem versehentlich zu frühen Einsatz, der Blixa Bargeld tatsächlich einmal zum Lächeln bringt. Das erste Lied der Rampen ist das letzte des Konzerts: »Wie lange noch?« Wie lange sie sich noch weiterentwickeln werden, wie lange sie noch auftreten werden, wie lange das Publikum nach Ende des Auftritts in der Arena noch Bier trinkt und nicht nur zwei Stunden, sondern Jahrzehnte rückwärts resümiert, wie lange noch, bis sie wieder in Wien sind.

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Die Setlist am 5. September 2024 in der Arena Wien:

  • »Pestalozzi« (2024)
  • »Ten Grand Goldie« (2020)
  • »How did I die? « (2014)
  • »Wedding« (2020)
  • »Grazer Damm« (2020)
  • »Isso Isso« (2024)
  • »Ist Ist« (2024)
  • »Möbliertes Lied« (2020)
  • »Sabrina« (2000)
  • »Die Befindlichkeit des Landes« (2000)
  • »Sonnenbarke« (2000)
  • »Susej« (2007)
  • »Everything will be fine« (2024)

Erste Zugabe:

  • »Seven Screws« (2020)
  • »Trilobiten« (2024)
  • »Gesundbrunnen« (2024)

Zweite Zugabe:

  • »Let’s Do It A Dada« (2007)
  • »Wie lange noch?« (2024)
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Weitere Termine der alien pop music Tour 2024: https://linktr.ee/alienpopmusic

Link: https://neubauten.org/

Home / Musik / Konzert

Text
Ingeborg Morawetz

Veröffentlichung
10.09.2024

Schlagwörter

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