© Marian Bushan/UM Group
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Rabenweißer Hinterhalt

Dokumentation und Fiktion des Krieges: skug sprach mit dem ukrainischen, in Wien lebenden Regisseur Marian Bushan über den Film »Sniper: The White Raven« und die Rolle der Kunst in einer vom Krieg gezeichneten Gesellschaft.

»Als seine Frau 2014 von russischen Söldnern brutal ermordet wird, nimmt das friedliche Familienleben des Lehrers Mykola ein jähes Ende. Auf Rache sinnend, tritt er dem ukrainischen Militär bei. Zum eiskalten Sniper ausgebildet, nimmt er bald die feindlichen Invasoren ins Visier und fügt ihnen erhebliche Verluste zu. Doch die Missionen werden immer gefährlicher …« 

So die Synopsis des bemerkenswerten Debütfilms des ukrainischen Regisseurs Marian Bushan, der seit vier Jahren in Wien lebt. skug hat mit ihm über seinen auf einer wahren Geschichte basierenden Film »Sniper: The White Raven«, grenzüberschreitendes Filmemachen in Kriegszeiten und das Verhältnis von Nation, Kunst und europäischer Identität gesprochen.

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skug: Du lebst seit einigen Jahren in Wien. Ist es sehr schwer, als Regisseur aus der Ukraine hier wieder einen neuen Film zu produzieren?

Marian Bushan: Ich bin 2020 mit meiner Frau und meinem Sohn nach Österreich ausgewandert. Während der Pandemie war es fast unmöglich, überhaupt Filme zu machen. Im letzten Jahr habe ich versucht, mein Netzwerk an Kontakten wieder aufzubauen, aber das ist natürlich ein langer Prozess. Es ist eine echte Herausforderung für einen Regisseur oder eine Regisseurin, einen Produktionspartner zu finden. Schließlich sollten ihre Gedanken und Visionen sehr ähnlich sein. Aber sobald sich dieses Duo gefunden hat, kann eine sehr fruchtbare und produktive Arbeit beginnen. Ich hoffe wirklich, dass ich bald in der Lage sein werde, einen Produzenten oder eine Produzentin zu finden.

Welchen Eindruck hast du bisher von der österreichischen Filmlandschaft gewinnen können?

Ich denke, dass das österreichische Kino einen eigenen europäischen Stil und bekannte Regisseur*innen hat – vor allem im Bereich Autor*innenfilme, die ich auch sehr mag. Aber gleichzeitig sehe ich auch Filme von jungen Filmemacher*innen, die Genrefilme machen, vor allem Krimis und historische Biopics, die auf klassischer Dramaturgie basieren. Das finde ich großartig. Ich glaube, dass Österreich noch mehr qualitativ hochwertige Projekte produzieren kann, die von verschiedenen Ländern gekauft werden. Meiner Meinung nach ist es nur eine Frage von genügend Produzent*innen und der Finanzierung. 

Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Filmproduktionen in der Ukraine und in Österreich?

Die Ukraine befindet sich in einer ähnlichen Situation, es gibt starke Autor*innenfilme und seit 2014 hat sich die Filmproduktion, einschließlich der Genrefilme, die sich seit den 1990er-Jahren in einem schlechten Zustand befand, wieder erholt. Aber heute hat sich die Situation geändert. Netflix kauft nun ukrainische Filme und »Sniper: The White Raven« war einer der ersten Filme, die von Netflix und Amazon Prime gekauft wurden. 

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Wie bist du auf die Geschichte für deinen Film »Sniper: The White Raven« gestoßen?

Seit 2014 bin ich auf der Suche nach einer Geschichte über einen ukrainischen Freiwilligen, der gegen Russland kämpft. Im Jahr 2018 sah ich auf YouTube einen Videobericht über ukrainische Scharfschützen und interessierte mich für diesen geheimnisvollen militärischen Beruf. Also begann ich zu recherchieren und stieß schließlich auf eine Geschichte über einen Ökoaktivisten und Pazifisten aus Horlivka (Donbas, Ostukraine), der dort als Lehrer arbeitete und 2014 beschloss, sein Leben grundlegend zu ändern. 

Wann hast du dann begonnen, »Sniper: The White Raven« zu verfilmen? Wie hast du das Drehbuch aufgebaut? Welche Rolle spielte dabei der sich täglich entwickelnde Kampf gegen russische Angriffe?

Im Jahr 2018 habe ich mit der Recherche begonnen, ich habe den »Prototyp« Mykola Voronin kennengelernt und wir haben uns oft in Kyiv getroffen, wo er von Zeit zu Zeit auftauchte. Ich wollte so viele Informationen wie möglich aus seiner Biografie sammeln, um zu verstehen, was ich im Film verwenden kann. Damals gab es aktive Kampfhandlungen nur im Osten und die Russen setzten zu dieser Zeit keine Militärflugzeuge und Bomben ein. Die Kämpfe fanden nur in den Regionen Luhansk und Donetsk in der Ostukraine statt. Ich lebte damals in Kyiv und erfuhr vom Krieg nur aus den Nachrichten und durch die Erzählungen meiner Freunde.

Wie sieht es generell mit der Öko- und Klimabewegung in der Ukraine aus?

Ich würde nicht sagen, dass die Ukraine ein echtes nationales Klimaschutzprogramm hat. Es gibt schon umweltbewusste Ukrainer*innen, die Abfälle sortieren und alternative Energien wie Solaranlagen einführen. Aber das sind eher Einzelfälle als ein Massenphänomen. Meine Frau und ich zum Beispiel mussten in Kyiv in einer langen Schlange stehen, um den sortierten Müll zum Recycling abzugeben. Ich würde mir wünschen, dass sich dies in naher Zukunft ändert und dass in der Nähe jedes Wohnhauses Sortierbehälter aufgestellt werden. Ich hoffe, dass diese Änderungen kommen werden.

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Dein Film »Sniper: The White Raven« ist ein dramatischer Actionfilm. Hättest du dir auch ein anderes Filmgenre für diese Thematik vorstellen können?

Ja, ursprünglich wollte ich ein Drama drehen, das auf der Geschichte während der Sitzungen mit einem Psychologen basiert, d. h. mit Rückblenden. Aber als ich diese Version des Drehbuchs an meine Script-Supervisorin Dr. Linda Seger schickte, sah sie, wie ich mit den Details des Scharfschützenfalls arbeitete, und schlug mir vor, den Psychologen wegzulassen und mich auf eine lineare Erzählung zu konzentrieren. Dafür bin ich ihr sehr dankbar, denn sie hat es mir wirklich ermöglicht, die Energie in dem Film gleichmäßig zu akkumulieren und die Genreintegrität eines Kriegsdramas mit Action-Elementen zu erreichen.

Einen Kriegsfilm zu machen, ist eine schwierige Aufgabe. Bei welcher Szene war es am schwierigsten, Regie zu führen? Und welche Szene musste öfter wiederholt werden als die anderen?

Die Action-Szenen sind natürlich am schwierigsten. Zum Beispiel: Eine Minute Action-Szene mit unserer nicht großen Film-Crew dauert einen Tag. Am öftesten musste ich die Szene wiederholen, in der die Freiwilligen AK-74 Waffen zusammensetzen, während die Kamera schwenkt. Ich wollte, dass ihre Bewegungen so synchron wie möglich sind. Aber im Allgemeinen gab es nicht allzu viele Takes, weil ich mit den Schauspieler*innen geprobt und alles lange vor dem Dreh vorbereitet hatte.

War es für dich persönlich eine Herausforderung, bei diesem Film Regie zu führen? Wenn ja, warum?

Die größte Herausforderung war es, die 30 Drehtage einzuhalten, denn wir haben fast 90 % der Aufnahmen im Freien gemacht. Der Film spielt in allen vier Jahreszeiten, daher war es wichtig, die richtige Beleuchtung und gutes Wetter zu haben. Ich wusste, dass es schwierig werden würde, aber ich habe viel Vorarbeit mit dem Storyboard geleistet und alle Kamerapositionen gemeinsam mit dem DoP (Director of Photography) Kostiantyn Ponomarov geplant. Das hat der ganzen Film-Crew geholfen, klar zu verstehen, was wie gemacht werden sollte. Natürlich ist eine Filmproduktion nicht gerade romantisch. Es ist ein Job, der 12 bis 24 Stunden pro Tag dauern kann – also ein anstrengender Prozess. Aber ich war persönlich sehr motiviert und meine Crew auch. 

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Zum Protagonisten des Filmes, dem Scharfschützen Mykola: Hatte der Film einen großen Einfluss auf den Hauptdarsteller? War er schon vor dem Film bekannt oder machte ihn erst dein Film zu so etwas wie einem Nationalhelden?

Es war das Debüt des Hauptdarstellers Pavlo Aldoshyn, sein erster großer Job. Er hatte vorher noch nie eine größere Rolle gespielt. Wir verstanden uns auf Anhieb und ich war mir sicher, dass dies seine Rolle war. Er hat alles in diesen Prozess gesteckt und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Ich kann nicht beurteilen, ob der Film ihn zu einem Nationalhelden gemacht hat, denn damals gab es schon viele echte Soldaten im Land, die mit ihrem Mut und ihrer Intelligenz bewiesen haben, dass das ukrainische Volk sehr stark ist. So wurde dieser Film eher zu einer Art Projektion für die Ukrainer*innen, eine Art Reflexion ihres Heldentums.

Wie hat sich das Männlichkeitsbild in der Ukraine seit dem Krieg verändert? Wie hat sich die Rolle der Frauen in der Gesellschaft durch diesen gesellschaftlichen Ausnahmezustand verändert?

Seit 2014 kämpfen viele Soldatinnen gegen Russland, darunter auch Scharfschützinnen. Außerdem gibt es viele Volontärinnen, die mit Medikamenten, Kleidung und anderen Mitteln zum Schutz des Militärs beitragen. Das ist eine phänomenale Bewegung, ukrainische Frauen sind eine starke Stütze für unsere Armee und unsere Verteidigung.

Mit welchen Themen möchtest du dich als nächstes beschäftigen?

Ich habe gerade ein paar Themen in der Entwicklung. Das erste handelt von einer Lehrerin, die auf der Suche nach einer Schülerin ist, die auf mysteriöse Weise während einer Exkursion in den österreichischen Bergen verschwunden ist. Die polizeiliche Suche hat zu keinem Ergebnis geführt, also beschließt sie, ihr eigenes Leben zu riskieren, um das Mädchen zu finden. Der zweite Film handelt von einer Psychotherapeutin, die die Gabe entdeckt hat, sich während der Hypnose physisch durch die Erinnerungen ihrer Patienten zu bewegen, und versucht, auf diese Weise ihr eigenes Trauma zu bewältigen. Die weiteren Themen sind ein Kriminaldrama und eine Comedy-Serie über einen Tiroler Detektiv, der sich mit der Polizei nicht gut versteht, aber zur Zusammenarbeit gezwungen ist. Ich denke, dass diese Projekte für Netflix interessant sein könnten, daher bin ich aktiv auf der Suche nach einem Produzenten oder einer Produzentin, um diese Projekte zum Leben erwecken zu können. 

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Im Augenblick läuft die Berlinale in Berlin an, im April die Diagonale in Graz, dann Crossing Europe in Linz oder auch das Festival in Cannes. Konntest du schon Filmfestivals besuchen, welche möchtest du besuchen? 

Unser Film »Sniper: The White Raven« wurde letztes Jahr bei den nicht wettbewerbsorientierten Sondervorführungen von Filmfest Hamburg in Deutschland und Festival Del Cinema Europeo in Italien gezeigt. Er wurde bereits in mehr als 20 Länder verkauft und ist in fast allen Ländern auf Online-Plattformen verfügbar. Ich denke, die Zeit der Premieren ist bereits vorbei, sodass es unwahrscheinlich ist, dass die Festivals ihn in ihr Programm aufnehmen. Aber alles kann passieren …

Siehst du dich selbst als Exilkünstler, als Künstler im Exil?

Nein, ich betrachte mich nicht als Künstler im Exil. Denn die Auswanderung nach Österreich war eine bewusste Entscheidung meiner Familie, zwei Jahre vor der vollständigen Invasion der Russischen Föderation, und hatte nichts mit dem Krieg zu tun, der bereits seit 2014 in der Ukraine stattfand. Was die Filmindustrie betrifft, so glaube ich generell, dass Kunst keine Grenzen hat. Schließlich ist Kunst in erster Linie ein Austausch von Emotionen, und wenn der Autor oder die Autorin es versteht, diese Emotionen in einem Menschen hervorzurufen, spielt es keine Rolle, wo er oder sie dieses Werk schafft. Man kann eine Parallele zu Literatur oder Musik ziehen: Gute Werke werden in offenen Ländern ohne Grenzen gelesen, übersetzt und gehört. Und Österreich ist ein offenes Land für verschiedene Nationalitäten mit einer eigenen großen Kultur und einem eigenen Erbe. 

Welche Rolle spielt für dich Sprache, sowohl als Dialogsprache im Film selbst als auch in der Produktion?

Ich glaube, dass Sprache nicht nur für die Kommunikation, sondern auch für die kulturelle Annäherung ein wichtiges Instrument ist. Ich glaube zum Beispiel, dass ein Mensch die Sprache des Landes, in dem er lebt, kennen sollte. Deshalb war meine erste Priorität, Deutsch zu lernen, und nicht, einen Job in einer englischsprachigen Umgebung zu suchen. Für mich ist die ukrainische Sprache meine ID, mein individuelles kulturelles Erbe, das ich respektiere und das für mich immer Muttersprache sein wird. Gleichzeitig habe ich großen Respekt vor der deutschen Sprache, die ich immer noch verbessere, und selbst wenn man mir anbietet, zum Englischen zu wechseln, lehne ich ab, weil ich diese Sprache lernen und fließend sprechen möchte. Was die Verwendung der Sprache im Film angeht, so ist sie auch ein besonderes Werkzeug, man muss die Feinheiten jedes Wortes verstehen, denn der Kontext der inhaltlichen Wahrnehmung hängt davon ab. Ich halte es für eine große Kunst, Dialoge für einen Film schreiben zu können. Deshalb würde ich bei meinen nächsten Drehbüchern gerne eine*n österreichischen Dialogautor*in einbeziehen. 

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Österreich ist einerseits historische Kolonialmacht über westliche Randgebiete der heutigen Ukraine und hat andererseits nach wie vor ein unverhältnismäßig nahes Verhältnis zu Russland, wenn man etwa die Abhängigkeit von russischem Gas, das Engagement österreichischer Banken oder den Besuch des österreichischen Kanzlers Karl Nehammer bei Wladimir Putin betrachtet. Gleichzeitig ist die EU-Skepsis in Österreich so hoch wie in keinem anderen Land. Ist die Ukraine europäischer als Österreich? Welche Ziele, Wünsche und Hoffnungen verbindest du mit einem EU-Beitritt der Ukraine? Welche Rolle spielen dabei Film, Kunst, Musik, Kultur?

Ich glaube, dass die Ukraine es nicht nur verdient hat, ein europäisches Land zu sein, sondern dass sie es auch mit Mut und unter Einsatz des eigenen Lebens für sich gewinnen kann. Zudem hoffen wir auf eine bessere Zukunft für unsere Kinder in einem Land, in dem Menschenrechte, Bildung, Gesundheitsfürsorge und sozialer Schutz auf den Grundsätzen der Menschlichkeit beruhen und in dem Korruption nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist. Leider habe ich noch nicht die politischen Kenntnisse, um Österreich auf der internationalen Bühne der EU zu vergleichen. Was das russische Gas betrifft, so handelt es sich um eine Falle, die von der Sowjetunion erdacht und umgesetzt wurde. Viele Länder sind in diese Falle getappt. Und wir sollten das russische Agentensystem und die Propaganda in Europa nicht vergessen. Es handelt sich um ein riesiges Netz von Desinformation und Spionage, das unterschätzt und nicht richtig angegangen wurde. Es handelt sich um einen hybriden Krieg, der seit vielen Jahrzehnten geführt wird. Wir alle wissen, dass die NATO das Einzige ist, was Russland davon abhält, in Europa einzumarschieren, daher möchte ich die Aufmerksamkeit auf eine Nuance lenken: Man stelle sich vor, was passieren könnte, wenn Ungarn eines Tages aus der NATO austritt, und die Ukraine einer russischen Aggression nicht länger standhalten kann. Werden russische Truppen über die Ukraine und Ungarn in das neutrale Österreich und dann in die Schweiz eindringen? Wer würde sie dann vor Russland schützen? Dann gäbe es noch das Problem der politischen Destabilisierung der Nachbarländer, um pro-russische Führer zu installieren, die den Austritt aus EU und NATO beeinflussen würden. Manche mögen das für Fantasie halten. Aber hätte sich Europa vorstellen können, dass in der Ukraine ein Völkermord und massive Bombardierungen beginnen würden? Heute ist das keine Fantasie, sondern Realität. Die Rolle der Kunst in der Gesellschaft ist wichtig. Wir alle sind von Informationen abhängig – zum Beispiel von Nachrichten. Was ist dann das Wesen des Fiktionalen und Dokumentarischen? Es gibt einen großen Unterschied zwischen Fernsehen und Kino. Das Fernsehen informiert uns über alles, was um uns herum geschieht, während das Kino über das berichtet, was in uns vorgeht, über emotionale Intelligenz und innere Wandlung. Ich glaube, dass Kunst benötigt wird, weil sie ein Spiegel der Gesellschaft ist. Das Kino kann Unterhaltung, Inspiration, Protest, Erleuchtung und sogar psychologische Therapie sein. 

Link: https://www.marianbushan.com 

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