Barbie hypt, Barbie trendet. Wohl so, wie überhaupt noch nie zuvor. Fast scheint es, als wäre hier eine sentimentale Retrofizierung gelungen, zurück zu einer Zeit, die es so nie gab. Aber das ist längst nicht alles. Will man zu so einem Thema etwas sagen, ist es oft gut, wenn man ein bisschen abwartet, sich das Ding von mehreren Seiten anschaut, ein bisschen was dazu liest. Das zweite Kinowochenende ist nun vorbei, »Barbie« hat keine Erwartungen übertroffen, aber – wie vorauszusehen – alle erfüllt und die Box Offices gesprengt. Sogar wenn einen dieser Film überhaupt nicht interessiert, hat man das irgendwo mitbekommen. Das erfolgreichste Eröffnungswochenende einer weiblichen Regisseurin ist somit in der Geschichte festgehalten.
Glitzerndes Drumherum
Schon vor dem Kinostart war eigentlich klar: »Barbie« muss geil sein. Es gab kein Wenn und Aber. Die fast schon brutale PR mutete an wie die Story von »Des Kaisers neue Kleider«, denn eine der wohl ältesten Marketingformeln der Welt ging voll auf: Wenn man etwas nur lang und breit wiederholt, dann wird es auch irgendwann real. Hier wurde nichts ausgelassen: Mega-Kooperationen mit Airbnb, Primark, Xbox, um nur ein paar wenige zu nennen, Befriedigung viraler Ansprüche, beispielsweise mit dem Barbie-Selfie-Generator von Warner Bros, oder eine andere Art der Suchmaschinenoptimierung: Googelt man Barbie und Movie, poppen Sternchen auf und der Hintergrund verfärbt sich langsam pink. Dasselbe passiert, wenn man Regisseurin und Drehbuchautorin Greta Gerwig googelt. Oder Hauptdarstellerin Margot Robbie. Oder Ryan Gosling. Nichts passiert, wenn man Mattel googelt. Man fragt sich unweigerlich: Sind die jetzt alle Barbie? Oder eher: Sind die jetzt Mattel? Es kommen noch mehr Fragen: Warum überhaupt dieser Film? Mit diesem Cast, mit dieser Regisseurin?
Der Trailer gibt leider wenig bis keine Informationen preis, weder, um diese Fragen vorab beantworten zu können, noch, was genau nun der unglaublich großartige Moment in diesem Film sein soll. Aber da gab es ja immer noch den einen Namen: Greta Gerwig. Und da, wo Gerwig draufsteht, muss was Gscheits drin sein. Gescheit, das sind in einer Zeit von steigender Aware- und Wokeness natürlich auch zeitgenössische feministische Bilder. Man kennt die Arbeit der Regisseurin, früher noch Mumblecore-Indie, mittlerweile längst Mainstream-Bereitschaft. Was genau die Gerwig’sche Bildsprache im »Barbie«-Movie kann, will Johanna Adorján von der »SZ« ganz genau wissen, und findet … nicht viel: »Ist es Feminismus, für einen Barbie-Spielfilm eine Regisseurin zu engagieren, die als Letztes eine gigantisch unfeministische Historienschmonzette über einen Haufen Schwestern gedreht hat, die sich dauernd weinend in die Arme fallen und über Männer reden (Little Women)? Immerhin, eine Frau.« Immerhin. Das ist mal zum Schlucken für alle Gerwig-Fans.
Worum geht’s überhaupt?
Barbie lebt in ihrem perfekten Land: Jeder Tag ist gleich, einfach perfekt. Man widmet sich seiner Morgenroutine (wenn auch ohne Flüssigkeiten), geht an den Beach und macht danach Party. Alle Barbies heißen Barbie, alle Kens Ken. Die heile Welt beginnt jedoch von einem Tag auf den anderen zu bröckeln, Barbie hat Todesgedanken, bekommt flache Füße und entdeckt Cellulite. Die einzige Rettung ist ein Besuch in der realen Welt, um das Mädchen zu finden, das mit ihr gespielt hat, wie »weird« Barbie ihr rät. Barbie macht sich also auf, um diese Herausforderung anzunehmen. Auch Ken kommt mit. Die reale Welt ist natürlich shocking und ganz anders, als Barbie und Ken sie kennen. Schlecht für Barbie, gut für Ken. Denn erstmals mit dem Patriarchat konfrontiert, geht er darin voll auf, möchte sich aneignen, was es sich anzueignen gibt, und all das ins Barbie-Land mitnehmen. Das sind vor allem Pferdemotive, Pelzmäntel und Muskelspielereien. Dort angekommen, krempelt er die altbekannte Heimat um, während Barbie eine ganz andere Identitätskrise hat: Realitätskonfrontationen bedingen sehr viele Verletzungen, aber auch berührende Momente.
Brav gemacht, gut durchdacht, well performed
»Barbie« sei ein Film für alle, die Barbie lieben, und auch all jene, die Barbie hassen, ist schon im Trailer zu lesen. Bei so viel Anspruch, allen gerecht zu werden, ist Barbie klarerweise handwerklich gut gemacht. Greta Gerwig legt viel Wert auf Details. Sogar für intellektuelle Referenzdrescherei ist hier genug Platz: Von »The Godfather« und »A Space Odyssey« bis hin zu »Grease« und »Rocky« kommen (auch selbstreferenzielle) Augenzwinkerer nicht zu kurz. Das Set-Design sucht seinesgleichen, zwischenzeitlich wurde sogar die Farbe Pink global knapp. Es gilt nichts zu übersehen, auf dem vermeintlichen Kunstgriff-Spektrum. Das trifft natürlich auch auf die eingesetzte Sprache zu: Dialoge sind fein geschliffen, Worte gut gewählt. Ein emotionaler Monolog wird für Publikum und Kritik zum zentralen feministischen Moment des Films: Gloria (America Ferrera), eine Person aus dem echten Leben, spricht über erschöpfend-frustrierende Stereotype und Immer-noch-Realitäten.
Generell sorgt die gesamte Schauspielriege, die aus vielen bekannten Gesichtern besteht, verlässlich für die richtig dosierte Abmischung an Gefühligem. Leute wie Michael Cera, Emma Mackey, Simu Liu, Kate McKinnon, Rhea Perlmann u. a. scheinen in jeglicher Hinsicht richtig Spaß daran zu haben, diesen Beruf auszuüben. Vor allem Goslings Ken-Performance wird von Kritiker*innen gelobt: Ken ist vorerst Barbies Beiwerk, nicht mehr. Mit der Entdeckung des Patriarchats blüht er auf, kann Barbie damit aber nicht für sich gewinnen und versteht am Ende die Krise, in der er sich befindet. Gosling kann alle diese Herausforderungen inklusive dazugehöriger Gefühlsklaviaturen nachvollziehbar darstellen, ob Unsicherheiten, Selbstherrlichkeit, narzisstisches Beleidigtsein oder Momente der Verletzbarkeit.
#Kenough?
So unterhaltsam Kens Reise ins Patriarchat und zurück ist, so unaufgelöst bleibt sie am Ende stehen. Das mag zwar auch in real life so sein, der Punkt, den man hier kritisieren kann, ist aber ein anderer: Barbie schlägt Ken vor, wie es damit wär’, einfach mal er selbst zu sein. »What about being you?« Das alles rennt sehr liebevoll ab, auf dem Barbie-Bett. Was daran schlecht ist? Im Gegenteil zu banalem Canceln wäre das Gespräch dort, wo es weh tut, ein lösungsorientierter Ansatz. Die Antwort ist eine Frage: Muss es so sein, dass Frauen – wieder mal, ganz selbstverständlich – in die emotionale Verantwortung gehen, klarerweise auch helfen bei der Ablegung patriarchaler (Rest-)Strukturen? Die Barbies erkennen hier das Problem, lassen sich nicht von Aggression, Mansplaining oder anderen Demütigungen entmutigen und versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden. Mit einem Trick gelingt es, doch noch vernünftig mit den Kens zu reden, inklusive empowern, Kopf streicheln, empowern. Anstrengend, aber wann ist es das nicht für Frauen? Hinter jedem starken Mann steht schließlich eine starke Frau, könnte man jetzt so sagen. Was ist die Alternative, kann man auch fragen.
Halbalte weiße Männer
Man möchte meinen, dieses edukatorische Bemühen richte sich vor allem an junge, heranwachsende Männer und helfe bei der Einübung von gesünderen Rollen und deren Verständnis. Auch oder vor allem, weil gezeigt wird, dass diese positiv aufgenommen und unterstützt werden. Irgendwo bleibt da aber ein Nachgeschmack. Vielleicht, weil es längst schon eine andere Gruppe gibt, die immer mehr an Orientierung und Einfluss zu verlieren scheint, aber gleichzeitig an Traurigkeit gewinnt. Gemeint sind 40- bis 50-jährige heterosexuelle weiße Cis-Männer, Familienväter mit Familienmüttern und Familienkindern. Sicher ist es da kein Zufall, dass Ryan Gosling als Angehöriger dieser Alterskohorte als Hauptdarsteller gecastet wurde. Seine Rolle ist es wahrscheinlich auch, den Vätern, die mit ihren Kids in den »Barbie«-Film gehen, Identifikation zu ermöglichen. Oder zumindest ein paar Aufreger, denn das tut Feminismus nach wie vor, wenngleich es doch um equality geht. So gern das anscheinend doch noch immer übersehen wird: Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die ständiges Mitdenken und Analysieren mögen – natürlich auch im Kino.
Subliminal Images: Das Trojanische Pferd
Solche Menschen freuen sich sehr, wenn sich Vermutungen bestätigen, wenn sie plötzlich hochschrecken im Kino und sich beispielsweise fragen: Ja, Moment … Ist das da jetzt ein Trojanisches Pferd gewesen? Die Antwort lautet: Ja. Als Mattel von der realen Welt in dem von den Kens auf den Kopf gestellte Barbie-Land landet und schlussendlich Barbie herself gegenübersteht, ist hier kurz im Hintergrund, rechts von Will Ferrell als CEO, auch ein hölzernes Trojanisches Pferd zu sehen – wenn man dem glauben mag, was man sieht. Es ist nämlich so kurz, dass man fast an Subliminal Images (wie beispielsweise in »Fight Club«) denken mag. Das ist dann der Moment, in dem sich der eine oder die andere freudvoll selbst lobend ins Fäustchen lacht. Gut beobachtet! Bei »Barbie« passiert dies jedoch nur, um dann enttäuscht zu sein, dass man mit dieser klugen Erkenntnis ganz und gar nicht allein dasteht.
Gleich mehrere Quellen verwenden den Begriff »Trojanisches Pferd«, wenn auch manche eher sinnbefreit, wie das Beispiel von »Fox News« zeigt: »Fox contributor says the Barbie movie is ›a Trojan horse‹ for the feminist agenda«, so die Schlagzeile. Ein gewisser Raymond Arroyo meint: »Well, and this is insidious because feminists are taking over a doll they never really liked in the first place and using it as a Trojan horse to teach girls, Daddy is really a dummy or a domineering idiot.« Well. Barbie infiltriere den Mainstream mit bösem, woke-feministischem Gedankengut, das einzig und allein das Ziel hat, die armen Männer (oder eben im Speziellen die Daddys) blöd aussehen zu lassen. Dass dies wohl weder Greta Gerwig noch irgendwer anderer als zentrale Botschaft der Erzählung angesetzt hat, muss man an dieser Stelle nicht weiter erläutern.
Neue Wege im Mainstream
Die Botschaft ist klar: Neues Denken ist im Mainstream angekommen. Barbie und Ken sind nicht mehr die, die sie mal waren, Zeitgenössisches schummelt sich in die Mattel-World. So sehr man als Produzent für die Massen an etwas festhalten will, einfach weil es mal bestens funktioniert hat, muss man sich geschlagen geben, wenn es schmerzhafte Umsatzeinbußen gibt und man eben diesen Erfolg wieder haben will. So klingt es nur sinnvoll, dass uns erklärt wird, die beiden stereotyp-binären Antiheld*innen wären so, wie wir sie in Erinnerung haben, ja gar nie gewesen. Unter anderen wird dies von Ruth Handler (Rhea Perlman) unterstützt, der Erfinderin der Barbie, die hier als liebe Oma ihre damaligen Ansprüche erläutert und Barbie natürlich auf ihrer Reise zur Seite steht. Haben Millionen von Menschen etwas falsch verstanden in der Rückschau? Ja. Aber auch das das wird ja im Film zum Glück berichtigt. Ganz kapiert man es dennoch nicht, warum Barbie schon immer feministisch war – nur weil sie eine Projektionsfläche der bestgemeinten Wünsche war, die Handler für ihre eigene Tochter hatte. Ganz glaubt man es auch nicht, wenn man sich die Identifikationsfiguren ansieht, die sich weder so verhalten, noch so aussehen, wie alles, was man sein kann oder will.
Künstlerisch wertvoll?
Ist das Trojanische Pferd, wenn man so möchte, neben allen Referenzen und Umdeutungsversuchen, somit ein gelungener Kunstgriff? Jein. Es ist vor allem eine altbekannte Strategie, vorsichtig Kritik unter einem Deckmantel daherzuwischeln, mit dem Bemühen, dem Werk Mehrdimensionalität zu geben. Tiefe, wenn man so will. Für jede*n ist was dabei, natürlich auch für Mattel: Dessen CEO fragt in der Barbie-Welt: »Was ist die Lösung?« Die Lösung aus dieser Krise, in der sich Mattel in einer Welt der rising Aware- bzw. Wokeness befindet? Gloria (America Ferrera) als ordinary Millennial-Barbie-Playerin (= umsatzstärkste Zielgruppe) schlägt es vor: »Make the ordinary Barbie.« Alle finden das super, Barbie wird zu Barbara und geht zum Gynäkologen in the real world. Ordinary girl in an ordinary world. Danach folgt ein Zusammenschnitt von Amateurvideos, gefolgt von Outcast-Barbies, die kurz im Film vorkommen, ganz im Sinne von, ja, richtig: ordinary. Applaus, alle sind glücklich, alle sind inkludiert. So kann es gehen. So geht es auch.