Mia Zabelka © Michael Krepper
Mia Zabelka © Michael Krepper

Postcards from the Maschinenhalle – MonotypeRec

Das polnische Avantgarde-Label präsentiert zwei vielseitige Acts: Komora A, Mia Zabelka am 24. Mai im Wiener Fluc und am 26. Mai im klang.haus Untergreith. Anlass für eine Rundschau über Neuerscheinungen aus dem Frühjahr 2012.

Bin ich der richtige Rezensent um das Monotype-Label zu würdigen? Ich frage mal das Internet, denn das vergisst im Gegensatz zu mir nie.
Aha. Eine Hymne (für die Distribution bzw. Kooperation mit den polnischen Bôt Records bei drei CDs), ein Totalverriss, einmal Schulterzucken. Au&szligerdem im vorletzten skug eine Verbeugung vor der wunderschönen Zusammenarbeit von Scanner & David Rothenberg. Ein umtriebiges Label also, sehr verdienstvoll im Bereich der Elektroavantgarde. Zu verdienstvoll vielleicht sogar. Man geizt online mit Labelinfos, verrät jedoch einheitlich und zuverlässig Basisinformationen zu den Alben und ihren Künstlern. Immerhin wissen wir, dass Monotype mittlerweile 44 CDs und 8 LPs alt ist. Ein eher eckiges Jubiläum also.

mt1.jpgBeginnen wir mit der optisch vielversprechendsten Neuerscheinung. »The Crying Of Lot 69« von EUGENE S. ROBINSON und PHILIPPE PETIT stellt sich als Soundtrack zu einem trashigen Horrormovie aus den 1970ern vor ?? und ist es auch in musikalischer Hinsicht. Ein allzu typischer, elektroakustischer Sea of Sound zieht sich vom ersten bis zum letzten Stück, der für sich genommen nur die Dringlichkeit einer Maschinenhalle kurz vor einem hereinbrechenden Gewitter (file under: »Die Angst der Maschinen vor dem Stromausfall«) erzeugen würde, wäre da nicht der amerikanische Autor Eugene S. Robinson, der über diesen Soundtrack monologisiert. Als hätte der Off-Kommentator eines Horrorfilms gegen seine Bestimmung revoltiert, um den ganzen Film über seine kryptische Weltanschauung zu verbreiten. Eine Deutung, die dem Autor von »Guide To Getting Beaten Up« wohl kaum stören dürfte, wirft er doch gerne sämtliche, literarische Bezüge in eine Tonne und schreibt darum etwa für »The Wire«, »SF Weekly« oder, huch, den »Hustler«. Klingt nach Provokation durch Indifferenz ?? was gar nicht so übel in eine Maschinenhalle passt.

mt2.jpgTOSHIMARU NAKAMURA und JOHN BUTCHER gehen auf »Dusted Machinery« noch einen Schritt weiter ?? in die Maschinenhalle. Der Titel der CD, verstaubte Maschinen, sagt ohnehin schon fast alles. Tatsächlich klingt der knapp 10-minütige Opener über weite Strecken nach klemmenden Ventilen, durch die Druckluft entweicht. Man würde sich erneut einen Off-Kommentator wünschen, allerdings eher einen Abteilungsleiter der wütend durch die Halle schreit: »Dreht das Höllenteil ab!« Der Chef kommt aber nicht (Wozu mir jetzt eine Franz-Morak-Nummer einfällt ?? wer wei&szlig welche? Egal.) und wir müssen weiter den von Laptop-Knistern begleiteten Saxophonexkursen von John Butcher folgen. Ja, das ist virtuos, stringent und konsequent, aber nein, das ist viel zu monolithisch, viel zu selbstverliebt, viel zu bockig. Macht doch ein Fenster auf in der Maschinenhalle, Jungs! Es riecht ein wenig streng nach Avantgarde!

mt3a.jpgÄhnliches lässt sich für ERIKM & MICHEL DONEDA und ihre CD »Razine« behaupten. Allerdings zeigen sich beide Herren, sowohl Doneda am Saxophon wie auch ErikM an allerlei hübsch enervierenden Gerätschaften, weitaus widerborstiger, fieser, bissiger. Was mich, obwohl »Razine« ein ziemlicher Hardcore-Hörgenuss ist, doch mehr anspricht. Das gilt vor allem für die umtriebige Arbeit an den Turntables und die Bereitschaft des französischen Saxophonisten, nicht ausschlie&szliglich Klangspektren erforschen zu wollen, sondern wenigstens hin und wieder in die Niederungen profan erzeugter Töne abzusinken. Fazit: Schwer verdaulich, aber herausfordernd. Gute Sache.

mt5.jpgWir wechseln das Medium. »Der Kreis des Gegenstandes« von AXEL DÜRNER, WERNER DAFELDECKER & SVEN-?KE JOHANSSON ist nur auf LP erschienen – für mich übrigens immer wieder ein überraschend ungewohnter Eindruck. Denn LPs, das waren bei mir gewisserma&szligen die prä-avantgardistischen Zeiten. Und wenn, sah es irgendwie nach Klassik aus. Deutsche Grammophon eben. So etwas erwartet man nicht von einer LP, die auf dem Cover Ülcontainer im Schnee zeigt – und im Innenteil ein reiferes Herrentrio in einer leergeräumten ?? richtig, Maschinenhalle. Here we are again. Nur dass die drei Herren ihre rauen, schnatternden, quasi-elektroavantgardistischen Soundscapes auf nahezu analoge Weise erzeugen, mit Trompete, Double Bass, Percussion ?? und eben doch einer Prise Elektronik. Sperrig ist, was man da hört, eine Verweigerung vor jedem Wohlklang, aber auch nicht unbedingt die gro&szlige Disharmonie; dazu ist dieser Gegenstandskreis zu perkussiv, zu zersplittert, zu unterkühlt. Musik wie ausgelaufenes Ül ?? auf einer Tankstelle in Grönland.

mt3.jpgHöchste Zeit, die Maschinenhallen der Verweigerung im hohen Norden zu verlassen, und per Autostop nach Tacoma an das imaginäre Grab von Jimi Hendrix zu fahren. Und zwar gemeinsam mit EUGENE CHADBOURNE AND THE DROPOUTS auf der LP »Zupadupakupa«. Das klingt nicht von ungefähr nach gesundem Nonsense. Bitte aufzeigen, wer noch nie von Eugene Chadbourne gehört hat? Ah? Dachte ich mir. Nachlesen im Internet, bitteschön! Ich begnüge mich hier damit, den Hut vor diesem avantgardistischen Haudegen zu ziehen, der unter Missachtung diverser gerümpfter Nasen ein weiteres Mal herrlichst verquere, abgeschrägte Musik hervorzaubert. Im Grunde ist das hier die ultimative Verweigerung, denn Chadbourne verweigert der HörerIn irgendetwas ernst zu nehmen – am wenigsten den Künstler. Er genehmigt sich keinen der vielen Fetische moderner Musik (Virtuosität, Materialdenken, Stringenz ??), sondern fährt mit dissonanter Furore quer von progigem Folkrock bis hin zu freejazzigem Punk. Im Grunde ist so eine Platte für die avantgardistische Nische unbezahlbar, denn eine derart hoffnungslos ironische Liebe zur Musik ist wohl der beste Einstieg ins Metier überhaupt. Tankstellen in Grönland? Geschenkt! Wir wollen die Revolution mit Fidel Casio! (Und plötzlich wächst mir Monotype doch noch ans Herz ?? )

mt4.jpgWir kommen zum Schluss. Die verdienstvolle Violonistin, Komponistin, Klangkünstlerin MIA ZABELKA muss man eingefleischten Kennern der Elektroavantgarde nicht mehr vorstellen, ihre neue CD »M« im Grunde auch nicht, wurde sie doch bereits von kompetenter skug-Prominenz rezensiert. Also schrieb Alfred Pranzl über diese überraschend eingängige CD: »Experimentelle Klänge mit Hirn und Herz, zwar mit Widerhaken, aber mit Sinn für den schönen im verzerrten Klang.« Das lassen wir jetzt einfach als generellen Sanctus für das Monotype-Label so stehen. Reinhören je nach Gusto bitte – und live ebenso ein Ereignis:
Monotype-Rec.-Nacht im Fluc, 23. Mai, 22 Uhr, mit Komora A, Trio Mia Zabelka, Project M & Visuals von Mia Makela. Selbes Line-up am 26. Mai in klang.haus in Sankt Johann im Saggautal!

wein.klang Frühling
NORD.KLANG.LICHTER


Im Rahmen des diesjährigen wein.klang Frühling am 26. Mai 2012, 19 Uhr präsentiert das klang.haus Untergreith unter dem Motto ?NORD.KLANG.LICHTER? spannende Positionen der Klangkunst zwischen unterschiedlichen experimentellen Stilen aus dem Norden Europas. Das Indie-Label MonotypeRecords aus Warschau hat sich seit Jahren einen internationalen Namen gemacht und Ohrenhoch – der Geräuschladen ist ein renommierter Meeting Point der Klangkünste in Berlin.

MONOTYPERECORDS

Stylistisch konzentriert sich Monotype auf Avant-Garde-Musik wie Noise, Drone, Musique Concrete und elektroakustische Musik bis hin zu Minimal Music, Free Jazz oder EAI. Monotype ist momentan eines der aktivsten europäischen Musiklabels. Der Katalog inkludiert mehr als 40 Ausgaben (CD, Vinyl Platten und DVDs). Seit 2009 veröffentlicht MonotypeRecords auch (unregelmä&szligig) seine eigene Musikzeitschrift „mi“. Im klang.haus wird Monotype erstmals das Trio Komora A zur Aufführung bringen.

KOMORA A
Komora A sind Dominik Kowalczyk (Wolfram), der Schlagzeuger von der Indie-Rockband Setting the Woods on Fire, Karol Koszniec und Jakub Mikolajczyk, Besitzer des Labels MonotypeRecords. Die drei Musiker teilen eine zweifellos ähnliche, aber trotzdem nicht-identische Sensibilität für Klang. Das Trio richtet seine Aufmerksamkeit auf Klangentropie: Kowalczyks raue Klangmeditation schafft im Zusammenspiel mit der extrovertierten Disposition der beiden anderen die musikalische Ebene einer flie&szligenden Kontrapunktik.

MIA ZABELKA
Mia Zabelkas neues Solo „project m“, welches auf MonotypeRecords erschienen ist, fokussiert die Entwicklung experimenteller Improvisationstechniken mit der Stimme und der Geige in einem Prozess, den sie als „automatic playing“ bezeichnet. Dabei erforscht sie Beziehungen zwischen dem Körper, der Gestik, Klang, Maschinen und Raum und verwendet live Elektronik, um das elektro-akustische Klangspektrum zu erweitern. Mia Zabelka arbeitet mit dem Klang ihres eigenen Körpers, den sie durch sehr kleine Kontaktmikrofone über Haut und Haare wiedergibt, sowie mit Körperklängen, die mit medizinischen Geräten aufgenommen werden.

OHRENHOCH – DER GERÄUSCHLADEN
Ohrenhoch – der Geräuschladen ist ein Raum für die Präsentation internationaler Sonic Art und eine Hörschule für Kinder. In der Hörgalerie wird jeden Sonntag eine Fixed-media-Arbeit über eine spezielle klangarchitektonische (Lautsprecher-) Installation im Loop präsentiert. Ein besonderer Fokus liegt damit auf der Wahrnehmung einer einzelnen Arbeit, in der Anfang und Ende des Stückes aufgehoben werden. In der Hörschule lernen die Ohrenhoch-Kids ihre eigenen Ideen in Geräuschen und Klängen auf Fixed-media und installativ auszudrücken. Knut Remond, der Leiter von Ohrenhoch, wird im klang.haus das Stück ?defeat., ein Audiodrama oder Psychosonic??, präsentieren, dessen Materialen Handy-Videoaufnahmen von US-Soldaten sind, die irakische Kinder u.a. mit Fu&szligbällen, Schokolade und Stofftieren erziehen.

Wir freuen uns, Sie bei einem interessanten Hörabend in der konzentrierten, stillen und besonderen Atmosphäre des Weingartens, vor dem klang.haus gelegen, begrü&szligen zu dürfen.

Das klang.haus Team 

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