skug: Wie kam es zu »phonofemme«?
Mia Zabelka: 2007 wurde das von Pia Palme kuratierte Festival »emay« aus der Taufe gehoben, 2009 wurde ich vom Kosmos-Theater beauftragt, ein zweites Festival, eben »phonofemme«, zu kuratieren, da eine Plattform für experimentelle elektronische und improvisierte Musik in Österreich bislang fehlte. Noch im selben Jahr wurde das Festival mit einem Amerika-Schwerpunkt im Kosmos-Theater präsentiert (u. a. mit Lydia Lunch und Olga Neuwirth). 2011 gab es das Festival in der Brunnenpassage in Kooperation mit Wien Modern, der Schwerpunkt lag auf London. Ko-Kurator war Mike Harding, der Label-Chef von Touch Records. In diesem Jahr findet »phonofemme« vom 25. bis 27. Oktober ausschließlich in der Brunnenpassage statt.
Warum die Brunnenpassage, die ja zugleich Kunst- und Sozialprojekt ist und den Slogan »Kunst für Alle« propagiert?
Der diesjährige Schwerpunkt ist der öffentliche Raum bzw. die Verschränkung des öffentlichen Raums mit dem Radio-Raum, dem »Radio-Space«. Das Besondere an der Brunnenpassage ist ihre offene Struktur. Leute kommen einfach vom Markt herein, Anrainer schauen vorbei und natürlich das Spezialpublikum. Das letzte Mal ist ein Kind mit seinem Roller während einer Performance einfach durchgelaufen. Ich mag Transparenz und Durchlässigkeit. »phonofemme« soll kein radikal-feministisches Festival sein, es können Männer auftreten, und vor allem sind Männer als Publikum erwünscht. Nur keine Abschottung!
Welche Headliner dürfen erwartet werden?
Es werden etwa fünfzehn Künstlerinnen teilnehmen, aber es ist kein großer Headliner dabei. Nicht nur weil das Geld dafür fehlt, sondern weil es eben um Offenheit und Partizipation geht. Am ersten Tag gibt es Workshops zu den Themen Improvisation und Field Recordings, was sich auch deswegen anbietet, weil es auf dem Markt immer super Sounds einzufangen gibt. Am zweiten Tag wird das Projekt »Interfering Radar«, ein »intermediales Musiktheaterstück «, bei dem u. a. die von mir entwickelte Radiovioline und der Chor der Brunnenpassage eine Rolle spielen werden, präsentiert. Am Sonntag wird ein »Hörspiel« unter der Leitung von Lale-Rodgarkia-Dara inszeniert. Dabei werden Künstlerinnen an verschiedenen Orten Performances liefern, etwa in den Wohnungen rund um den Brunnenmarkt, die dann live in der Brunnenpassage zusammengemischt werden. Beide Projekte finden übrigens in Kooperation mit mehreren Radiostationen statt. Den Abschluss des Festivals bildet ein Auftritt der One. Night. Band., die 2002 von Zahra Mani und mir gegründet wurde und die schon viele Mitspieler hatte, etwa Manon Liu Winter, Martin Janícek, Franz Hautzinger, Rupert Huber, Martin Siewert, Lukas Ligeti oder Wolfgang Fuchs.
Du bist seit zwanzig Jahren in der experimentellen Musik tätig, was hat sich da getan?
Für mich persönlich ist es wichtig zu sehen, dass die Klangsprache, die ich entwickelt habe, in verschiedenen Kontexten funktioniert, sei es mit Improvisationsmusikern oder mit Elektronikern, sei es in schrillen Kollaborationen, wie mit Lydia Lunch oder in Trioprojekten, etwa mit John Russell und Maggie Nicols (»Trio Blurb«). Zuletzt habe ich mit einer Postpunkgruppe aus Moskau gearbeitet, auch i-Wolf hat Sounds von mir verarbeitet. Generell erscheint mir die Improvisation nach wie vor als zeitlos. Ich habe viele Moden, viele Hypes miterlebt, etwa dieses Computergeknackse. Eine Zeit lang haben das alle gehört, dann war es wieder weg. Die Improvisation hingegen kommt mir frisch und lebendig und offen vor. Und diese Offenheit ist auch wichtig. Denn ich sehe immer wieder die Tendenz in der experimentellen Musik, dass man sich, je weniger Publikum man hat, desto mehr in Richtung eines Sektierertums entwickelt. Plötzlich hält man an extremen Dogmen fest, und dann setzt sich so eine Schmetterlingssammlermentalität durch.
Wird nicht gerade das durch das Internet begünstigt? Viele Elektroakustiker leben nur in ihren Nischen, bei Mikrolabels, auf Minifestivals, zu denen das rar gesäte, aber international eben doch vorhandene Publikum pilgert. Dort treffen sich dann die einschlägig Gleichgesinnten wie eine erleuchtete Community …
Das finde ich durchaus okay. Aber es ist wichtig, sich zu öffnen, sich zu vernetzen und zu verschränken. Es hat ja im Gegenzug eine große Demokratisierung durch das Internet stattgefunden. Es gibt keine großen Namen oder Labels mehr, die bestimmen, wohin es geht, was angesagt ist. Es gibt viele kleine Zellen, die alle zusammenwirken … können. Es ist ja auch so, dass es viel mehr Möglichkeiten gibt aufzutreten. Nur eben vor kleinem Publikum.
Zurück zu »phonofemme«: Im Vordergrund steht also nicht eine bestimmte Form von elektroakustischer Musik, nicht eine inhaltliche Verknüpfung, sondern …
Es geht um die Vermengung von elektroakustischer Komposition und Improvisation und zugleich um ein Zusammentreffen mit dem Radio und dem öffentlichen Raum, der nicht nur für die Vermittlung, sondern als Teil des künstlerischen Prozesses wichtig ist. Man muss dazu sagen, dass in diesem Bereich viele Musiker arbeiten – besonders in Wien -, aber es gibt keine eigene Plattform für diesen intermedialen und interdisziplinären Aspekt, für dieses Ûber-die- Musik-Hinausgehen. Experimentelle Musik ist immer eine Randerscheinung, auch bei »Wien Modern« (wobei ich nichts gegen dieses Festival sagen möchte, das ist wunderbar, so wie es ist). In der bildenden Kunst haben sich neben der »klassischen Malerei« ja auch Fotografie, Video- und Installationskunst längst als eigenständige, gleichwertige Genres etabliert.
Es bräuchte also auch ein »phonohomme«?
Unbedingt, aber es gibt neben vielen etablierten Plätzen wie das Amann-Studio oder die Alte Schmiede, die wunderbar sind, keine Plattform, keine Möglichkeit zur Vernetzung für die experimentelle elektronische und improvisierte Musik. Das fehlt und es fehlt eben auch, weil es nicht finanziert wird, was ich hiermit explizit als Wunsch und Notwendigkeit an den Wiener Kulturstadtrat adressieren möchte.
ZWISCHENBEMERKUNG: »phonoTAKTIK« fand 1995, 1999 und 2002 statt, seither ist Sendepause. Das Festival wurde 2002 übrigens wegen seiner gewöhnungsbedürftigen Eintrittskartenvergabe (man musste innerhalb eines Tages die Festivalpässe abholen) und dem völligen Verzicht auf bekannte Namen zum Teil heftig kritisiert. Dass Wien ein Elektronikfestival braucht, hat unlängst auch die SPÖ-Landtagsabgeordnete Nurten Yilmaz gefordert. Die Wiener Zeitschrift »the gap« griff das Thema auf, verschleppte es aber gleich wieder in die rührselige Erinnerung an den »Vienna Sound« der 1990er und die kulturpolitisch-touristische Bedeutung eines derartigen Festivals. Man hätte offenbar gerne ein irgendwie geiles Festival – wohl wissend, dass es bei experimenteller Elektronik gerade darum nicht vordergründig geht.
»phonofemme« sucht also die Nähe zum Publikum. Es geht nicht darum, sich hinter seiner Musik oder seinem Werk, das als unhintergehbar oder sakrosankt verklärt wird, zu verschanzen?
Auf keinen Fall. Wobei es mir nicht darum geht, mich anzubiedern. Ich überlege mir nicht, wie ich die Leute erreiche. Hier gibt es für mich zwei Aspekte. Zunächst ist eine Musik, die eher schwer zugänglich für HörerInnen ist, meist eher »leicht« zu machen. Schwieriger ist es, eine »verständliche« Musik zu machen. Ganz grundlegend gesprochen: Eine Melodie zu finden, die nicht banal ist, im experimentellen Kontext trotzdem funktioniert und die Zuhörer auch erreicht, ist aus meiner eigenen Erfahrung wesentlich schwieriger als so manche komplexe Soundtüftelei. Ich mache ja viele Konzerte und sehe, wie das Publikum reagiert, wo die Leute »aufmachen« und wo eben nicht. Andererseits möchte ich die HörerInnen auch herausfordern – nicht zuletzt weil sie selbst ein großes Bedürfnis danach haben. Die Massenmedien fordern meistens überhaupt nichts von den Leuten – was immer mehr Menschen auch ablehnen. Ganz schlimm finde ich in diesem Zusammenhang YouTube. Die Videos dort zieht man sich rein, um zu wissen, was einen erwartet. Aber das ist gerade bei der experimentellen Musik nicht das Wesentliche.
Was würdest du einer klassischen Ö3-Hörerin sagen? Warum soll sie zu »phonofemme« gehen?
Weil sie vielleicht von sich selbst und ihrer Umwelt bewusst oder unbewusst mehr wahrnehmen kann. Weil sie sich dort öffnen und schauen kann, was diese Musik, was das Erleben der Musik mit ihr macht. Weil sie die Möglichkeit hat, statt sich berieseln und zudröhnen zu lassen, mit »happy new ears« zuzuhören. Eine gewisse Offenheit und Neugierde sollte eben schon vorhanden sein. Sonst geht man wohin, wo man fertige Produkte (oder eben Genres) bekommt. Eine Musik, die etwas wagt, braucht auch ein Publikum, das etwas wagt.
Ging es nicht in der Avantgardemusik früher darum, das bürgerliche Publikum zu verschrecken? Heute argwöhnt man praktisch bei jeder Musik, die von der Hitparade merklich abweicht, dass es da nur ums Provozieren geht.
Das ist sicher nicht meine Absicht. Ich mache seit sechs Jahren das Klanghaus in der Steiermark, und man hat mir prophezeit, dass das nicht klappen kann. Mittlerweile haben wir mindestens ebenso viel Publikum wie in der Alten Schmiede. Man kann ein Publikum aufbauen, den Leuten Zugänge eröffnen, dazu braucht es keine großen intellektuellen Fähigkeiten. Man muss dazu sagen, dass das Klanghaus- Festival im Freien stattfindet, auf grünen Hügeln, in entspannter Atmosphäre. Es ist ganz wichtig, auch mit den KünstlerInnen sprechen zu können. Die sollen ja auch erfahren, was die Hörerin, der Hörer verstanden hat und sich dazu denkt.
Und dieser Austausch, diese Partizipation wird bei »phonofemme« möglich sein?
Ich hoffe schon. Letztes Mal war es jedenfalls sehr gut möglich.
»phonofemme« findet vom 25. bis 27. Oktober 2013 in der Wiener Brunnenpassage (Yppenplatz) statt. Der Eintritt ist frei.