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Natasha Barrett

»Peat+Polymer«

+3db Records

In der schönen, metallic-bunten Welt der Elektroakustik wird gerne mit natürlichen Sounds bzw. Aufnahmen gearbeitet. Diese field recordings werden mitunter roh eingepasst, meist aber wird gesampelt, zerschnipselt, soundverfremdet, defragmentiert, bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und schließlich neu verfugt. Nicht selten klingt das wie ein akustischer Spaziergang durch einen Schrottplatz, überlagert von einer schummrigen Soundsphäre, die alles mehr schlecht als recht zusammenhält. Man hat den Eindruck, der Künstler hätte gerne komponiert mit dem sperrigen Ausgangsmaterial, aber am Ende doch eher nur kompiliert, weniger aus Unvermögen, sondern aufgrund der Faszination am Sound und dem ruppigen Ineinandergreifen von Klanglandschaften. Wer hingegen hören will, wie das klingt, wenn natürliche Sounds mit klassischer Komplexität und Virtuosität komponiert werden, wenn Sounds tatsächlich zu field-symphonischen Stücken verfugt werden, als hätte jemand ein natürliches Tonquellenorchester erfunden, der muss in die Werkschau »Peat+Polymer« der britisch-norwegischen Soundtüftlerin Nastasha Barrett hineinhören. Barrett gilt als eine der bekanntesten elektroakustischen Komponistinnen, sie wurde weltweit bereits mit Preisen überhäuft, seitdem sie 1998 ihren Doktor in Komposition an der Londoner City University machte. Die Dame lebt ganz für ihre Musik, die Website gibt sich spartanisch und dokumentiert nur das Notwendigste. Der Release der neuen CD wird bloß en passant erwähnt, immerhin Barretts erster Release seit gut sechs Jahren, eine Doppel-CD noch dazu, die es in sich hat. CD No. 1 (»Polymer«) besteht hauptsächlich aus drei dreiteiligen Suiten, von denen die erste, «Hidden Values« mit Sängerin Evdokija Danajloska, eine Art Tanzsuite für Regentropfen und hysterische Wetterfee ist. »Kernel Expansion« und »Reality and Secrets no. 2« stehen einschlägigen elektroakustischen Werken näher, doch ist es gerade in »Kernel Expansion« immer wieder faszinierend zu hören, wie virtuos es Barrett gelingt, ihre Ausgangssounds symphonisch zum Sprechen zu bringen. Als würde sie mit spielender Leichtigkeit ein Geräuschorchester bedienen, das sie zu immer neuen Effekten und kompositorischen Anfällen vorantreibt. Was man dabei hört, ist unfassbar weit weg von den trägen Soundvisionen vieler ihrer Kollegen, man kann es gar nicht oft genug sagen. CD No. 2 »Peat« hat weitaus explorativeren Charakter, es sind Soundreisen durch Peru, Shanghai und Oslo. Besonders der Spaziergang durch Oslo, unter dem Titel »Oslo Sound Space Transport System«, ist symptomatisch. 22 Minuten lang nimmt uns Barnett mit auf diese Reise, wir hören Bekanntes, Verfremdetes, Wunderliches, Sphärisches, Vieldeutiges. Das Besondere ist, dass Barnett fast immer konkret bleibt, ganz nah am eigentlichen Soundphänomen, aber aus dieser Konkretheit immer wieder ausbricht, ins Wunderbare, Phantastische, Ûberraschende. Nie wird das Gehörte zu einem Soundbrei, nie verliert es sich, nie langweilt es, nie gerinnt es zum reinen Virtuositätsbeweis. Der Gestaltungswille einer Meisterin übertrumpft alles, bringt alles in Form, wischt jede Diffusität und Beliebigkeit beiseite. Trotz der experimentellen Soundtüftelei ist es ein Werk klassischen Zuschnitts – und von dieser Warte aus betrachtet bestens geeignet, um Ungläubige zu bekehren. Ein Meisterinnenstück.

Home / Rezensionen

Text
Curt Cuisine

Veröffentlichung
13.01.2015

Schlagwörter

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