»Kein Umland ohne Dorf und umgekehrt« findet man als einleitenden Satz über das Label Umland Records. Gemeint ist damit The Dorf, eine wichtige Jazz/Avantgarde-Band aus dem Ruhrgebiet, die den Schwierigkeiten in der Musikbranche zum Trotz unbeirrbar ihre Musik macht, wie so viele auf dem Gebiet. Um eben diesen vielen einen Raum für ihre künstlerische Entfaltung zu geben, wurde vor einigen Jahren von Mitgliedern von The Dorf das Label Umland Records gegründet und veröffentlicht seither ungebrochen faszinierende Musik in einer pulsierenden Nische.
Hanna Schörken/Rieko Okuda – »Pink Citrons« (Umland Records)
Die Sängerin und Stimmkünstlerin Hanna Schörken und die Pianistin Rieko Okuda arbeiten seit rund drei Jahren als Duo zusammen und haben sich auf »Pink Citrons« einen eigenen Klangkosmos geschaffen, in dem andere Regeln gelten als sonstwo. Die zwei Musikerinnen interagieren in ihren Improvisationen weniger im Aktions-Reaktions-Spiel, sondern werkeln gemeinsam an einem Soundgerüst, das ganz langsam ein Klanggebäude hochzieht, nur um es dann wieder abzureißen. Weniger bildlich gesprochen: Schörkens Stimme produziert so ungefähr alles außer Worte gegen das nicht nur via Tasten gespielte Klavier von Rieko Okuda. Also Lippenschnalzen trifft auf Klavierkorpusklopfen, verschiedenste vorstellbare und unvorstellbare silbenartige Geräusche begegnen atonalen Klimperkaskaden. Abrupte Cuts beenden Stücke immer dann, wenn sie drohen auch nur die minimalste Form von Wiederholung anzunehmen, von der ersten bis zur letzten Sekunde keine Spur davon. Das ist nicht die Art von Improvisation, die sich durch repetitive Ostinati nach oben schraubt, nein. Es ist eine fantastische, seltsame, befremdlich-faszinierende Klangwelt, mehr nach zehn als zwei Leuten klingend, die eine*n an der Stange hält!
Meat.Karaoke.Quality.Time. – »Futura Bold« (Umland Records)
Obwohl sich auf der Instrumentenliste von Meat.Karaoke.Quality.Time fast nur Synthesizer und Sampling-Pads finden, klingt auch dieser Release »Futura Bold« ziemlich organisch. Aufgeteilt in vier Teile mit Titeln wie »My Body Is A Perfect State« oder »Connected Cocooning« existiert hier die Trap-persiflierende Roland-Hi-Hat neben Film- oder Windows-Samples. Nicht unwesentlich ist auf dieser Platte das Akai EWI (Kurz für »electronic wind instrument«, also quasi ein MIDI-Saxofon), mit dem viel herumgespielt wird. Vielleicht erschließt sich dem Rezensenten hier etwas Wesentliches nicht, aber über einzelne Strecken wirkt dieses Album schon ein wenig wie das Durchprobieren einer Sound-Datenbank. Anderswo findet man aber auch grenzgeniales Shredding (»Lithium Lucid« zum Beispiel). Ein Festmahl für Fans der spontanen Klangcollagen!
Jan Klare – »B.C.« (Umland Records)
Der 1961 geborene Saxofonist Jan Klare (der auch auf der »Futura Bold«-Platte am EWI zu hören ist) präsentiert sich auf »B.C.« in einem akustischen Kontext, und das ganz allein. Klare spielt Altsaxofon und reiht sich damit in die oft (zu Unrecht!) übersehene Historie der Saxofon-Soloplatten ein. Anthony Braxtons »For Alto« aus dem Jahr 1968 drängt sich da als Referenz fast auf. Im Ton hat Klare Dringlichkeit, faszinierende Polyphonie und Überblasungen, die stark an den vor ziemlich genau 50 Jahren verstorbenen Albert Ayler erinnern, manchmal aber mit einer gewissen Lee Konitz’schen Softness versehen. Aufgenommen im Keller einer Musikschule, klingt die Platte auch genauso, nämlich nach akustisch suboptimalen Begebenheiten. Mit dem dadurch bedingten Reverb spielt Klare aber ganz offenherzig und macht ihn damit zu einem Teil des Albums. Unterschiedliche Abstände zum Mikrofon, eine hörbare Heizung, Atemgeräusche und das Klopfen der Saxofonklappen werden ebenfalls zu Instrumenten befördert und tragen dazu bei, dass Ein-Saxofon-kann-alleine-keine-Stunde-spannend-sein-Denker*innen ein weiteres Mal eines Besseren belehrt werden.
Links:
https://umlandrecords.de/
https://umlandrecords.bandcamp.com/