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La Passe: A

La Passe
oder: Das kleine ABC dessen, was uns umgibt, ohne uns gänzlich zu umklammern

passe [pas, pas] f
1 SPORTS Zuspiel n; Pass m;
2 fig passe d'armes Wortgefecht n; Disput m;
3 hotel m, maison f de passe Stundenhotel n; Absteige f;
4 être dans une mauvaise passe e-e schwere Zeit durchmachen; ugs e-e Pechsträhne haben; être en passe de (+inf) auf dem besten Wege sein zu (+inf)
(c) 1999 Langenscheidt KG

ABC oder Abécedaire: Eine Art von Spiel, das darin besteht, Blödsinn zu reden oder ein paar Wahrheiten in einer wohlbekannten Ordnung auszusprechen, der wir uns sogleich unterstellen.

Absurdität: Siehe Alternative, ABC etc. »Fabulous Muscles«

Alternative: Es gibt keine(n) Alternative. Im Gegensatz zu dem, was am realen Markt der 90er Jahre inszeniert wurde und unter dem selben Titel wie zuvor Cold Wave, Jerk oder Neuer Salsa ist der sog. alternative Stil (oder Indie wie er in den Vertriebsnetzen hie&szlig) nichts als eine Marke gewesen, eine Trademark. Es gibt ganz einfach deshalb keine(n) Alternative, weil es sich dabei eigentlich nur um die gro&szligen Labels handelt, die eine Gruppe oder einen Künstler über den vertrauten Absatzmarkt der Alben in den Höhen der Charts platzieren. Sind Nirvana oder Ani di Franco A(a)lternativ(e)? Labels wie Alternative Tentacles mit Jello Biafra und den Dead Kennedys oder – im Anschluss daran – No Means No bzw. White House in ihren Kontext zurückzuversetzen, scheint immer noch damit zu tun zu haben, sich in einer alternativen Ükonomie zu bewegen. Doch bei 30.000 verkauften Exemplaren wird es fast unmöglich am Rand zu bleiben. Merken wir an, dass es neben wenigen Ausnahmen ganze Wagenladungen von CDs unter dem Titel Indie oder Alternaiv (sic! A.B.) gibt, die ganz unbesorgt bei den Majors unter Lizenzvertrag stehen (dabei kann man die Zweige [die Branchen – les branches] der ganz gro&szligen Bäume hinaufsteigen: Universal oder Sony). Conclusio: »Pop or Die! Arock’n’Roll« sagt sich in einer Art, die nicht sonderlich rockt. Man muss auch erwähnen, dass der Begriff des Rock’n’Roll seit einigen Jahren von seltsamen und hinlänglich verstaubten CD-Läden beansprucht wird, in denen jede Form des Ausgeschlossenen erlaubt ist. Vielleicht ist er sogar exklusiv für sie reserviert worden. So kommt man dazu, sich manchmal zu fragen, ob Elvis oder The Boss im selben Sinne Rock’n’Roll sind, wie Eddie Cochrane, Fats Domino, Jerry Lee Lewis oder Frank Alamo. Agitation Free: eine deutsche Gruppe aus den 70ern, die – wie ihr Name verrät – frei war und ziemlich agitierte. Man kann ihr dennoch Charlemagne Palestine, Throbbing Gristle oder Henry Cow vorziehen.

Anathema: Jemanden mit dem Bann belegen ?? eine Art von katholischer Fatwa (so als ob man besser daran täte, zu unseren guten alten christlichen Traditionen der Heiligen und Märtyrer samt ihrer entsetzlichen Qualen zurückzukehren, bevor man annimmt, jeder Mohammedaner sei ein potentieller Terrorist. Wenngleich das Ideal bei diesem Thema weiterhin darin besteht, gleich direkt Donatien de Sade oder Georges Bataille zu lesen). So weit uns das hier interessiert, möchte ich nur in Erinnerung rufen, bis zu welchem Punkt die verschiedenen musikalischen Kirchen und Kapellen (Stile und Gruppen) nicht damit aufgehört haben, sich gegenseitig mit Bannsprüchen zu belegen. Die Fans des Speed Trash finden Britney zum Kotzen, die mit den Ihren Led Zeppelin nicht erträgt, deren Fans wiederum jenseits des Jahres 1978 nichts Musikalisches tolerieren können. Meine Antwort? Die fröhliche Wissenschaft! Bei all den Möglichkeiten des mentalen Geschäfts ist das Populäre immer noch das Beste. Jene, die auf ihre eigene Kultur zusammenschrumpfen, die sie als prinzipiell überlegen beurteilen, sind immer schon neurotisch. Sie sollen sich zum Teufel scheren und können mich ganz persönlich am Arsch lecken: AAAaaaVVVeee – MMMMAAAARRRiaaaaa. Die europäische Version des berühmten Gospels ist im Erscheinen. Es singt in der Gruppe und im Fernsehen als Chef der Chöre und Herzen (des ch?urs et des c?urs) unser lieber Johannes Paul II. Kein Pop ohne Pope! Das ist undenkbar!

Acting-Out: Eine ernsthafte Frage, die in allen sozialen Milieus, in die das Individuum eintaucht, unaufhörlich ins Spiel kommt. In Wien ist das Acting-Out z.B. nicht schlecht. Danke. Woanders auch.

Amour: Ohne die Liebe wäre das populäre Repertoire sehr eng. Siehe Bob Dylan oder Roland Barthes (»Fragmente einer Sprache der Liebe«). Siehe auch Michael Jackson, L. Aretin, Abba, Albert Ayler, Mirabeau, Heino oder Francoise Hardy.

Abscheulich (Atroce): Ist eine Gruppe oder ein Künstler, die/der mir richtig am Arsch geht.

Agnostiker: Au&szligerhalb des Subjekts, aber nicht au&szligerhalb des Feldes.

»Ain’t Misbehavin«: Ein nach wie vor aktueller Hit von Fats Waller aus dem Jahre 1929, der sich zu jeder Tages- und Nachtzeit pfeifen lässt, als ob man glücklich und leidlich besoffen wäre.

Anderson Ivie: Unermessliche schwarze, amerikanische Sängerin aus den 30er Jahren, auf die man bei Duke Ellington aber auch in einer kurzen Passage mit den Marx Brothers aufmerksam werden kann. Siehe »It don’t mean a Thing«, »Kissin my Baby Goodnight« oder »Troubled Waters«.

Apollo Theatre: Berühmte Konzerthalle in Harlem, in der sich viele schwarze Künstler vor einem hei&szligen und tanzenden Publikum produzierten. Miles Davis fasste sie einige Jahre später ganz richtig mit dem Begriff Great Black Music zusammen.

Agrégation: Anerkennungsprüfung, die eine (französische) Person durch ein Staatsdiplom und in Bezug auf einen bestimmten Wissensbereich autorisiert. Dabei wird sie nicht darauf verpflichtet, weiter zu gehen, sich die Hände schmutzig zu machen oder sich existentiell zu riskieren. Fischteich der Kritiker und Journalisten verschiedenster Genres, Gelegenheitsdenker und -forscher. Kulturelle Schiebung, die keine Praxis, sondern ein Wissen mit Gütezeichen benötigt. Gäbe es ein universitäres Diplom für Psychoanalyse, so würde es den Zugang zu gar nichts eröffnen (»Der Analytiker autorisiert sich nur durch sich selbst«, Jacques Lacan).

Derrida (Jacques): Berühmter Philosoph, dessen Name mit einem a aufhört, wodurch man darauf zurückkommt, ganz philosophisch zu sagen, dass das Ende (auch) ein Anfang ist.

Acker: Der einen Bezug zur Erde hat. Rural Blues und die McKinney’s Cotton Pickers, bei denen Benny Carter einer der Arrangeure war, der die Stimme auch bei Quincy Jones oder den Neptunes öffnete. Aber auch denkbar als Quelle für den Folk und andere Schlager ?? Die Erde, ihre Arbeit, unsere Regionen und ihre Traditionen.

Aquarium (MTV, VIVA etc.): Nach mehr als drei vollkommen belanglosen Videos ist der Eindruck perfekt, dass man sich einem Aquarium anstatt einer Kette von musikalischen Themen gegenübersieht. Man betet also darum, dass die Scheibe nicht zerbricht und diesen mehr oder weniger rhythmisierten und schlecht verpackten Schwachsinn auf ihrem Teppichboden verschüttet. Ein Zapper ohne Komplex zu sein, bleibt also die wirksamste Lösung.

Adolf: Ein sehr rockiger Vorname, der au&szliger Gebrauch gekommen ist und in Ungnade fiel. Dies aus Gründen, die wir nicht vergessen haben.

Al Quaida: Gruppe, die von dem berühmten und gefeierten Osama Bin Laden geführt wird und sehr stark mit dem Format der Audio-Kassette (K7) verbunden ist. Hat es mit Nostalgie oder Spott zu tun? Oder geht es einfach nur darum, dass K7en besser klingen? Wir wissen es nicht. Immer nichts. (Siehe »Voyons«, Jacques Derrida, Editions Gallilée)

Annafreudismus: Anamorphose oder exemplarische Figur ihres Vaters ist sie ein pathologischer Flop hinsichtlich des Üdipuskomplexes. In gebräuchlicher Sprache: Das Nanafreudianisieren der IPA! (Notiere: ?berhaupt nicht, überhaupt nicht Rock’n’Roll. Lässt sich leicht verifizieren, wenn man sich an die Üffnungszeiten der Berggasse 19 hält.)

Amnesie: ein Begriff, der sich für tausend Sachen eignet, von denen ich hier nur zwei berücksichtige: erstens hat man bei der zweiten österreichischen Version von Starmania geglaubt, die erste verdoppeln zu können. Diese Version wurde so unsauber gesetzt, dass wir in naher Zukunft mit ihrer Absetzung rechnen können. Man muss sich an die Wahrhaftigkeit von Starmania 1 erinnern und darf Vera niemals verdrängen! Und ich bestehe darauf, dass Gainsbourg, wäre er noch unter uns, die Kleine sofort zum Singen gebracht hätte. Und zweitens geht es um Gruppen oder Bewegungen, die mit Politik zu tun haben (nicht mit der polis), da diese immer mit einer ernsthaften kollektiven Amnesie beginnen. Die Eröffnung der Politik wendet sich immer an sich selbst. In der Folge kippt sie mit annähernder Sicherheit in die absolute Schizophrenie.

Allahouk Bar (Die): Pariser Scherz mit einer bestimmten Prägnanz, der die Präsenz einer modernen arabischen Kultur in der Kapitale des Schicks und des Glamours belegt.

Wo ist Abdullah?
Er ist in der Bar ??
Was? Aber er ist doch Mohammedaner, er trinkt doch nicht ??
Aber nein, er ist in der Allahouk Bar (Lachen)
Und das finden Sie lustig? Aber ja, das bringt mich zum Lachen, solch ein Blödsinn.

America (United States of): sonderbarer Bazar der Komplexe, bei dem ich mich weigere, ihn hier zu behandeln. In einer äu&szligerst verständlichen Sprache kann man sagen, dass USA also mit einem U beginnt.

Augustinus (der Heilige): Erfinder des Ich in der Erzählung und dessen, was später zur Montage im Kino werden wird: »Darüber wusste ich zu diesem Zeitpunkt nichts und ich habe keineswegs darauf Acht gegeben. Die Dinge sprangen mir von allen Seiten ins Auge: Ich habe sie nicht gesehen. Ich deklamierte Poesien als ich in keiner Art und Weise das Recht dazu hatte, die variierenden Akzente entlang des Metrums und in irgendeinem Versfu&szlig zu platzieren, ja nicht einmal im selben Versfu&szlig. Nun, für sich genommen ist die Kunst, welche mein Deklamieren regelte, kein Arrangement aus diesem und jenem, sondern bildet ein vollkommenes Ganzes« (Augustinus/»Bekenntnisse« Buch III-8). Und wenn das nicht ein wenig Johnny Cash, Bob Dylan, Brian Wilson oder sogar Johnny Halliday vorwegnimmt, dann verstehe ich überhaupt nichts mehr.

Armstrong (Louis): Louis Armstrong! Wenn es da immer noch Leute gibt, die sein Intro zu »West End Blues« üben, hat das doch sicher einen Grund, oder nicht?

Adamo (Salvatore): Populärer Sänger belgischer oder italienischer Herkunft, dessen Platten nach 40 Jahren immer noch verfügbar sind. In einer bestimmten Art und Weise liegt er bei Caruso, Julio Iglesias, Ozzy Osbourne und Donovan. Ganz einfach herrlich.

Amon Düül: Exzellente Hippie-Pop-Rock-Gruppe. Schändlicherweise von diesen jugendlichen Arschlöchern und ihrer debilen Musik vergessen ??

Baudrillard (Jean): Berühmter und sehr komischer Soziologe, Philosoph, Photograph und französischer Chronist der – obwohl sehr talentiert – nichts mit der Rubrik A zu tun hat.

Home / Kultur / La Passe

Text
Alessandro Barberi (Übersetzung), Noël Akchoté

Veröffentlichung
04.09.2011

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