Die Welt steht Kopf in Tirol © Semiosisblog
Die Welt steht Kopf in Tirol © Semiosisblog

Ist Fragen noch erlaubt?

Der Nationalratsabgeordnete und Gastwirt Franz H. klagt den »Semiosisblog« wegen angeblicher übler Nachrede auf eine existenzgefährdende Summe. Wenn bei ihm auch Angst um den eigenen Betrieb bestehen mag, dann wirkt dies doch wie eine Einschüchterung, die die Pressefreiheit in Österreich gefährdet.

Nach den ersten (?) Corona-Wirren geht es jetzt ums eigene Gerstl in Austria. Und da komme niemand bei der Österreichischen Volkspartei zwischen Hund und Knochen. Keine Frage, ein falsches Wort und die daraus entstehenden Gerüchte können einen Hotelbetrieb wirtschaftlich erledigen. Dass Wirt*innen hier empfindlich sind, sei ihnen unbenommen. Das bedeutet aber nicht, dass Journalist*innen keine Fragen mehr stellen dürfen, weil aus diesen ungünstige Schlüsse gezogen werden könnten. Zunächst etwas Kontext. Selbstverständlich soll dieser in vorsichtiger Frageform serviert werden: Könnte es sein, dass das Krisenmanagement der ÖVP unter Sebastian Kurz im Frühjahr 2020 unterirdisch war? Wie war es möglich, dass der – sicherlich falsche – Eindruck entstand, die Tiroler ÖVP und die Bundes-ÖVP hätten im März 2020 erst nach Bedienung sämtlicher Seilschaften die erforderlichen Gesundheitsmaßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 getroffen? Wie konnte der durch Untersuchungen von österreichischen und ausländischen Instituten belegte Eindruck entstehen, dass zahlreiche Regionen Europas das Virus aus Tirol geliefert bekamen? Wieso muss die Öffentlichkeit vermuten, die ÖVP wolle mittels Heiapopeia, beispielsweise einer gefühlten Hundertschaft an Avataren, die dem Kanzler täglich auf Facebook für sein Krisenmanagement danken, den Eindruck erwecken, alles sei »supersauber«, geradezu klinisch steril verlaufen?

Was passiert mit der Kritik?
Das sind natürlich alles nur heimtückische Fragen, wie sie fiese linke Journalist*innen zu stellen pflegen. Genau die müssen aber eine Regierung und gewählte Volksvertreter*innen aushalten können. Wenn ein Eindruck entsteht, dann darf dieser auch artikuliert werden. Die geschätzten Kolleg*innen vom »Semiosisblog« haben genau dies getan. Sie halten seit Längerem unter schwierigsten Bedingungen eine Rechercheplattform aufrecht, die gute Beiträge von hervorragenden Autor*innen liefert. Geklagt wird »Semiosis« jetzt wegen einer semiotischen Spitzfindigkeit: Ihr Text »Im Zillertal: ›Verstorben nach kurzer, schwerer Krankheit‹« suggeriere, das Hotel von Franz H. sei nach zwei Stunden aufgrund politischer Intervention wieder geöffnet worden. Denn, so führt der Text sachlich richtig an, ein Corona-Test dauere mindestens vier bis sechs Stunden (wenn sich ein Labor im Ort befände, was aber nicht der Fall ist …). Der Verdacht der Erkrankung eines Gastes konnte somit unmöglich nach zwei Stunden bereits aus der Welt sein. Die kritische Frage, wie eine Öffnung nach zwei Stunden möglich sein konnte, stellt sich somit. Der Wirt und ÖVP-Abgeordnete H. findet die Frage aber empörend und klagt auf üble Nachrede.

In der ÖVP steigt langsam die Nervosität und dies ist gefährlich für die freie Meinungsäußerung im Land. Der »Semiosisblog« wurde jetzt auf 10.000 Euro Schadenersatz geklagt, die das Ende dieses Mediums bedeuten würden. Die in dem »Semiosis«-Beitrag angestellte Vermutung ist aber sachlich gut zu rechtfertigen. Eine rein aus üblem Willen gemachte Unterstellung in Form einer Frage könnte keine Fakten anführen, die tatsächlich allgemein Fragen aufwerfen. Wenn folglich kritische Überlegungen dieser Art nicht mehr öffentlich angestellt werden dürfen, weil sie einem Land- und Gastwirt, der zugleich Nationalratsabgeordneter und Funktionär der ÖVP ist, nicht passen, dann wird es eng für die freie Meinungsäußerung in Österreich. skug, das Magazin für die jeweils größte semiotische Spitzfindigkeit, erlaubt sich eine Frage an den ÖVP-Funktionär Franz H.: Warum nicht einfach die angeblich ungerechtfertigte, aber »geschickte« Frage des »Semiosisblogs« mittels der wahren Fakten widerlegen? Einen Grund muss es ja für die schnelle Öffnung des Gasthofs gegeben haben. Den könnte man öffentlich anführen und den »Semiosisblog« moralisch blamieren. So aber stellt sich die Frage: Sollen Menschen, die sich kritisches Nachfragen erlauben, politisch mundtot gemacht werden? Wird damit der kritische Diskurs in Österreich eingeschränkt? Sind selbstverständlich alles nur so Fragen, für die die Österreichische Volkspartei sicherlich gute Antworten parat haben wird. Das Publikum darf gespannt sein.

Der »Semiosisblog« kann vielfältig unterstützt werden, allein in dem er einmal gelesen wird: https://www.semiosis.at/

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