Rio Woods © Zahra Mani
Rio Woods © Zahra Mani

Intermediale Sounds im ländlichen öffentlichen Raum

MiCS – Music in the Countryside bündelt diverse und interdisziplinäre Sound Art in peripheren Gegenden der Alpe-Adria-Länder Österreich, Slowenien und Kroatien. Eine E-Mail-Konversation mit den Gründerinnen Zahra Mani, Karin Schorm und Mia Zabelka über die grenzüberschreitende Kooperation.

MICS – Music in the Countryside wird von der EU-Initiative MusicAIRE finanziert und auch von der Alpen-Adria-Allianz unterstützt. MusicAIRE ist ein Pilotprojekt, das 2022–2023 läuft, um das Musik-Ökosystem in Europa nach Covid-19 zu stärken. Es gibt drei Rubriken: »Grün«, »Digital« sowie »Justice & Resilience«. Als »Justice & Resilience«-Projekt trägt MICS zur Stärkung der Musikwelt im Alpen-Adria-Raum bei, indem Konzerte, Residencies, Workshops und Symposia die musikalische Vielfalt der Region präsentieren, aber auch Solidarität mit der Ukraine thematisieren und ebenso einen Fokus auf die Bedürfnisse des Musiksektors wie Fair Pay legen. Außerdem wird dem sozio-kulturellen Potenzial von gemeinsamem Musizieren Ausdruck verliehen. Mia Zabelka ist seit Jahrzehnten eine international renommierte Sound-Art-Künstlerin, jedoch, was vielleicht zu wenig bekannt ist, auch Schöpferin neuer kultureller Projekte, die u. a. von ihrem Enterprise Z Kultur- & Eventverein für öffentliche Räume und damit verbundene Häuser realisiert werden. Unter anderem ging daraus das Festival Sonic Territories hervor, das in Gründerzeiten als Impulsgeber für das Wiener Stadtentwicklungsgebiet Aspern Seestadt fungierte. Mit Zahra Mani und Karin Schorm wurde im Hinblick auf regional verankerten Kulturaustausch das Klanghaus Untergreith initiiert. 

Untergreith ist eine Katastralgemeinde von Sankt Johann im Saggautal, gelegen im südoststeirischen Bezirk Leibnitz. Die Nähe zur slowenischen Grenze in dieser malerischen Weinbauregion inspirierte bereits bisher zur Zusammenarbeit mit Partnern in Friaul, Slowenien und Kroatien. Die gemeinsamen Projekte des Kuratorinnen-Trios erarbeiten Zahra Mani und Karin Schorm von ihrer Basis in einem Steinhausensemble in Hrelji 45, situiert in der Nähe der im Zentrum von Istrien gelegenen kroatischen Kleinstadt Žminj. Dieser Ausgangs- und Kreuzungspunkt ist prädestiniert für eine rhizomatische Verästelung von Kulturinstitutionen im Alpe-Adria-Kulturraum. Das Vernetzungsprojekt »(S)low Light – Seeking Darkness« mit dem Leitthema Lichtverschmutzung gastierte 2021 bei Stazione di Topolò in Friaul, beim Sajeta Festival im slowenischen Tolmin und im Rahmen des Firefly Festivals und von Hrelji 45 in Istrien und hatte einen seiner Höhepunkte in einer Koproduktion mit Innenhofkultur in Klagenfurt. Die Vertiefung der Zusammenarbeit mit den Partnern aus der Alpe-Adria-Region wirft Fragen auf, die von Karin Schorm, Zahra Mani und Mia Zabelka im Kollektiv via E-Mail-Interview beantwortet werden. 

Workshop © Zahra Mani

skug: Worauf ist eure Faszination für die Südoststeiermark und des Weiteren für den Alpe-Adria-Raum zurückzuführen?

Karin Schorm, Zahra Mani, Mia Zabelka: Wir haben alle eine tiefe Verbindung zum ländlichen Raum und in gewisser Weise zu Grenzgebieten. In der Peripherie und in dem Zwischenraum, der an Grenzen wahrnehmbar ist, sehen wir ein erhöhtes Potenzial für Begegnung und Austausch. Die Liebe zur südsteirischen Landschaft braucht wahrscheinlich keine Erklärung. Das Besondere am Alpen-Adria-Raum ist aber vielfältig. Die Diversität der Menschen, Sprachen, Topografien und Kulturen, die die Region ausmachen, ist eine Metapher für Europa. Vielfalt ist die Basis einer reichen Kulturwelt, die wir in unseren Projekten einerseits ausloten und erforschen, andererseits aber auch präsentieren und feiern. Unsere Projekte und Kollaborationen im Alpen-Adria-Raum sind Prozesse, die organisch wachsen und unterschiedlichsten Ausdruck finden können. Wichtig ist, Kunst und Kultur im »echten« Leben zu verankern, und sowohl gesellschaftlich als auch in Beziehung mit der Natur zu verankern. Und wir sehen es als natürlichen Auftrag, Zugänge für ein breites Publikum zu schaffen und generationenübergreifend zu agieren.

»Small is beautiful« heißt ein großartiges Buch des österreichischen Nationalökonomen und Philosophen Leopold Kohr, welcher in seiner Geschwindigkeitstheorie den Slogan »slow is beautiful« prägte. Tatsächlich nimmt mit der Langsamkeit auch die Massenwirkung ab, weil eine Masse aus Individuen die Freiheit zerstört, weil sie in der Masse die kulturell angeeignete Vernunft abgibt. Überhaupt wird mit der immer noch grassierenden neoliberalen Unvernunft des Konkurrenzdenkens nur die Freiheit des Einzelnen bestärkt, der sich meist seiner Rücksichtslosigkeit zu wenig oder gar nicht bewusst ist. War Kohr ein Impulsgeber für euch bzw. auf welche Philosophie bezieht ihr euch, um euer Konzept des regionalen, überschaubaren und doch weltoffenen Rahmens beizubehalten?

Natürlich finden diese Gedanken von Kohr bei uns Resonanzen. Auch wir arbeiten für tiefere Kohäsion durch Respekt, Offenheit, Gemeinsamkeit, aber auch Zivilcourage, Solidarität und gemeinsame Verantwortung. Die Idee der »Freiheit« wird oft missbraucht – man braucht da nur in die Parteienlandschaft unserer Politik zu blicken. Freiheit hat nichts mit Ausschluss anderer Menschen und »wir zuerst« zu tun – oder zumindest sollte sie das nicht. Kunst und Kultur können Menschen zusammenbringen, aber auch Ideen »pflanzen«, zum Nachdenken aufrufen, neue Perspektiven schaffen. »Regional« ist weder klein noch unbedeutsam. Wir beschränken uns auch nicht auf die Region, sondern bespielen und reflektieren eben diesen geographischen Mikrokosmos weit über Grenzen hinaus. Internationale Künstler*innen, die wir einladen, bringen ihre Kunst in die Region, nehmen aber auch ihre Eindrücke und Erfahrung aus der Region wieder mit – unsere Projekte schaffen Echos …

Zavoloka © Zahra Mani

Leopold Kohr betonte immer wieder auch die Würde des Menschen und seine Fähigkeit, kreativ zu sein, nach eigenem Willen zu gestalten, ohne andere zu behindern. Könnt ihr nun näher ausführen, welche Plattformen für den kulturellen Dialog ihr schaffen werdet und wie wichtig dabei Kooperation, Inklusion, faire Bezahlung von Personal und Artists sowie Nachhaltigkeit sind? 

MICS – Music in the Countryside, findet an drei Orten statt. Wir haben nicht nur Konzerte veranstaltet, sondern auch Workshops, Symposia und Residencies, und haben in der Steiermark, Istrien und in Tolmin unter anderem ukrainische Künstler*innen eingeladen, um ihnen eine Plattform für ihre Musik zu geben, aber auch neue Synergien zu schaffen und unsere Solidarität und unser Commitment auszudrücken. Gespräche bei den Events, mit Besucher*innen und unter den teilnehmenden Künstler*innen, helfen auch, ein breiteres Bewusstsein für die Bedürfnisse des Musik-Ökosystems zu erreichen. Fair Pay und der ganze Fairness-Prozess in Österreich sind nicht abgeschlossen – wir stehen am Anfang eines Weges, der noch gefestigt werden muss durch nachhaltige Finanzierung, aber was Fair Practice betrifft, bedarf es in vielerlei Hinsicht eines Paradigmenwechsels. Wir müssen uns alle daran beteiligen – fair zu agieren bedeutet ein Bekenntnis zu Solidarität, Transparenz, Nachhaltigkeit, Vielfalt und Vertrauen – es geht um einen respektvollen Umgang mit allen.

Gemäß Leopold Kohr, diesem wichtigen Vordenker der Umweltbewegung, sollte der Anarchismus – wenngleich ohne Staat und ohne Regierung nur eine Riesenmehrheit wohlerzogener Menschen zusammenleben könnte – als politische Theorie wieder aufleben. Seine Philosophie kündet vom Freisein von Ideologien. Das muss wieder als Utopie gedacht werden, um die katastrophale Ideologie Turbokapitalismus überwinden zu können. Mit MICS könnte es gelingen, zumindest während eines Zusammenkommens für ein Festival oder Konzertabende diese Wertvorstellungen vorübergehend gemeinsam zu leben?

Freisein von Ideologien ist leider wirklich utopisch, aber wir können doch versuchen, eine Ideologie der Toleranz, der Offenheit und des Respekts zu pflegen. Aber ja, es ist wirklich so: Im Klanghaus, in Hrelji und im Soča-Tal schaffen wir mit unseren Events einen temporären gemeinsamen Kunstraum, der von allen Anwesenden in irgendeiner Form mitgestaltet wird. Wir haben nie Backstage-Räume, das heißt, die Künstler*innen und das Publikum begegnen sich zwischen den Sets und sind im Austausch und auf Augenhöhe. Wir präsentieren auch bei MICS sehr bewusst diverse Genres und musikalische Stimmen – zeitgenössische Interpretationen von Volksmusik, Protest-Songs, elektro-akustische Arbeiten, experimentelle Elektronik und Improvisation. Die Vielfalt schafft Zugänge – nicht im Sinne von »something for everyone«, sondern ein sehr persönliches kollektives Erlebnis. Wir bekommen viel sehr schönes Feedback von Künstler*innen und Besucher*innen, die dieses Zusammensein lange in sich weitertragen.

Publikum © Zahra Mani

Die EU bekam für die Überwindung des Nationalismus, für die klarerweise auch Kohr eintrat, den Friedensnobelpreis. Leider führt unsere imperiale Lebensweise, die Menschen im globalen Süden das Leben erschwert bis verunmöglicht, zu mehr Flüchtlingen denn je. Obwohl die Schengen-Außengrenzen woanders sind, wird selbst an österreichischen Grenzen zu südosteuropäischen Staaten kontrolliert. Die Schuld wird auf Schlepper geschoben, die Fluchtursachen werden aber nie erwogen. Wird das auch mal in einem eurer Projekte thematisiert werden?

Das wird jetzt schon in unseren Projekten thematisiert. Wir sind so nahe an Spielfeld, es betrifft uns natürlich zutiefst. Wir haben auch Kontakt mit afghanischen Flüchtlingen in der Südsteiermark und haben Events gemacht, wo sie zum Beispiel das Catering übernommen haben – auch kulinarisch können Begegnungen stattfinden und neue Offenheiten entstehen. Die ukrainischen Künstler*innen, mit denen wir weiterhin arbeiten, sind teilweise im gezwungenen Exil wegen des Krieges, aber Kateryna Kostrova aka Burning Woman, die ein unglaublich starkes Konzert im Klanghaus gespielt hat, lebt heute noch in Kyiv. Sie stammt aus dem Donbas und musste schon 2014 wegen ihres Aktivismus gegen die Besetzung der Krim in den Westen der Ukraine ausweichen. Februar 2022 beschloss sie, in Kyiv zu bleiben und dort ihre Arbeit für Menschenrechte, Frauenrechte und Frieden fortzuführen. Der Mut und die Kraft sind in ihrer Musik hör- und spürbar. Aber ja, die Flucht aus dem globalen Süden ist ein politisches und soziales Thema, das uns lange begleiten wird und auch durch die Erderhitzung wird die so erzwungene Migration wachsen. »Wir« müssen tatsächlich unsere Schuld an der Klimakrise und historische kolonialistische Ausbeutung neu bewerten – die soziopolitischen und natürlichen Veränderungen sind dramatisch. Unser Zugang ist solidarisch und wir versuchen, ihm immer wieder in künstlerischer Form Ausdruck zu verleihen.

Jedenfalls ist es fantastisch, gerade an der Grenze zu Ex-Jugoslawien ein völkerverbindendes Projekt wie MICS durchzuführen. Damit kann der sogenannte kleine Grenzverkehr gefördert werden? Ebenso die soziale Kommunikation, nicht nur im Ort, sondern zwischen Nachbarn beider Länder, und die Neugier der ansässigen Bevölkerung gestärkt werden?  

MICS ist nicht nur kuratorisch, sondern auch menschlich grenzübergreifend. Künstler*innen, die an den drei Orten auftreten, erleben die landschaftliche und kulturelle Vielfalt und das Publikum hat sich auch tatsächlich über die Grenzen bewegt. In Istrien hatten wir Workshop-Teilnehmer*innen vom BG-BRG St. Martin in Villach, die sowohl istrianische Volkslieder einstudiert als auch Soundwalks mit Viv Corringham und Improvisationen mit Anja Kreysing und Roberto Paci Dalò aufgeführt haben. Ein Schüler wurde von Zappi (Werner Diermaier, Faust) spontan zu einer Improvisation eingeladen. Und die Besucher*innen bei MICS-Events in der Steiermark, Istrien und Tolmin kamen aus Wien, der Steiermark, Kärnten, Slowenien, Italien, Istrien, Deutschland, Belgien, Serbien … Da entstehen Begegnungen in einer intimen, kreativen Atmosphäre und ermöglichen neue künstlerische Synergien, aber auch neue Freundschaften über Grenzen hinweg.

Sainkho © Zahra Mani

Selber bereiste ich gleich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Osteuropa. Dank meiner damaligen Freundin Magdalena aus Polen bzw. bei Besuchen in den Heimatländern von Künstler*innen, auf die ich teils via KulturKontakt traf, war es kein Problem, die Sprache der Osteuropäer nicht zu sprechen. Schade ist, dass ich aus Zeitgründen nie eine osteuropäische Sprache erlernen konnte. Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass eine Person, die dank Geburt in Österreich, einem der reichsten Länder der Welt, mit mehr Möglichkeiten und somit Macht ausgestattetet ist, die Sprache nicht können muss, weil sie in einer anderen Position ist als etwa ein Slowake oder eine Slowakin, die viel besser Deutsch können als wir … Wie geht ihr mit diesem sprachlichen »Wohlstandsgefälle« um? Ist die Sprache zwischen Künstler*innen, Musiker*innen und Kurator*innen immer Englisch? Wie läuft die Kommunikation zwischen Veranstaltern, Publikum und Künstler*innen vor Ort?  

Die Frage der sprachlichen Wohlstandsgefälle ist eine sehr spannende – ich (Zahra), die Englisch als Muttersprache hat, bin in gewisser Weise noch »privilegierter«, diese sogenannte Weltsprache als Native zu »haben«. Was osteuropäische Sprachen betrifft – ja, schwierig. Die Menschen, die wir aus dem »Westen« kennen, die Russisch, Polnisch, Serbokroatisch etc. sprechen, stammen entweder mindestens teilweise aus den Ländern oder haben richtig (aus Intellektualität, Geschäftsgründen etc.) Slawistik studiert. Wir haben seit über 20 Jahren ein Haus in Istrien und haben es nicht geschafft, Kroatisch richtig zu lernen. Einerseits, weil in Istrien Italienisch, was uns sehr geläufig ist, als Amtssprache gilt, andererseits, weil die Halbinsel so touristisch geprägt ist, dass wir auch mit Deutsch und Englisch gut durchkommen könnten. Wir haben ein ziemlich umfangreiches kroatisches Vokabular, aber so gut wie keine Ahnung von der Grammatik, die sehr kompliziert ist. Was Kunst, Kultur und Musik betrifft: Ja, die Umgangssprache ist überwiegend Englisch. Wir haben bei »Echoes from invisible landscapes« (EU-Projekt 2016–2018) sehr viel innerhalb des kuratorischen Teams über Sprache gesprochen, weil alle außer unsere slowenischen Partner Deutsch konnten und die Gespräche manchmal unbewusst ins Deutsche »gerutscht« sind – das heißt, wir haben uns teilweise sogar bemühen müssen, doch Englisch zu sprechen. Die Kommunikation vor Ort, beispielsweise auf Konzertreisen, ist von Land zu Land unterschiedlich … oder vielleicht liegt es auch an einzelnen Menschen. Ich fühle mich auf jeden Fall wohler, wenn zum Beispiel Veranstalter und Tontechniker miteinander in Englisch kommunizieren, wenn es um meinen Auftritt geht – aber gleichzeitig freut man sich natürlich, neue Sprachen zu hören, Phrasen zu lernen, Kulturen kennenzulernen. Fakt bleibt, dass es natürlich, wie du es ausdrückst, leider ein sogenanntes »Wohlstandsgefälle« gibt. Aber … es gibt auch irgendwie die Frage der Perspektive. Irgendwie setzt deine Frage die Tatsache des Wohlstandsgefälles voraus und es kann aber durchaus sein, dass dies von Native Speakers in anderen Ländern gar nicht so empfunden wird – die jeweilige »Mehrheitsgesellschaft« (schrecklicher Begriff, aber leider wahr) fühlt sich immer wohl/stark.

Publikum © Zahra Mani

Link: https://klang-haus.at/de/mics-music-in-the-countryside-de/

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen