Das Traumhafteste zuerst: [MULTERs] Vinyl-LP »Kopenhagener Deutung« (www.genesunswerk.de/A-Musik) beginnt mit einem Drone und dann tut sich der Himmel auf. Schläfrig Dämmerndes funkelt im Schattenreich, es ist etwas passiert. Sätze aus der Novelle »Der Fuchs« von Karten Frankreich verheißen eine Katastrophe und trotzdem »erbricht sich Gelassenheit in die Stadt«. Auch der Anfang der B-Seite erinnert, sommerlicher zwar, an das schläfrig-dröhnige Titelstück. Hier fließt alles in Ruhe aus, quellt über in einen summenden Orgeldrone und mündet in eine Auslaufrille, deren repetitive Klangschönheit ewig weiterlaufen darf. Doch kommt BERGEN (www.genesungswerk.de) dazwischen. Die namenlose DoLP ist schlicht gehalten, also sagen nur die Tracktitel, wo es langgeht. »Rauschbogen«, »Seeregen«, »Loemern«, »Aufland« bergen absolute Traumverlorenheit. Karges harmoniumhaftes Um-Sich-Kreisen. Die Ruhe selbst. Und dann noch die D-Seite. Segments noisegetränktes Bearbeitung »Bergen SEE«, eine industrialized Höllenfahrt, die Himmelsmächte mit Orgelmantras kippen. Großartig. Noch eine Stufe darüber: ICEBREAKER INTERNATIONAL & MANUAL hat nichts damit zu tun, dass ich am Christi-Himmelfahrt-Feiertag drüber schreibe: »Into Forever« (www.morrmusic.com/Hausmusik/Indigo) greift nach den Sternen, denn laut Konzept soll die CD mit einer Sonde eine Distanz von 5000 Lichtjahren überwinden und als physisch unendliches Musikstück auch in den intergalaktischen Weiten fortwirken. Der Däne Jonas Munk (Manual, Limp) und der New Yorker Konzeptkünstler Alexander Perls (Ex-Piano Magic) haben hiezu massiv Gitarrensounds überlagert und beamen diese mit nebelverhangen melodietragenden/r Instumenten/Electronica himmelwärts. Gigantesque!
Ein Hauch Postrock liegt über »Everything At Once« (www.city-centre-offices.de/Black Market) von I’M NOT A GUN. John Tejada (dr, g, el) erholt sich von strikt elektronischer Musikproduktion und Kumpel Takeshi Nishimoto (g, b) assistiert. Unbeschwert und luftig swingen die Songs auf beinahe jazzige Weise. Und selbst wenn b/dr elektronisch generiert werden, ist die instrumentale Eleganz nicht fort. In ähnlich stimulierenden Gefilden operieren die Franzosen HEADPHONE. »Work In Progress 1998-200-« (www.icidailleurs.com/Cargo) enthält fünf feinnervige Kompositionen. Auf einer leise gepolten Bass/Drum-Achse erheben sich Orgel, Piano, Horn, Vibraphon und Posaune in beinahe psychedelische Sphären. Auf sehr beschauliche Art schweben auch FONICA ins Frühjahr: Die Tokioter Keiichi Sugimoto und Cheason vereinigen auf ihrem Debüt »Ripple« (Tomlab/Hausmusik/Kompakt) DSP-Processing mit Liveinstrumenten, von denen die Akustikgitarren nach vorn gemischt werden. Zart melancholisch, ohne trübe Stimmung aufkommen zu lassen. Ähnlich klingt RAFAEL TORALs »Electric Babyland/Lullabies« (Tomlab), das mit Hendrix nur insofern zu tun hat, als Toral das Werk seiner Tochter Elsa widmet. »Lullabies« enthielt schon als Single für das Meeuw-Musak-Label ergreifende Stücke für Spieluhr und Gitarre und diese Toral-CD wurde detto mit ratternder Spieluhr und analogem Modularsystem auf Longplayer, auf dem allerdings die Gitarren etwas zu aufdringlich dominieren, getrimmt. Es geht noch lässiger. Brian Hulick aus Philadelphia evoziert als DoF Glücksgefühle, indem er gleichfalls akustische Gitarren mit Electronica vermengt. Breakbeat-Klicken und erhaben-ambientöse Gitarren/Synthiemelodien wachsen auf »If More Than Twenty People Laugh, It Wasn’t Funny« (www.highpointlowlife.com/Westberlin) organisch zusammen. Anders Remmer erinnert hingegen mit einigen Basslines gar an New Order, doch umgarnt auch er meist dubgeerdete Bässe und gedankenfliegende Akustikgitarren mit allerfeinsten Electronicamelodien, die für ein formidables Wonnegefühl sorgen. »More Or Less Mono« (www.city-centre-offices.de/Black Market) heißt die CD von DUB TRACTOR. Welch kleine Irreführung, denn Remmer, der schon mit System bemerkenswerten Click-Dub (~scape) fertigte, ist Däne wie System-Kollaborateur Thomas Knak, der als OPIATE catchy Songs einspielte. Die CDEP »Sometimes« (Morr Music) tönt etwas sperriger, weil die glitch/clicks& cuts etwas mehr rumpeln und Piano- sowie Flötensamples und dergleichen nicht von vornherein auf Ohrwurm programmiert sind. Eher auf Störfeuer beharrt auch Alex Graham alias LEXAUNCULPT aus Orange County. Verzerrte Chords, noisige Breaks und Glitsches überwiegen auf »The Blurring of Trees« (www.planet-mu.com/EFA). Doch geraten ihm einige wenige Tracks wunderhübsch und Streicherklänge zerfließen in jenseitiger Schönheit. Traumverloren-naive analoge Electronics, mit ziemlich eigenwillig verschlurften Beats sind auf MAPS AND DIAGRAMs »Free Time« (Pause-2 Recordings/Hausmusik) zu hören. MAD-Mann Tim Martin zaubert Dreamscapes fürs Mittagsschläfchen. Aus dem dann Alex Alarcon aka SUSTAINER mit »Cuántico« (www.italic.de/Kompakt/EFA) weckt. Zu seinen delikaten, dubbig-housigen Tracks lässt sich vortrefflich Büroarbeit verrichten, so nebenbei. Trotz straighter Bassdrum machen sacht treibende Drumsounds die Arbeit leicht. Der Labellinie bleibt auch der Produzent (Swimmingpool) und Remixer (Miss Kittin) Stefan Schwander alias A ROCKET IN DUB treu. »If Music Could Talk« (www.italic.de/Kompakt/EFA) ist klarerweise Click-Dub-durchsetzt, aber offen für Disco-, House- und Technoeinflüsse. Beinahe alle »Rockets« (Stücktitel) weisen ideale Flugbahnen auf. Sowohl zum Tanzen wie Hören anregend. In der Twilightzone serviert MAURACHER (www.fabrique.at/Soulseduction) »noonee«, einen dämmrig-technoiden Sommerhit im Techjazzgroove feat. erträgliches Flötensample und schwül-laszive Stimme (M’Cinoc). Mit okayen Konsorten- und Don-Air-Remixen und abwegigem von Seelenluft.
Soundästhetikwechsel: PRELL (Ultrahang/www.uh.hu) gewährt maschinelles Pochen, und ebenso industriell tönen die beigemischten, zerfransenden Sounds. Nur wenn, wie in Cut 1, Melodiefragmente beigezogen werden, umwerfend gut. IAN EPPS Audioporträts, die die Welt mit den Augen eines 4-jährigen Kindes sehen, wirken durch und durch am Powerbook konstruiert, doch verströmen die Soundblöcke, die gebrochene, fragile Melodiefetzen ausstrahlen, so etwas wie Wärme. Dem Soundenvironment »finds the4yearoldchild courtside, Vol. 1« (www.softlmusic.com) beim Atmen zuhören und die Abstraktheit gut finden führt unweigerlich zu CARL STONE, der sein Ouevre gern nach asiatischen Restaurants oder Menüs benennt, so auch »Nak Won« (www.sonore.com), das 24-Minuten-Titelstück, das wie die beiden Folgepiécen beim San Francisco Electronic Music Festival 2000 mitgeschnitten wurde. »Nak Won« besteht aus einem lange angehaltenen Ton, um den herum irrlichtende Oberttöne und Begleitnoise zirkulieren. »Kreutz« ist ebenso dronig und »Darul Kabap«, ebenfalls auf G3 Powerbook mittels Max/MSP erzeugt, klingt so, als ob es als Jam zwischen Laptop-Spielern angelegt ist. Ebenso meisterhaft verschieben die Soundkünstler PAUL WIRKUS/MARCUS KÜRTEN minimalistische Pattern. »Heban« (www.a-version.co.uk) enthält drei Werke, die aufgrund atmosphärischer Schichtungen von Chorstimmen, Strings- bzw. Pianoklängen einen beruhigend-stimmigen Sog entfalten. Seltsamerweise ergeht es einem ähnlich, hört man die »Symphony #2 For Dot Matrix Printers«. 14 Nadeldrucker, werden von
einem Personalcomputerorchester aus dem Anfang der 90er Jahre gespielt und endlich kann ich diesem lauten Summen, das hier rauschhaft-musikalisch strukturiert wird, mehr abgewinnen als dem laut-monotonen Nadeldruckerterror von annodazumal. Dirigieren tut ein File Server, hinter dem die Kanadier [THE USER], Komponist Emmanuel Madan und Architekt Thomas McIntosh, stecken.
Im Sog neuer Soundästhetiken
In dieser Twilightzone machen immer mehr Acts nicht pur elektronisch generierte Musik, sondern setzen auf Melodien und den Schönklang akustischer Instrumente.
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