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Daughter

»If You Leave«

4AD

Der Rückblick verzerrt immer. Um ein linear-kausales Narrativ zu suggerieren, wird alles, das dem pophistorischen Ideal nicht entspricht, verkleinert oder ignoriert. So gab es zum Beispiel 1977 nicht nur Punk und No Future, sondern eben auch millionenfach verkaufte, teils sogar sehr gute Alben der »Dinosaurier« der 1970er. Doch dank des »master narrative« wird 1977 für immer das Jahr bleiben, in dem Punk das Althergebrachte zerschmetterte. Wenn wir in 20 Jahren auf 2012 und 2013 zurückblicken, dann ist es durchaus möglich, dass Bands wie Daughter Teil dieses fortgesetzten Narrativs sind. Es mag heute noch so viel unterschiedliche Musik veröffentlicht werden und vor allem zusehends frei verfügbar sein, Daughter bringen eine zeitgemäße Saite zum Schwingen, was sie – gemäß dem Narrativ zuungunsten anderer – mit etwas Glück zur Band der Stunde und noch viel mehr machen könnte. Die Vorschusslorbeeren sind jedenfalls gewaltig. Freilich, den Minimalismus und den Reverb-Sound kennen wir bereits von The xx, das Ätherische von Zola Jesus. An »If You Leave«, dem Debütalbum der Londoner, fallen zuallererst die Texte auf, für die düster ein Hilfsausdruck ist. »Setting fire to our insides for fun, collecting names of the lovers that went wrong«, singt Frontfrau Elena Tonra beispielsweise im Song »Youth«. Derartige (meist im Tod endende) Befindlichkeitslyrik zieht sich durch das ganze Album, und zwar in einem Ausmaß, dass man anfangs die Ernsthaftigkeit des Ganzen in Frage stellt. Doch auch die Musik hat die Blässe eines toten Körpers. Es wabert, es mäandert, es hallt. »Eno meets Enya« fiel dem Guardian dazu ein. Einzig »Human« gibt sich leicht verspielt, doch auch hier lautet die Conclusio: »I think I’m dying here«. Mehr noch als The xx verordnen sich Daughter eine ästhetische Rosskur, die in ihrem Minimalismus zwar konsequent ist, auf Albumlänge aber fast untragbar homogen wirkt. »If You Leave« lässt keinen Spielraum für Brechungen, hat keinen doppelten Boden und verspielt damit sein Potenzial. Ist das mit der These des master narrative vereinbar? Durchaus, jenes neigt schließlich auch dazu, Details in den Vordergrund zu rücken. Und genau die sind es, die an dieser Platte zu begeistern wissen. So gesehen ist »If You Leave« weniger als die Summe seiner einzelnen Teile.

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