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Hunney Pimp – Stimmen auf Kollisionskurs

In den Umlaufbahnen von komplexeren Planetensystemen (Labels) lässt sich allerhand Audio-Schrott aufsammeln. Zu nennen wären YouTube und SoundCloud als mögliche Koordinaten, inzwischen auch Hauptaufenthaltsorte von berühmt-berüchtigten Cloud-Rapper*innen. Auch das Album »zum mond« von Hunney Pimp (aka Madda Rah) ist in eine dieser nicht enden wollenden Audio-Stream-Sessions hineingekracht und hat doch einen stärkeren Eindruck hinterlassen, als beim ersten beiläufigen Kollidieren bemerkt wurde. Passend dazu kommentiert »Horst Dudemaster« unter dem Musikvideo zu »i bin miad«: »edgy cloudrap«. Doch ist das Album wirklich in dieser neuen Cyber-Bohéme zu verorten?

Abstoßen von alten Erden
Beim ersten Durchhören des Albums – von Hunney Pimp bescheiden »mixtape« genannt – war ich irgendwie abgestoßen. Aber oft kommt man, wenn man bewusst von etwas weggeht, irgendwann auch bewusst wieder zurück. Waren es die Stimmen im Hintergrund, die bei so ziemlich jedem Lied die Hauptstimme in einem schlängelnden Gegenpart begleiten? War es das lasziv-obszöne Gestöhne (»diesa kriag«), das sofort an in Pornoindustrie-Umfeldern entstandene Musik (Sasha Grey) denken lassen musste? Die an cheesygen Trap angelehnten Beats, die aber sofort vergessen werden, wenn Hunney Pimp den Beat als Nebensächlichkeit registriert und unter die Erde pimpt (»geh wieda weg«)? Oder das ständige »sich selbst klein machen«, »sich selbst in den Boden rammen«, das im Track »sei leise« in einem warnenden »sonst!« kulminiert? Ein Track, den man lauter hören möchte, voll aufdrehen, bis die Stimme in ihrer Verstrickung gegen die Anlage rasselt. Oder viel leiser: die ganzen Knarzgeräusche, non-edited Vocals, Nebengeräusche, unidentifizierten Audio-Objekte …

hunny.jpgO.K., Fan-Wahnsinn ausschalten. Gehen wir über zum »objektiven Review«. Aber: Vielleicht war es gar kein Fan-Gestammel, sondern eher ein Ausweichversuch, um nicht als männlicher Zuhörer in Erscheinung zu treten, was mich beim ersten Durchhören hat fliehen lassen. »zum mond« trifft einen bestimmten Nerv und kann als die Diskursformation »gesunde Beziehung« gesehen werden, mit der man seit Hauptschulzeiten (Stichwort Aufklärungsdokus) »ge-Erde-t« ist, und in der man, eingetreten in die durch und durch ödipalisierten Gesellschaftsdiskurse, mehr oder weniger aufgeht. Die Hochzeiten, glücklichen Beziehungen und Happy Ends dieser Welt, bisher häufig durch Fluchtlinien wie Maskulinität und das allzeit repräsentative Ghetto gebrochen, die vom »guten, realen« HipHop als Gegenmaßnahmen gesetzt wurden. Hunney Pimp ist in dieser Hinsicht dann doch eher eine latente Reinkarnation einer Rita Mae Brown als eine Realness-Advokatin. Aber es geht beim ersten Hinhören scheinbar doch wieder nur um binäre Beziehungsschemata.

Das Ying-Yang-Ding
Sonne-Mond, Ying-Yang, Mann-Frau, Doppelpunkt. Nichts wäre einfacher, als Hunney Pimp und das Album gleich mit in diese Serie aufzunehmen. Hunney Pimp als den masochistischen Gegenpol von einem sadistischen »maun« (Mann) zu setzen, oder, noch einfacher, »Maddah Rah« mit Freud, Lacan (Mutter, Erde, Vater, Rah, blabla) oder einem anderen populären psychologisch-banalisierenden Diskurs einzufangen. Simon Huber versucht genau das in seinem »The Message«-Review, indem er schreibt: »Auf acht Tracks bietet sie auf düsteren, atmosphärischen Beats teils sehr intime Einblicke in ihre Gefühlswelt, Auseinandersetzung mit der eigenen Mittelmäßigkeit und typische Probleme der als ›Generation Y‹ betitelten Mittzwanziger.« Sehr brav. Brave Analyse, funktioniert immer. Intimität, Gefühlswelt, typische Probleme, sehr gekonnt dekonstruiert. Davon distanzieren wir uns aber ebenso gekonnt. Wir sehen Hunney Pimp eher als große Zerschlagungsmaschine von Phantasmen romantischer (aber in ihrer wahren Natur sadistischer) Liebeslieder (»na, i sing koane liebeslieder« in »geh wieda weg«). Also ist Liebe nicht nur wie bei Slavoj Žižek rein formal gesehen ein grausamer Akt, sondern, eingebettet in die Klos und Schlafzimmer dieser Welt, ein real hereinbrechender Terror, wenn sie in ihren verschiedenen Vorwänden als Mittel der Unterdrückung missbraucht wird. Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen, dazu Hunney Pimp: »i erbrich vor deine fiaß« (»sei leise«). In »sei leise« klingen die Drums auch ein wenig nach Badezimmer oder Klo, dort wo auch die perkussiven Outskirts der Liebe zu finden sind.

Eine Analyse funktioniert ebensowenig wie eine Dekonstruktion. Maddah Rah ist keine brave Antigone, die einen Gegenpart spielt und sich dadurch umso besser in die großen Erzählungen einbetten lässt. Die Interpretation muss in den Hintergrund rücken, je mehr die vielfältigen Stimmen von Hunney Pimp in den Vordergrund treten (Tipp: Bei »i verneig mi vor dia« in »sei leise« Kopfhörer aufdrehen!) Hunney Pimp begeht keine Second-Order-diskursreflexiven Verbrechen à la SSIO oder Third-Order à la Yung Hurn (wir vergessen einmal Fourth-Order-Aneignungsstrategien im Feld eines Azzlack), sondern geht zurück in diese schwer greifbare zähe Masse, welche die Stimme sein kann, wenn sie sich in ihrer eigenen Zone entfalten darf. Vermutlich ist auch das »Splash Mag«-Interview so ein eigenartiger Aneinander-vorbeireden-und-kategorisieren-Versuch: einfach auf der falschen Ebene unterwegs. »i begreif ned, was du bist, zerteil di heimlich, doch du findst immer was, des i doch vagessn hab, du machst koan sinn, komm verschwind, es zerrinnt mir jeder satz« (»geh wieda weg«).

Alternative Fluchtlinien
Zeichnen wir alternative Fluchtlinien nach, die sich im Album »zum mond« (Erde-Mond als die Fluchtlinie schlechthin!) diesbezüglich finden lassen.

Ausgangspunkt 1: Der Macker, dem sich Hunney Pimp aka Maddah Rah unterwirft, und in dessen Position wir als Hörer (vermutlich mehr als als Hörerin) gezwungen werden. Wir fliehen, indem wir a) die Ohren zumachen, b) ignorieren, dass »man« in unserer Gesellschaft als Mann erzogen und mit opto-pornoisierten Zerteilungen von Frauen gefüttert wird, die auch an der Stimme ihre Wirkungen vollziehen. Die Zerteilung à la Rihanna z. B., die im Refrain von »sei leise« so massiv greift. Stimmen, die sich räkeln und in ihrer Ausgestelltheit ölen. Frauen, die wissen, wo ihr Platz ist, die im Parade-Schmuck atemlos durch die Nacht sexuelle Sekrete aller Art absondern wie Nacktschnecken, aber leider nicht die transitive Einstellung mit diesen gefräßigen kleinen Tieren teilen.

Ausgangspunkt 2: Warteräume dieser Welt. »dei tempo is ogfuckt im flow« (»zum mond«). Hunney Pimp wartet nicht auf den Hörer, wenn das Tempo zu schnell oder zu langsam ist. Auch das ironische »warten is as schenste« (ebenfalls in »zum mond«) … Warten worauf? Auf die Einlösung der Beziehungsversprechen, die so herumwabern in dem braven Diskurs der Butterflies dieser Welt? (Man denke an Cronenbergs Neuprogrammierung, die hier von Hunney Pimp auf der auditiven Ebene vorgenommen wird, fernöstliche Fieberträume reloaded.1) Und Hunney Pimp, die dabei immer wieder nachfragt: »des gfoit da, ge?«

Ausgangspunkt 3: Textüberinterpretation. Vor dieser zu fliehen, ist einfach. Man muss bloß die Multitude an Stimmen aufnehmen und sich von ihr einfangen lassen, Mitläufer werden, auf der Reise zum Mond. Es geht auf dieser Fluchtlinie dann nicht mehr um auditive oder semantische Decodierungen, sondern um die Stimme in ihrer Eigenartigkeit. Mladen Dolar würde dazu sagen: »Wir müssen gleichsam in die entgegengesetzte Richtung gehen: von den Höhen der Bedeutung wieder herabsteigen und zu dem zurückkehren, was ein bloßes Mittel zu sein schien; der Stimme als dem blinden Fleck der Sinngebung oder dem Verworfenen des Sinns habhaft werden.«2 Wir sagen dazu: In den Nexus der seltsamen Existenz einschleifen lassen, Stimmen hören.

Typen am Mond ausmachen
Es gibt die bekannte chinesische Geschichte von dem Typen, der auf den Mond zeigt, und die Moral der Geschichte: Wir sollten hier nicht den Mond sehen, sondern den Finger, der auf den Mond zeigt. Zwar ist diese fernöstliche »Weisheit« auch ein wenig beknattert, denn man kann einfach beides anschauen, Finger und Mond, wie man beides hören kann: gescheiterte Form der offiziellen Normalität und das, was die Badezimmer und Ehebetten dieser Welt bevölkert. Dazu müssen wir mit Beschleunigung zum Mond oder bleiben Wrackteile in der Umlaufbahn. Wie so oft sind jene Alben die besten, welche Verbindungen auftauchen lassen und die Assoziationsmaschine so stark antreiben, dass sie irgendwann zu rauchen anfängt, alle möglichen kleinen Teile aus dem allzu gefälligen Songnexus herausgeschossen kommen und als Triebstufen verbrennen. Auf der Reise zum Mond, der nur als Vorwand dient, damit die Stimme sich herausschälen kann aus ihrer substanziellen Hülle.


1David Cronenberg: M. Butterfly, 1993.
2Dolar, Mladen: His Master’s Voice. Eine Theorie der Stimme. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2007. S. 26.

Hunney Pimp: »zum mond mixtape«
https://soundcloud.com/hunneypimp/sets/zum-mond-mixtape

Hunney Pimp: Zum Mond (Bandcamp)
https://hunneypimp.bandcamp.com/releases

Hunney Pimp: »zum mond« (Musikvideo)
https://www.youtube.com/watch?v=ck1_09r9sdU
 
Hunney Pimp: »i bin miad« (Musikvideo)
https://www.youtube.com/watch?v=jhuHdmxeZzg

X-TG: »Afraid« (Vocals by Sasha Grey)
https://www.youtube.com/watch?v=wgprWMZcPJA

Sasha Grey opens her mouth
https://www.youtube.com/watch?v=IBN9uSt7N5c
 
Slavoj Žižek: »Love is evil«
https://www.youtube.com/watch?v=hg7qdowoemo
 
»The Message« Review von Simon Huber

http://themessage.at/hunney-pimp-zum-mond-mixtape/
 
»Splash Mag« Interview von Fionn Birr
http://splash-mag.de/hunney-pimp-mit-schmaeh-laesst-sich-leichter-eine-attituede-vermitteln/

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