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John Cale

»Fragments of a Rainy Season«

Domino

Die Füchse von Domino Records: Pitchen im Oktober im Promo-Blatt zum Re-Release des 1992er-Live-Albums von John Cale die Geschichte, wie die zu dieser Zeit entstandene feinfühlige Piano-Version von »Hallelujah« über Umwege beim jungen, unbekannten Jeff Buckley landete, der schließlich bei einem seiner frühen Kneipen-Konzerte im East Village mehr oder weniger diese Cale-Version coverte, nicht das Original von Leonard Cohen, und damit das Herz eines Vertreters von Columbia Records öffnete – der Rest sei Geschichte, und weil Leonard Cohen kurze Zeit später starb, erlangte sie in den letzten Wochen gleich neue Prominenz. Gleichzeitig öffnet diese Platte aber auch die Augen: Durch die vielen Pop-Toten der letzten Monate bleiben vielleicht ein paar Blicke mehr auf den noch hier weilenden Klassiker*innen hängen. Auf den letzten der Alten quasi, und auch auf der zweiten Reihe, zu der sicher John Cale gehört. Als Mitglied von Velvet Underground stand er im Schatten von Lou Reed. Wie zuvor bei seiner ersten relevanten Gruppe, dem Avantgarde-Drone-Ensemble Theatre of Eternal Music, wo er sich seinem Mentor La Monte Young unterordnete. In seinem Solowerk, das auf den Ausstieg bei Velvet Underground folgte, war es einzig sein Album »Paris 1919« von 1973, das Spuren in der Popgeschichte hinterließ. Obschon ihm der der Ruf vorauseilte, der Punk-Bewegung ein geistiger Vater zu sein.

Das wiederveröffentlichte »Fragments of a Rainy Season« lädt als Unplugged-Best-of nun neu dazu ein, John Cale zu entdecken. Der Fokus liegt mehr auf popstrukturierten Songs, melancholischen Balladen und manisch ins Klavier gehämmerten Tracks, die Cale als exzellenten Songwriter zeigen – und als charismatischen Entertainer zwischen Honkey-Tonk-Habitus und Chopin-Bohème. Die Ansagen sind großartig plain, »this next song is about love, so hold on to somebody you love«, heißt es da etwa, und schon stürzt sich der Meister wieder ansatzlos in die Tasten und rumpelt sich, während der Applaus aufbrandet wie in einer 1950er-Jahre-TV-Konserve, zum Heulen schön durch ein weiteres glänzendes Stück. Ganze 28 davon fasst das Doppelalbum inklusive Bonustracks, jedes einzelne ein kleines Feuerwerk. Ob der Re-Release-Welle (im Frühjahr erschien bereits eine eher maue neue Bearbeitung des 1982er-Klassikers »Music for a New Society«) nun auch bald noch ein großes Alterswerk folgt? Das aktuell veröffentlichte Video zu »Hallelujah« mit einem besonnenbrillten, weißhaarigen Cale im Zertrümmermodus lässt Zweifel aufkommen. Aber die Hoffnung lebt vermutlich auch dann noch, wenn Bob Dylan, Patti Smith und Thom Yorke längst von uns gegangen sind.

Home / Rezensionen

Text
Steffen Greiner

Veröffentlichung
15.12.2016

Schlagwörter

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