Auch beim Donaufestival zu sehen (mit Zonal): Moor Mother © Moor Mother
Auch beim Donaufestival zu sehen (mit Zonal): Moor Mother © Moor Mother

»Endlose Gegenwart«, interrupted

Der skug Guide durchs Donaufestival Krems 2018. Die Plattform für avancierte Sounds und Performance präsentiert erneut ein exquisites Programm.

Mit dem diesjährigem Motto des Donaufestivals, »Endlose Gegenwart«, wird keine Prolongation der katastrophalen politischen Gegenwart in Aussicht gestellt. Nein, erfreulicherweise demonstriert Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner im Vorwort des Festivals, dass Weltoffenheit, zumindest im kulturellen Bereich, für sie kein Fremdwort/Unwort ist. Puuh, Glück gehabt.

Auch im zweiten Jahr unter der künstlerischen Leitung von Thomas Edlinger wartet das Donaufestival mit einem vortrefflichen Line-up auf. Zudem verleiht Simon Reynolds dem »Talk I – Absent Futures, Present Pasts – Temporalities in Today’s Music« (Samstag, 28. April, 14:00 Uhr, Kino im Kesselhaus) die dazu passende Stimme. Im Artikel über sein Buch »Retromania« (Ventil Verlag, 2011) fragte die britische Tageszeitung »The Guardian«: »Does it matter that pop music is stuck in the same old groove?« Das Donaufestival forscht stattdessen wieder kühn künstlerische Alternativen aus. Hier wird die »Endlose Gegenwart« kurz mal unterbrochen.

Weekend 1, Freitag, 27. April
DJ-Line: Day 1 | DJ Inou Ki Endo
Das Musikprogramm eröffnet der aus Glasgow stammende Produzent Lanarka Artefax. Auf ein Kompositionsstudium am Royal Conservatoire of Scotland verzichtete er auf Abraten eines Freundes hin wohlweislich und obwohl er sich nicht als DJ verdingt, erlangten Club-Tunes wie z. B. »Touch Absence« die Aufmerksamkeit von Björk u. a. Das Trioprojekt Mopcut (g, dr, synth) favorisiert Impro-Jazz mit noisigen Soundscapes. Neben dem High-Speed-Metal von Lightning Bolt wartet man gleich mit drei Highlights am Eröffnungstag auf: Laurel Halo und Grouper lieferten bereits einmal ihre unvergesslichen Sets hier ab. Groupers Album »Grid Of Points« wird an diesem Tag veröffentlicht. Und auch die hypnotischen Klangkaskaden von Godspeed You! Black Emperor sind abermals zugegen.

Weekend 1, Samstag, 28. April
DJ-Line: Day 2 | DJ Nene Hatun
Als »queer black diva and underground popstar for the cyber resistance« performt E Jane aka Mhysa ihren Sci-fi R’n’B im Club-Sound. Nobody ist Willis Earl Beal und gibt Gospel und Soul zum Besten. Der Eklektizist Lotic zerfranst futuristischen Avantgarde-R’n’B. DJ/Producer Umfang aka Emma Burgess-Olsen werkt ansonsten in Brooklyn und ist für die Mitbegründung des Discwoman-Kollektivs bekannt. Hinter dem Namen In My Talons verbirgt sich der in Wien lebende Künstler Florian Pfaffenberger, der seine progressiven Club-Sounds auf Metal und Pop-Ohrwürmer klatschen lässt. Zonal feat. Moor Mother vereint die Industrial- und Dub-Pioniere Justin Broadrick und Kevin Martin und die für Slaveship Punk bekannte Moor Mother, die auch im Vorjahr hierorts überzeugte. »We are missing a large part of the story«, wie Camae Ayewa aka Moor Mother treffend anmerkt. Der aus Düsseldorf stammende Komponist/Produzent Orson Hentschel zeigt sich von klassischer Minimal Music beeinflusst und komponiert experimentelle Filmmusik.

Talk I – »Absent Futures, Present Pasts Temporalities in Today’s Music«
Jens Balzer im Gespräch mit Simon Reynolds. Moderation: Christian Höller.
Samstag, 28. April, 14:00 Uhr, Kino im Kesselhaus

Weekend 1, Sonntag, 29. April
Lawrence English widmet sich Ambient-Stücken und Field Recordings, wenn er nicht gerade mit Xiu Xiu kooperiert. Die einstige Straßenmusikerin The Space Lady zeigt, dass auch noch mit Siebzig primitiver Futurismus überzeugend inszeniert werden kann. Venetian Snares & Daniel Lanois – die beiden möchte man hierorts gerne mal mit ihren beiden Soloprojekten sehen – zeigen diesmal, dass so gegensätzliche Künstler wie ein Hochgeschwindigkeitsfanatiker und ein Weichspüler sehr wohl gemeinsam zu musizieren imstande sind. Demdike Stare sind Sean Canty und Miles Whitaker. Mit ihrem finsteren Dub-Techno beehrten sie dieses Fest bereits im Jahre 2013. Visuell ist mit ihnen diesmal auch Michael England zugegen. Das experimentelle Dronemetal-Trio Gravetemple, bestehend aus Attila Csihar, Stephen O’Malley and Oren Ambarchi, setzt nach achtjähriger Pause mit seinem zweiten Album »Impassable Fears« (2017) fort. Auch hier trachtet man wieder danach, Grenzen zu überschreiten und neue Horizonte via Musiktrance und zeitgenössischem Schamanismus auszumachen. Eine Katharsis aus Heavy Metal und Jazz beschwört Saxophonist Colin Stetsons Formation Ex Eye mit gleichnamigem Album herauf. »Another Dream of Superiority«. So betitelte Frederikke Hoffmeier aka Puce Mary den Opener ihrer Noise/Industrial-Cassette »The Great Panic« (2014). Mit »The Spiral« wartete die Dänin mit einem der einschneidendsten Alben des Jahres 2016 auf: Gänsehaut durch abtrünnige Electronica und bedrohliche Soundscapes.

Weekend 2, Freitag, 4. Mai
DJ-Line: Day 3 | DJ Angel
Die Zukunft hat längst schon begonnen: Amnesia Scanner demonstrieren eine entfremdende Post-Club-Version davon. Im Vorjahr überzeugte der iranische Produzent Ata Ebtekar alias Sote diesenorts sowohl mit einer hervorragenden musikalischen Performance als auch mit vortrefflichen Visuals. Daraus resultiert nun die Uraufführung des Donaufestival-Auftragswerks »Parallel Persia«, mit iranischen Gastmusikern. Als Folk-Trance bezeichnen James Holden & The Animal Spirits ihren vom Jazz der Siebzigerjahre und marokkanischem Gnawa beeinflussten, Krautrock-haltigen Kluster. Mit seinem Projekt Lafidki bietet Saphy Vong asiatischen Musikern eine Plattform für Kollaborationen mit Synth-Beat-Electro. FAKA feierten vor drei Jahren in der Johannesburger Kunstszene als schwarze queere Identitäten mit südafrikanischem House-Gqom erste Erfolge. Der aus Südlondon stammende Coby Sey gemahnt an frühen Tricky, aber auch an Linton Kwesi Johnson.

Weekend 2, Samstag, 5. Mai
DJ-Line: Day 1 | DJ Floriano
Nadah El Shazly kann faktisch nur famose avantgardistische Musik aus Kairo machen, wenn sie ein YouTube-Posting wie »A pure disaster – if this is the new Arabic music the end of the World is near« provoziert. Ihre lokale Punkband hat Shazly längst hinter sich gelassen, im Debutalbum »Ahwar« beteuert sie: »(I am) coming, from a time far away. Going, escaping. Alone in the wilderness.« Und wer wagt es schon, Nadahs abstrakte kontemporäre Mythen anzuzweifeln?! Kein Arabisch erforderlich, Nadah El Shazly kommt zweifellos auch ohne bestens an. Mit Manuel Göttsching feiert eine ultimative Krautrock-Legende Österreichpremiere. Lange Zeit war dieses wohl relevanteste deutsche Popmusik-Genre, unter dem ab Ende der Sixties experimentierfreudige Rockmusik westdeutscher Bands firmierten, unterbelichtet. Bis Julian Cope mit seinem Buch »Krautrocksampler« (1995) und Jahre später namhafte Musiker wie Thurston Moore (Sonic Youth) für eine Renaissance verantwortlich zeichneten. Göttsching wartet hier mit einer Live-Präsentation seines legendären Albums »E2-E4« (veröffentlicht 1984, entstanden 1981), einer Frühform des Techno, auf. Ein Highlight! Mouse on Mars, das in den frühen Neunziger-Jahren gegründete Düsseldorfer Electro-Duo mit Dancefloor und Avant-Kompatibilität, präsentiert sein brandneues elftes Studioalbum »Dimensional People«. Der britische Techno-Dystopia-Produzent Perc aka Ali Wells genießt nicht nur das Vertrauen so renommierter Medien wie »The Quietus« oder »The Guardian«, sein Album »Bitter Music« (2017) ist auch in den skug-Jahrescharts prominent vertreten. Weitere Acts: Pan Daijing (Musikperformance »Fist Piece« mit Opernsängerin Gregori Homa); Philippe Hallais (Abstract-Techno); Jakuzi (Synthie-Pop und Arabesk-Krautrock).

Weekend 1, Sonntag, 6. Mai
Am Schlusstag des Festivals bietet das achtstündige Format »as waves go by« unterschiedliche Ästhetiken (Ambient, Trance, Noise) von exzellenten SoundtüftlerInnen wie Chra, Mit Händen und Füßen, Justin Walter u. v. a. Die aufstrebende Münchner Formation Friends of Gas sendet Krautrock-Mantras aus. Ihr Debüt-Album »Fatal Schwach« erschien Ende 2016 und wurde im Kafe Kult im Bürgerpark Oberföhring aufgenommen. Post-Punk erster Güte. Mit recht zugänglichen aber diversen Popmotiven setzt sich die aus San Francisco stammende Indie-Rockband Deerhof auch auf ihrem 14. Album »Mountain Moves« (2017), auseinander. Zumeist spartanisch mit Gitarre und Schlagzeug instrumentiert Singer/Songwriterin Scout Niblett ihre Alben, auf denen sie kratzt und beißt: »This Fool Can Die Now«. Die Soundkünstlerin Kelly Jayne Jones trifft im Duo auf die afroamerikanischen Grooves und Field-Recordings der Saxofonistin Matana Roberts. Außerdem: Big/Brave (Noise-Epen aus Montreal), Molly Nilsson (Synth-Wave und melancholischer Bedroom-Pop mit Fokus auf die 1980er-Jahre); Circuit des Yeux (morbide Folk/Gothic-Balladen).

https://www.youtube.com/watch?v=uqhcZknQMAA

Chra: »KPFTCHVRBT«
https://weeklybeats.com/chra

Link: www.donaufestival.at

Home / Musik / Artikel

Text
Walter Pontis

Veröffentlichung
16.04.2018

Schlagwörter

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