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Der andere Diaspora-Blues

Zur Musik osmanischer US-Immigranten.

ottomandiaspora.jpgIn David Prudhommes letztes Jahr erschienener Graphic Novel »Rembetiko« geht es den Rembeten an den Kragen. Ihre von Stra&szligenleben, Kriminalität, Rausch und Melancholie handelnden, Grenzen zwischen Orient und Okzident negierenden Lieder und ihr Lebensstil als Ganzer sind dem 1936 zum griechischen Diktator avancierenden General Metaxas ein Dorn im Auge und Grund zur Verfolgung. Das Finale konstituieren folglich Panels eines nach New York emigrierten Rembeten, der dort nun der These Prudhommes Ausdruck verleihen soll, dass die authentische Deckung von gefährlichem Halbweltleben und milieugerechter Aufführungspraxis mit der Emigration in die USA verloren gegangen und den »Manges« ihren »Lebenssaft« geraubt habe: Domestiziert, handzahm, eben nur in den Hafentavernen von Piräus und Thessaloniki zu Hause. Dabei ist das Interessante und ihn dem Blues verwandt machende des Rembetiko ja gerade sein Status als zwischen den Orten stehende, Migration und Diaspora stets schon reflektierende Musik. Und wo hätte dies besser funktionieren sollen als in den USA? So macht es sich der autodidaktische amerikanische Musikethnologe Ian Nagoski seit einigen Jahren zum Anliegen, die auf zahllosen 78er-Platten überlieferte Musik osmanischer Einwanderer in die USA der 1910er und 1920er-Jahre vor dem Verschwinden zu bewahren, neu aufzulegen und, mit ausführlichen historischen Erläuterungen versehen, zu wiederveröffentlichen. Noch vor den ersten afroamerikanischen Plattenaufnahmen von beispielsweise Mamie Smith – Rassismus ging Plattenfirmen wie Columbia und Victor vor Geschäft – wurden Immigrantenmusiken aller Couleur aufgezeichnet und dürfen nun wiederentdeckt werden. Analog zu »Erfindern« von Americana wie Harry Smith arbeitet Nagoski au&szligerhalb der Akademie, finanziert sich durch prekäre Jobs in Plattenläden oder in Taxis und betreibt währenddessen seine Privatforschungen. Es nötigt einem den allergrö&szligten Respekt ab, wie er mit viel Empathie und geschichtlicher Akuratesse in Liner Notes und eingesprochenen Kommentartracks Hintergründe und Forschungsergebnisse präsentiert.
papagika.jpgDenn eingeführt werden muss die Musik von »To What Strange Place: The Music Of The Ottoman-American Diaspora 1916-1929« (Tompkins Square) tatsächlich, klingt sie doch durch Instrumentierung mit Oud, Zither, Geige und gelegentlich Klavier, Gesang in Türkisch, Griechisch oder Armenisch vielen unvertraut. Klar ist aber: Die vor ethnisierten Konflikten im erodierenden Osmanischen Reich in die USA Geflohenen brachten in ihrer Musik den Geist einer Grenzen (zwischen »Orient« und »Okzident« und den verschiedenen Bevölkerungsgruppen des Osmanischen Reiches) transzendierenden Kultur mit. Nachzuhören ist das auf Aufnahmen wie Achilles Poulos »Cefti Telli Gazel« oder Marika Papagakis »Galata Manes«, das nostalgisch das einst von Griechen, Juden und Italienern bewohnten Galata-Viertel Istanbuls besingt. PAPAGIKA, die in den 20er-Jahren sage und schreibe über 225 Platten aufnahm, durfte sich auch schon einer gesonderten Behandlung Nagoskis erfreuen, denn sie wurde mit der Kompilation »The Further The Flame, The Worse It Burns Me: Greek Folk Music In New York City, 1919-28« (Mississippi Records) extrem klug gewürdigt. Das emotionale Register ist bei Papagika zwar weniger breit – der Blues ist hier als thematische Referenz noch zutreffender als im Falle von »Strange Place«, das auch Lieder des ?berschwangs und des Tanzes umfasst – an Intensität ist es dafür kaum zu übertreffen.

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