Michaela Schwentner: »re-BIRDING« © Michaela Schwentner
Michaela Schwentner: »re-BIRDING« © Michaela Schwentner

Das Hyperobjekt Sorge

Die Ausstellung »Der Tanz um die Sorge« präsentiert neun Kunstschaffende von 15. November bis 10. Dezember 2023 in den SOHO Studios im Wiener Sandleitenhof.

Als Ergebnis eines Open Calls wurden für die Ausstellung »Der Tanz um die Sorge« von 15. November bis 10. Dezember 2023 in den SOHO Studios im Sandleitenhof die vier Künstler*innen István Antal, Alex Iwanov, Shahrzad Nazarpour, Michaela Schwentner und die Architektin Hannah Mucha ausgewählt. Außerdem werden die Künstler*innen Ege Kökel, Alfredo Ledesma sowie Thomas Hörl & Peter Kozek die Ergebnisse ihrer kontinuierlichen Arbeitsprozesse in der Ausstellung zeigen. In ihren Arbeiten befassen sich die teilnehmenden Künstler*innen mit komplexen und zugleich künstlerisch-symbolisch-poetisch überhöhten Themen rund um Macht, Machtmissbrauch und deren körperliche Auswirkungen. Die Fragilität des beeinträchtigten Körpers in der Gesellschaft, der Aspekt des Verborgen-Seins der so essentiellen Sorgearbeit und das Nicht-Sorge-Tragen in einer verlorenen Beziehung zur Natur finden sich als Positionen der Ausstellung.

Thomas Hörl & Peter Kozek materialisieren, genauer backen mit Hilfe der interaktiven Skulptur Sandy die Träume der Sandleitner Nachbar*innen. Ebenso stehen das gemeinsame Tun als sinnlich-kreativer Arbeitsprozess bei Ege Kökel und das Öffnen der Sinne für eine symbiotische Wahrnehmung von Natur und Sorge bei Alfredo Ledesma und Kolleg*innen im Fokus. Denn die Sorge um Entwicklungen und Veränderungen, die das Zusammenleben, demokratische Entscheidungsprozesse, Mitsprache und Teilhabe durcheinander rütteln, scheint zu wachsen. Je größer die Problemlage, desto freizügiger werden Fragen der Verantwortung verschleiert, ausgelagert, individualisiert. Die Störungen, die Gesellschaften in ihrer Umgebung oder virtuell erleben, verlangen danach, neue Geschichten zu erzählen, welche die Aufmerksamkeit auf Spuren und Wandlungen auch nichtmenschlicher Dinge einbeziehen. skug war im noch leeren Ausstellungsraum, um mit Ula Schneider von der künstlerischen Leitung der SOHO Studios und mit der Architektin Hannah Mucha zu sprechen.

István Antal: »Throne« © Béla Kása

skug: Der Titel »Die Verräumlichung der Sorge« deiner Diplomarbeit am Institut für Kunst und Gestaltung and der TU Wien hat mich sehr angesprochen. Wo und wie lässt sich Sorge verräumlichen?

Hannah Mucha: Ich habe mir grundsätzlich die Frage gestellt, inwieweit patriarchale Strukturen in Architekturen fixiert werden. Das Thema der Sorgearbeit ist dabei ganz zentral. Und die Fragen, die ich in meinem Wohnhaus in Wien beobachtet und analysiert habe: Wie, wann, in welcher Art und Weise und in welchen Konstellationen wurde darin Sorge gelebt? Wer verrichtete welche Arbeiten? In welchen Räumen? Wie verschränken sich die Bereiche der Sorgearbeit?

Du unterscheidest am Anfang deiner Arbeit auch zwischen verschiedenen Arten oder Phasen der Sorge …

Hannah Mucha: Nach Joan Toronto und Berenice Fisher umfasst Sorge alles, was wir tun, uns zu erhalten, fortdauern zu lassen und wiederherzustellen. Sie unterscheiden in ihrer Definition verschiedene, zusammenhängende Phasen. Es gibt Abhängigkeiten zwischen diesen unterschiedlichen Phasen. Sorge kann nur vollständig gelebt werden, wenn diese Phasen alle bedient werden. Die erste Phase ist das Caring about, das Sorgen um etwas. Dann folgt das Taking care of, das Sich-Kümmern – in unserer Gesellschaft ist das oft der männliche Part, weil es darum geht, Ressourcen bereitzustellen und etwas zu organisieren. Die dritte Phase, das Care giving, die klassisch oft weibliche Sorgearbeit an sich, bedingt einen konstanten Aufwand und setzt ein konstantes Da-Sein voraus. Das Care receiving, das Sorge-Empfangen, ist wichtig, weil es auf die Abhängigkeiten aufmerksam macht und auf unsere Verletzlichkeit hinweist. Denn wir alle haben das Care receiving schon in Anspruch genommen, sonst hätten wir nicht überlebt. Aber das Anerkennen der menschlichen Verletzlichkeit scheint in unserer Gesellschaft nach wie vor verpönt zu sein. Und das Caring with, die solidarische Sorge, unterstreicht die Gemeinschaft. 

Peter Kozek: »Sandy« © Peter Kozek

Du hast dich im Rahmen der Recherche zur Verräumlichung von Sorge auch mit Beispielen von feministischen Architekturen beschäftigt. Magst du ein paar exemplarisch vorstellen?

Hannah Mucha: Ich habe diese Beispiele feministische Raumproduktion benannt, weil es nicht nur darum ging, dass eine Frau eine Architektur geschaffen hat. Ein interessantes Beispiel – schon aus dem 19. Jahrhundert – aus dem bürgerlichen, weißen, amerikanischen Kontext, stellt die Forderung, dass Hausarbeit auch mit Geld bezahlt werden sollte. Cooperative Housekeeping war ein Konzept von Melusine Fay Peirce, einer amerikanischen, bürgerlichen Feministin. Auch die Idee der Kitchenless Houses kommt aus dieser Zeit, ein Konzept, das auch heutzutage noch immer super-radikal wirkt. Ein Haus ohne Küche? Denn die Küche ist ja auch eine Manifestation von ganz vielen Geschlechterrollen und Arbeitsaufteilungen. Ein weiteres Beispiel ist das Gebäude E.1027 – auch wenn es eine Villa am Meer ist – von Eileen Gray, mit einer queeren Analyse von Katarina Bonnevier. Sie beschreibt die Durchlässigkeit und Flexibilität dieser Architektur aus dem Jahr 1929, die Grenzen verschwimmen lässt und in ihrer Interpretation Binaritäten auflöst. Und darum geht es mir ja auch in Bezug auf Raum und Sorge: das Abgrenzen und das Nicht-Abgrenzen, die Durchlässigkeit und die Verwebung von Räumen.

Du hast weiters Beispiele aus Wien erwähnt, wie die Heimhof-Projekte am Anfang des 20. Jahrhunderts. 

Hannah Mucha: Ich fand im Rahmen meiner Recherche heraus, dass auch vom sozialdemokratischen Wien und aber auch natürlich von den Konservativen dieses Projekt sehr kritisch bewertet wurde, weil es als Angriff auf das System Familie an sich gesehen wurde. Von den Nationalsozialist*innen und Austrofaschist*innen wurden dieses Projekt dann umgebaut und dieses Einküchenhaus somit aufgelöst.

Alex Iwanow: »Die Poetik des Pacings« © Alex Iwanov

Wie sieht es mit zeitgenössischen Beispielen aus?

Hannah Mucha: Ein zeitgenössisches Beispiel, das Intersektionale Stadthaus, stammt von der Architektin Gabu Heindl, es wurde vom Verein für die Barrierefreiheit in der Kunst, im Alltag, im Denken initiiert. Auch die Finanzierung der Miete hat mich bei diesem Projekt fasziniert. Je nachdem, wie viel jede*r zahlen kann und nach Bedarf – also nach einem solidarischen Prinzip – ist es geregelt. Es wurde viel im Selbstbau errichtet und die Gehälter beim Umbau wurden gleich aufgeteilt zwischen Planer*innen und Bauarbeiter*innen.

Ula Schneider: Was du noch nicht erwähnt hast, du wohnst ja in einem Gründerzeithaus in Ottakring. Die Sorgearbeit war in diesen Strukturen sehr versteckt und nach außen hin sind diese Fassaden ja doch sehr stadtbildprägend.

Hannah Mucha: Das ist auch das Konzept von meinem Stadtspaziergang mit dem Titel »Ornament und Sorge«. In meiner Diplomarbeit wird es nur kurz erwähnt: Der Dekor der Gründerzeit-Fassaden, diese Katalogware von Wienerberger, war ganz klar dafür da, die Zustände dahinter zu beschönigen. Ein Bassena-Haus in Ottakring macht da sozusagen »einen auf Ringstraßen-Gebäude«. Die sinnentleerte, draufgeklebte Ornamentik ist aber für viele immer noch ein Beispiel für »schöne« Architektur.

Die Ausstellung hier in den SOHO Studios trägt den Titel »Der Tanz um die Sorge«. Was verbirgt sich hinter dieser Sentenz?

Ula Schneider: Wir haben versucht, damit Verschiedenstes zu implizieren. Ausgehend von den Zukunftssorgen in der jetzigen, schnelllebigen Zeit mit vielen, globalen Krisensituationen. Was man natürlich vermehrt machen sollte, ist ein Sich-Sorgen-Machen im Sinne eines Kümmerns. Sorge zu tragen, wie es um die anderen steht und wie es ihnen geht und wie und wo sie in der Gesellschaft stehen. Das Tanzen impliziert darüber hinaus das Improvisieren – Dinge geschehen unerwartet, selten verläuft etwas in geraden Bahnen und das kann einen ins Wanken bringen. Man ist gezwungen, zu tänzeln, um andere mit Lebensfreude anzustecken, und nicht in Depressionen zu verfallen und sich zurückzuziehen. Deshalb gibt es in unserem Jahresprogramm hier im Sandleitenhof auch immer wieder richtige Tanzveranstaltungen.

Hannah Mucha: »Ornament und Sorge« © Hannah Mucha

Wie wurden die Beispiele für die Ausstellung »Der Tanz um die Sorge« ausgewählt?

Ula Schneider: Das war natürlich kein einfacher Prozess. Die ausgesuchten Beispiele haben unserer Meinung nach eine Aktualität, unter ganz unterschiedlichen Aspekten und Schwerpunkten. Ein verbindendes Element ist das Thema der Machtverhältnisse. Alex Iwanov beschäftigt sich in »Die Poetik des Pacings« mit einem Corona-Thema: Was passiert, wenn du durch Long-Covid-Symptome nicht mehr körperlich mit dem Rest der produktiven Gesellschaft mithalten kannst und du dein Leben plötzlich ganz anders wahrnimmst. István Antal hat sich dem Thema eher spielerisch genähert und hat eine Schaukel-Skulptur entworfen, die veranschaulicht, dass wer oben ist, die Macht über das Spiel hat. Die Performance der Iranerin Shahrzad Nazarpour hat ein stark feministisches Thema, zentral dabei sind die Haare als Symbolkraft zur Bewusstseinsschaffung bezüglich gesellschaftlicher Ausgrenzung. Die Stadtspaziergänge von Hannah Mucha unter dem Titel »Ornament und Sorge« werden dafür Sorge tragen, dass Dahinterliegendes sichtbar gemacht wird.  Gemeindebauprojekte wie der Sandleitenhof waren ja auch ein Weiterdenken, ein Versuch, das Leben von Frauen zu erleichtern, in dem es zum Beispiel Waschküchen und gute Infrastruktur vor Ort gab. Im Gegensatz zu den Gründerzeitvierteln gibt es viel Grün und viel Licht, das wirkt sich natürlich auf die Lebensqualität aus. Es gibt Höfe, in denen die Kinder in einem bestimmten, geschützten Raum spielen können. Aber gut gemeinte Erleichterungen in dieser »Stadt in der Stadt« – Arbeiten, Wohnen und Kultur nicht weit voneinander entfernt – waren durch die Doppelbelastungen von Frauen in der Realität ihres Arbeiter*innen-Milieus nicht immer das, wofür diese gemeinschaftsbildenden Strukturen hätten gut sein können.

Hannah Mucha: Es gab Kindergärten vor Ort und eine bessere Wasserversorgung als in den Gründerzeitgebäuden, auch schon Toiletten in der Wohnung. Es gab den aktiven Versuch, die Frauen infrastrukturell zu entlasten, damit sie als »produktive Arbeitskraft« zur Verfügung standen. Aber die Sorgearbeit wurde nicht als eigentliche Arbeit gesehen, die Rollenbilder an sich wurden nicht hinterfragt.

Alfredo Ledesma: »Reflections with the Wind« © Alfredo Ledesma

Welche Punkte fallen euch spontan ein oder auf, wenn ihr an Sorge als transformative Kraft denkt?

Hannah Mucha: Wie sollen wir uns um den öffentlichen Raum kümmern, wenn wir gar nicht wissen, was wir in diesem Raum alles dürfen? Er ist ja durch viele Regeln und die Privatisierung des öffentlichen Raums beschränkt und meist monofunktional angelegt. Ein Frauenwohnprojekt mit dem Namen Rosa fällt mir ein. In dem Gebäude von Sabine Pollak wurden extra breite Erschließungszonen geplant, damit die Menschen, die mit ihren Partner*innen dort leben, sich dort aufhalten und ihn gemeinschaftlich nutzen können. Aber durch die strengen Brandschutzverordnungen wurde das verhindert. Die Regeln an die Bedürfnisse anpassen. Die Regeln in der Stadt sind großteils an den produktiven Mann angepasst. Ich würde mir da mehr Spiel- und Freiraum wünschen, um mitgestalten zu können. Es passiert schon an vielen Orten, wobei diese Tätigkeiten dann oft unbezahlt sind. Mir fallen da Urban-Gardening-Projekte ein. Unserer Gesellschaft sind solche Projekte aber leider monetär oft nicht viel wert.

Ula Schneider: Mir fällt auch auf, dass jedes Jahr vor dem 8. März Themen wie Gleichstellung und Gleichbehandlung in den Medien sehr präsent sind. Aber ich habe einfach das Gefühl, dass da bei diesen weiblichen Feldern nicht viel weiter geht, was die Bildung, die Gleichbezahlung, die Arbeitsverhältnisse oder die Kinderunterbringungsmöglichkeiten betrifft. Politisch werden diese Themen zu dieser Zeit ausgeschlachtet, aber was die Umsetzungen betrifft, finde ich Österreich sehr konservativ.

Hannah Mucha: Die viele unbezahlte Sorgearbeit ist ja eine Stütze unseres Systems. Veränderungen in diesem Bereich hätten für uns sicher weitreichende Folgen, die bestimmt für uns alle gut wären. Aber die, die das entscheiden könnten, dafür aber ihre Privilegien abgeben müssten, haben Angst davor.

Link: https://sohostudios.at/events/ausstellung-der-tanz-um-die-sorge/

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