My Ullmann, Wandbildentwurf »Werdendes Atoll« für die Universitätsklinik Bonn, ohne Jahr © Privatbesitz
My Ullmann, Wandbildentwurf »Werdendes Atoll« für die Universitätsklinik Bonn, ohne Jahr © Privatbesitz

Dem Zugriff entzogen

Im Wiener MAK ist zurzeit My Ullmann als eine Vertreterin des Wiener Kinetismus zu sehen. Erika Giovanna Klien und Elisabeth Karlinsky sind die beiden anderen. Alle drei verließen Österreich. Ullmann starb 1995 in Konstanz.

»My Ullmann führte ein sehr unruhiges, bewegtes Leben«, beschreibt die Konstanzer Kuratorin Barbara Stark, Direktorin der Städtischen Wessenberg Galerie, die eher unbekannte Künstlerin. »Schon öfter dachte ich, jetzt hab’ ich sie, dann war sie wieder weg. Ich war schon nahe daran aufzugeben, dann fand ich plötzlich die Enkelin.« In deren Lagerhalle entdeckte Stark Nachlasskisten unter Planen, u. a. Linolschnitte auf schlechtem Papier in verstaubten Mappen. Die 1905 geborene Wienerin My Ullmann starb 1995 im deutschen Konstanz, daher der Bezug. Im Zuge ihrer Suche nach weniger berühmten Künstlerinnen war die Konstanzer Kuratorin auf die Wiener Kinetistin gestoßen und begann zu forschen. 

»Ullmann wurde nicht berühmt und nicht entdeckt, weil der Nachlass verschüttet war. Von ihren Aufträgen für Kunst am Bau ist fast keiner erhalten – jammerschade, dass die in den Müll geworfen wurden, und weg waren sie. Ihre sterblichen Überreste wurden dem Bodensee übergeben. Sogar an ihrem Ende entzog sie sich dem Zugriff!« Die Wiener Kuratorin Kathrin Pokorny-Nagel vom MAK, Museum für angewandte Kunst, erzählt, dass ein nicht abgeholter Lesesaalausweis von My Ullmann gefunden wurde. Aus 1934! Die Wiener Ausstellung heißt »My Ullmann. Gelebter Kinetismus: Bilder, Bühne, Kunst am Bau« und ist noch bis 1. September 2024 im MAK Kunstblättersaal zu sehen.

My Ullmann um 1935 © Privatbesitz

Drei Freundinnen

Ullmanns Wunsch war es, wegen deren unkonventionellen Methoden an der Wiener Kunstgewerbeschule zu studieren. Sie wollte ursprünglich zu dem Bildhauer Heinrich Goldmann, aber der bekannte Kunstpädagoge Franz Čižek war ganz begeistert von ihr. So besuchte sie dessen Kurs für ornamentale Formenlehre. »Die bis heute berühmte Kinetistin Erika Klien befand sich auch im Schwarm um Čižek, die beiden Frauen waren irrsinnig befreundet. Die dritte im Bunde war Elisabeth Kalinsky, die nach Dänemark heiratete und von der es fast nichts gibt.« Das Belvedere und die Angewandte stellten Erika Klien aus, deren Sohn sich stark für den Nachlass seiner Mutter engagierte. (Anm.: Der Pianist Walter Klien war ohne Mutter aufgewachsen, weil diese ihn nicht nach Amerika mitnehmen konnte. Erst spät erfolgte eine Annäherung über Briefe.)

»Kümmert euch einmal um die Kalinsky«, appelliert die Konstanzer Kuratorin an die Wiener*innen, »denn der Wiener Kinetismus ist so in Vergessenheit geraten, weil alle drei Frauen Österreich verließen.« Erika Giovanna Klien zeichnete in ihren Comic-Briefen, die sie »Klessheimer Sendbote« nannte, im Jahre 1927 drei Medizinflaschen mit den Namen Karlinsky, Ullmann und Klien darauf. Dazu schrieb sie als eine Art Rezept: »Man nehme einen Kopf und Rippengegenden (Marke Karlinsky), ein Auge mit Strahl – mehrere Brücken-Buchstaben und Gross-Stadtgegenden (Marke Klien), mehrere exotisch-erotische Extremitäten und andere Gegenden (Marke Ullmann) – und mische alles gut! Effekt garantiert! Genießbarkeit und Verdaulichkeit nicht ganz garantiert (die Redaktion).«*

My Ullmann mit dem Modell eines Brunnens für die Stadt Marl, um 1965 © Privatbesitz

Streitbarer Charakter

My Ullmann schuf Werke mit starker Bewegtheit – Kinetismus stellt ja Bewegungen dar –, sie wurde aber 1924 aus der Schule hinauskomplimentiert: Sie würde den Unterricht stören und rege Kolleginnen zu Ärgernis an. In Folge wandte Ullmann sich religiösen Themen zu, »für eine Kinetistin überraschend«, meinen die Kuratorinnen. Im MAK ist u. a. ihre vierteilige »Apokalypse« zu sehen. Stark: »Mich faszinieren ihre mythologischen Komponenten. So meinte Ullmann, dass die Verbindung des Menschen mit der Natur unauflöslich sei.«

Ihre Schwester, die nach Florenz geheiratet hatte, beauftragte My Ullmann, als diese ab 1938 aufgrund von Arbeitslosigkeit bei ihr lebte, mit Möbelproduktion. Dabei entstand u. a. die Tischplatte »Mondphasen« und die wunderschöne Kegellampe »Nord.Himmel« mit eingestanzten Löchern und Figuren darauf. Auch im Auftrag der Aluminium Nord GmbH hatte Ullmann Tische und Lampen entworfen. »Ihr Werk hat Gesamtkunstwerkcharakter und sie änderte ständig ihre Berufsbezeichnungen«, lacht Stark. »1960 führte sie ein eigenes Studio und nannte sich zum Beispiel Möbelrestauratorin. Sie wusste, wann es an der Zeit ist, etwas dicker aufzutragen.« Nicht zufällig sind auf dem Selbstbildnis »Ich« acht Figuren drauf. Ihre Mutter, eine Pianistin, starb früh und Ullmann scheint eine Art Aufspaltung in innere Figuren zu verkörpern. 

My Ullmann: »Ich«, vermutlich 1922/23 © Privatbesitz

My Ullmann lebte in Konstanz, an der Grenze zur Schweiz, weil sie für die Schweiz wegen mangelnder finanzieller Mittel keine Niederlassungsbewilligung erhielt. Vor Konstanz arbeitete Ullmann in Münster, wo sie sich aber dermaßen zerstritt, dass die Stadt Münster freiwillig ihre Übersiedlungskosten übernahm! Für die Kinderklinik Münster hatte sie das Design »Tiere der Nacht« entworfen. Es gelang ihr aber, finanziell auf sich gestellt, zwei Kinder großzuziehen. Ihr Sohn brach mit achtzehn Jahren den Kontakt zur Mutter ab. Ihre Enkel reisten nun auch nicht zur Wiener Ausstellung an, die Nachfahren der Schwester schon.

Link: https://www.mak.at/myullmann

*aus dem Buch: Erika Giovanna Klien, Wien New York 1900–1957, herausgegeben von Bernhard Leitner, Hatje Cantz Verlag 2001

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