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Rolling Stones

»Blue & Lonesome«

Polydor

Lediglich als aufgemotzte Alt-Rock’n’Roller verkleidete, neoliberalistische Kotzbrocken, nichts weiter als das sind die Rolling Stones mittlerweile? Was kann an einem neuen Album der Rolling Stones schon interessant sein, schallte einem der diesmal voreilige Tenor vieler MusikkritikerInnen im Vorfeld entgegen. Die laut Denkmalpflege ein für alle Mal beste Rock’n’Roll-Band der Welt füllt live zwar noch immer Stadien, verzaubert mitunter ganze Landstriche, wie z. B. im Oktober bei ihrem Desert-Trip-Konzert. Ihr vorrangig nur noch für Altherren passender Rock spielt mit aktuellem Material aber selbst für hartgesottenste Fans kaum noch eine Rolle. Man grölt nur nach den alten Hits. Gewissenhafte MusikkritikerInnen beanstanden ohnehin, dass den Stones nach »Exile On Main Street« (1972) nicht mehr als einzelne Songs glückten, jedoch kein einziges komplettes Stones-Meisterwerk mehr. Weshalb nun also so ein großes Tamtam?

Aha, oho, welch’ Aufhänger: die Stones warten mit dem ersten kompletten Blues-Cover-Album ihrer Karriere auf. Aber hätte dieses Album nicht schon gut drei, vier Dekaden früher erscheinen können? Was soll’s, besser jetzt als nie. Oder?

Begonnen hat aber alles ganz anders: The Rolling Stones versammelten sich im Dezember 2015, zehn Jahre nach ihrem letzten Output, »A Bigger Bang« (2005), in den British Grove Studios in West London, um ein neues Album mit Eigenkompositionen einzuspielen. Früh kristallisierte sich jedoch heraus, dass Jagger & Co kaum noch passable Ergebnisse zu erzielen vermochten. Die Stimmung der Alphatiere kippte, einmal mehr stand der bedrohliche Bandsplit im Raum. Ehe ein solcher jedoch passieren konnte, schnappte sich einer der verzweifelten Rock’n’Roller einen Uralt-Blues. Und siehe da, welch’ Wunder, die anderen Altspatzen stimmten glückselig mit ein. Es folgte noch ein Blues und dann noch einer und sogleich erkannte Co-Produzent Don Was, dass da nix besseres nachkommen würde. So vertagte man kurzerhand das neue Album mit Eigenkompositionen. Ein geschäftstüchtiger Schachzug, mit dem man auf einen Schlag den Weihnachtsrummel und ein weiteres Bandjahr gewinnen konnte.

»Blue & Lonesome« enthält also keine Eigenkompositionen, sondern zwölf Coverversionen von Blues-Songs, die überwiegend in den 1950er- und 1960er-Jahren von legendären schwarzen Bluesern nicht immer komponiert, aber primär bekannt gemacht worden sind. Unverständlicherweise wusste die sich euphorisch überschlagende Musikrezeption kaum anderes breit zu treten, als die Frage, ob die Stones denn damit an ihr Frühwerk heranreichen. Welch’ Gesäusel. Die legendären Stones der Sechziger bis Frühsiebziger, die gibt es lediglich noch in der Fantasie zurückgebliebener Retromanen. Zu viele Kreative, die für die Stones-Legende maßgeblich mitverantwortlich waren, fehlen gravierend: Brian Jones (Gitarrist und Mundharmonikaspieler bis zu seinem Tod 1969), Bill Wyman (Bassist bis zu seinem Ausstieg 1993), Mick Taylor (Gitarrist 1969-1974), Ian Stewart (Keyboarder bis † 1985), James »Jimmy« Miller (Produzent der besten Stones-Alben 1968-1973) und, last but not least, Andrew Loog Oldham (Manager und Produzent der Band, der die Stones von 1963 bis 1967 zum Beatles-Pendant stilisierte).

Dennoch hätte es ein grandioses Album werden können. Die Spielart des Chicago Blues steht – u. a. mit vier Singles von Harmonika-Meister Little Walter – im Zentrum. Walters bekanntes »Just Your Fool« (der Song stammt übrigens nicht, wie im CD-Booklet angegeben, von Walter Jacobs aka Little Walter, sondern von Buddy Johnson) und das darauffolgende »Commit A Crime« bilden gleich am Beginn den Höhepunkt des Albums. Wie bei den restlichen Nummern, herausragend noch der hypnotische »Hoo Doo Blues«, bleibt man hierauf aber recht nahe an den Versionen seiner Vorbilder – auch wenn Jagger auf zweitgenanntem Song beinahe um eine Oktave höher singt, als dies vormals der fantastische Howlin’ Wolf vollbrachte. Eigentlich absurd, dass man nun auf Authentizität pocht, waren die Stones doch immer am aufregendsten, wenn sie auf ihre präpotente britische Art rockten. Alles in allem kommen die Stones diesmal in ihrem angestammten Blues-Metier dennoch eindeutig frischer und inspirierter daher, als es in den letzten Dekaden meist der Fall war. Well done.

Hauptsächliches Manko des Albums ist jedoch, dass die Gitarrenarbeit selten an die große Zeit heranreicht. Wie auch. Zuallererst hätte jemand die Courage besitzen und Jagger den Fotzhobel wegnehmen müssen. So aber dominiert sein Gebläse zu sehr und lässt kaum Raum für die Gitarren. Ein Little Walter ist er übrigens bei Gott nicht. (Notiz am Rande: Als Jagger beim Desert-Trip-Gig gockelhaft-eitel von seinen Kollegen fordert, ihm doch seine Mundharmonika zu reichen, lässt Ron Wood ihn auflaufen, während Keith Richards süffisant schmunzelt; siehe 0:15 Sec. youtube). Zudem schmerzt, dass man Mick Taylor, den besten Bluesgitarristen, den man je in den eigenen Reihen hatte, nicht hierfür ins Studio holte. Unverzeihlich. Stattdessen agiert Eric Clapton, den man angeblich aus dem Nachbarstudio zerrte, auf zwei Stücken. Und wenn man ihn vom anderen Ende der Welt geholt hätte, sein Beitrag lohnt sich nur marginal.

Fein natürlich, dass mit diesem Album hervorragend Werbung für den Blues gemacht wird. Denn seitdem HipHop zur tonangebenden Transaktion von Black Music avancierte, geht es dem Blues noch schlechter, als dies ohnehin bereits der Fall war. Bedauernswert, dass einige Millionäre groß absahnen, während der Großteil der Blueser lächerliche Gagen erhält und zu beschämendem Hut-Bettel verdammt ist. That’s Rock’n’Roll? Weit gefehlt, das ist ausbeuterischer Kapitalismus in seiner schlimmsten Form. Peinlich auch, dass während Keith Richards vor Jahren noch den wilden Mann mimte und vor Donald Trump sein Messer in den Tisch rammte, heutzutage, wo Trump auch in den Medien leider ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat, alle Stones-Mitglieder beim »Blue & Lonesome«-Promo-Interview des weltgrößten Popmusikmagazins, dem amerikanischen Rolling Stone, recht peinlich zurückhaltend argumentierten (siehe: hier). »It’s a blank spot to me, man … I ain’t goin’ there«, näselt Richards. Aber wer beißt schon die Hand, die einen füttert!? Sicher nicht die Heroes der rebellischen Sixties. Nein, auch die nicht

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