Die Karriere des geschickten Einbrechers und Ausbrechers Johann »Schani« Breitwieser ist voller fantastischer Knalleffekte. Er beschäftigte den Verstand seiner Zeitgenossen so intensiv, dass die Wiener Polizei bei einer versuchten Festnahme in der Praterstraße drei Menschen anschoss, obwohl Breitwieser gar nicht anwesend war. Dies ist typisch für die Phantasmagorie, die um gewisse Verbrecher zu entstehen pflegt. Die Überformungen werden gelebter Wahn und am Ende musste nahezu die gesamte Wiener Polizei aufgeboten werden, um Breitwieser endlich zu erledigen. Einsperren nützte ja nichts, der Knabe war einfach zu intelligent und geistesgegenwärtig. Er fand immer einen Ausweg.
Ein Räuberleben
Seine reale Flucht half dem Publikum, aus dem ermüdenden Alltag zu entfliehen, und alles, was sich zur Sensation eignet, wird bekanntlich gerne von Zeitungen aufgegriffen. Nur, Breitwiesers Fall ereignete sich in den Jahren 1918/1919 und er floh zunächst aus dem »Feld der Ehre« des ersten Weltkriegs. Ganz Europa litt damals unter dieser bislang unbekannten Mordmaschinerie. Am gewalttätigen Breitwieser in Wien kondensierte vielleicht etwas von diesen unbegreiflichen Vorgängen, denn bei ihm war die Gewalt noch begreifbar und sogar irgendwie nachvollziehbar. Er nahm sich, was er sich nehmen musste. Nach dem Einbruch in eine Munitionsfabrik marschierte er mit einer halben Million Kronen heraus. Weil kein bürgerlich stetes Leben gewohnt, das zaghaft investiert und sich gerne in die lange Sorge verwickelt, wird das Geld in den Händen Breitwieser ein lokales Konjunkturprogramm gewesen sein. Man kennt das aus Film und Fernsehen: Butch Cassidy und Sundance Kid (z. B.), die wohl nie ihren Vorbildern Paul Newman und Robert Redford das Wasser reichen konnten. Aber Breitwieser war echt, er war »wandelnde Lebensgefahr« (Polgar) und das musste seine Zeitgenossen beeindrucken. Die dann aus ihm wiederum Zeitungsliteratur machten.
Gemocht haben ihn die Wiener, den Schani Breitwieser, sonst wären ihm nicht Tausende bei seiner Beisetzung zum Geleit gekommen. Die Stimmung soll damals recht ausgelassen gewesen sein. Hundert Jahre später fällt es schwer, sich einen Reim darauf zu machen. Ein unbegreiflich zerrüttetes Europa ließ damals die Bevölkerung leiden. Aber gleichzeitig erschienen zuvor als unmöglich erachtete Utopien am Horizont, als in Folge des Ersten Weltkriegs Revolutionen losbrachen und in Mitteleuropa Räterepubliken entstanden. Kurzfristig schien eine bessere Welt möglich, bevor diese gewaltsam von reaktionären Kräften zerschlagen wurden, die sich anschickten, dem Ersten Weltkrieg sogleich den Zweiten folgen zu lassen. In Breitwieser erahnte man möglicherweise den wahren Patrioten in eigener Sache. Jemand der sich zumindest selbst nahm, was allen geraubt wurde, und, wenn auch im Zerrbild, konnte die allgemeine, ungeheure Ungerechtigkeit erkannt werden. Dies sind aber bloße Spekulationen. skug kann sich für beides erwärmen, die vielleicht unbegründete fantastische Übersteigerung und den beinharten Blick auf die Fakten, deswegen wandern wir an genau die Orte, an denen Breitwieser nachweislich war, und liefern die passenden Hausnummern. Alles dank der sorgfältigen Recherche unseres geschätzten Haushistorikers Anton Tantner.
Die Hausnummern des »Eisenschlitzers«
Die Eltern Schani Breitwiesers – »Braitwieser Carl, Schuhmacher von Wien Gumpendorf« und »Schruf Mathilde von Sechshaus« (so der exakte Eintrag im Trauungsbuch der Meidlinger Pfarre) – heiraten am 30. Mai 1886, der Vater wohnte damals in der Ehrenfelsgasse 18, die Mutter in der Wertheimsteingasse (nunmehr Hilschergasse) 23. Laut Angaben seines Biographen Hermann Kraszna soll Breitwieser als sechstes von insgesamt 16 Kindern dieser Ehe geboren worden sein, die Taufbücher der Meidlinger Pfarrer verzeichnen vor seiner Geburt als Geschwister allerdings nur die bald nach der Hochzeit am 26. September 1886 zur Welt gekommene Karoline – Wohnort der Familie war die Bonygasse 26 – sowie Rudolf, geboren am 11. Jänner 1889, Wilhelmstraße 24.
Schani Breitwieser selbst wurde als Johann Braitwieser am 13. April 1891 in Wien geboren, während der Biograph Kraszna als Wohnort die Breitenfurter Straße 13 angibt, findet sich im Taufbuch der Pfarre Meidling die Jahngasse 16 eingetragen, sie wurde drei Jahre später in Singrienergasse umbenannt.
Knapp drei Jahre später taucht Bruder Franz in den Matriken auf, er wurde am 9. Februar 1894 geboren, die Familie lebte damals in der Rosaliagasse 9. Franz wurde 1931 als »polizeibekannter Messerstecher und Gewalttäter« zu vier Monaten Kerker verurteilt. Schwester Anna Antonia wurde am 30. Mai 1895 geboren, die Adresse lautete nun Wertheimsteing (heute Hilschergasse) 10.
In der Folge übersiedelte die Familie nach Altmannsdorf in die Breitenfurter Straße 185, wo am 6. Oktober 1898 Carl Friedrich zur Welt kam; er sollte später zu Schanis Bande zählen und war auch bei dessen Erschießung 1919 anwesend. Als nächste Wohnadresse ist 15 Monate später die Schönbrunner Straße 195 dokumentiert, wo am 13. Jänner 1900 Schwester Friederike geboren wurde.
1910 wird Breitwieser als Fahrraddieb verhaftet, ein Zeitungsbericht erwähnt als seine Wohnadresse die Murlingengasse 29. Knapp ein Jahr später, im April 1911, dokumentiert ein im Wiener Stadt- und Landesarchiv aufbewahrter Meldezettel folgende Adresse Breitwiesers: Vivenotgasse 37/2, Tür 18.
Ein weiterer Meldezettel ist für Juli 1917 erhalten, die Wohnadresse lautet nun: Ratschkygasse 33, 3. Stock, Tür 38. Wenige Monate später meldeten Zeitungen die Verhaftung Breitwiesers: Er hielt sich in Rudolfsheim-Fünfhaus, in der Hollergasse 29 auf und wurde dort am 26. Oktober 1917 von der Polizei gestellt.
Nach seiner Flucht aus der Gefangenschaft am 24. November 1917 wohnte Breitwieser gemäß der Anklageschrift im Winter 1917/18 gemeinsam mit seiner Freundin Anna Maxian zeitweise bei der Hausbesorgerin Anna Buresch in der Marxergasse 52. Vom 25. März 1918 bis zu seiner Verhaftung am 6. April 1918 wohnte das Paar unangemeldet in Brunn am Gebirge, Herzogbergstraße 13.
Zum Jahresende 1918 gelang es Breitwieser wieder, aus der Gefangenschaft zu fliehen. Er ließ von einem Strohmann in St. Andrä-Wördern in der Riegergasse 5 eine Villa anmieten. Am 1. April 1919 wurde er dort von einer Polizeikugel tödlich getroffen, heute noch ist am Gitter des ehemaligen Eingangstors der Villa eine Delle sichtbar, die vom Schusswechsel herrühren soll. Breitwieser starb wenige Stunden später im Inquisitenspital in der Landesgerichtsstraße.
Beim Begräbnis von Johann Breitwieser am 5. April 1919 am Meidlinger Friedhof (Abteilung 1, Gruppe 1, Nr. 48) nahmen Tausende Menschen teil.
Literatur zu Johann Breitwieser: http://breitwieserschani.at/literatur.html