© Frank Jödicke, Michael Zangerl
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Gemeinsam im Regen

Das – darf man sagen – große Straßenfest des Salon skug auf Rädern im 2. Bezirk war eine Wucht, die Sache mit dem Starkregen jetzt nicht unbedingt hilfreich, aber durchaus lehrreich. Ein Nachbericht in fünf Performances.

Der 10. Juni 2023 wird in die skug-Annalen eingehen als das bislang größte Happening im öffentlichen Raum. Es war nach gewissen Schwierigkeiten tatsächlich gelungen, ein kleines Stück Straße zu sperren. Im verschränkten Ansatz von skug, der immer zugleich gesellschaftliche Lebensrealität und deren künstlerisches Re-Enactment zu reflektieren versucht, war die erste Perfomance des Tages wieder eine administrative im Real Life. Es zeigte sich nämlich, dass das Aufstellen von Parken-verboten-Schildern von manchen Autofahrer*innen elegant ignoriert wird. Viele beachteten es zwar und parkten ihre Fahrzeuge woanders, aber drei Wagen standen just dort, wo unser Straßenfest stattfinden sollte. Dieser Straßenraum war minutiös mit dem Magistrat ausgehandelt und konnte nicht verschoben werden, weil wir dann Änderungen vorgenommen hätten, die wir so nicht bewilligt bekommen haben. Tja. Auf das Fehlverhalten der werten Mitbürger*innen (Parken im absoluten Halteverbot) mit eigenem Fehlverhalten (Verlegen eines ungeschützten Stromkabels über die Straße) zu reagieren, kommt nicht gut bei den Behörden und da haben sie einfach Recht. 

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Stehengelassen

Während der typische situationistische skug-Avantgarde-Ansatz im Kopf gute Ergebnisse erzielte (»Wir tragen die Autos einfach weg!«), zeigte sich in der Realität, dass wir – schweren Herzens – bei der Polizei anrufen und um Entfernung der Fahrzeuge bitten müssen würden, weil sonst das ganze Fest ins Wasser fallen würde, noch ohne einen Tropfen Regen. Die freundliche Beamtin, der wir eine Woche zuvor die Aufstellung unserer Parken-verboten-Schilder ordnungsgemäß gemeldet hatten, hatte damals gemeint, einfach 133 wählen und Bescheid geben. Nach Meinung der Redaktion war also die erste Performance des Tages, der Chefredakteur ruft die Polizei und ein Kranwagen lädt die Autos auf. Hihi, harhar. Das ist aber nur in der Fantasie so.

Zunächst einmal ist es eine durchaus überraschende Beobachtung, dass beim Notruf-Telefon niemand abhebt. Es klingelt lange, dann kommt ein Anrufbeantwortertext und am Ende fliegt der Anrufer aus der Leitung. Okay. Haben wir auch nicht gewusst, dass bei der Polizei ein eher entspanntes Verhältnis zu »Notrufen« gepflegt wird. Beim dritten Versuch meldete sich ein Beamter, meinte, er würde dem Magistrat Bescheid geben, und legte wieder auf. Samstagmorgen das Magistrat verständigen, in dem Moment packte die Crew innerlich bereits ein. 

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Dann aber die Überraschung. Wenig später bog ein Fahrzeug der MA 67 (Parkraumüberwachung) um die Ecke. Wieder eine wirklich nette Begegnung. Auch die beiden Profis von der MA 67 mussten lange im Bescheid der MA 46 blättern, bis sie die entscheidenden Passagen entdeckt hatten, und an der Stelle wurde es dann sehr speziell. Alle Straßeninitiativen und künftigen Straßeninitiativen bitte mitschreiben! (Ohne Gewähr natürlich, skug ist keine Rechtsberatung.) Seit 1. März 2023 darf die MA 67 nur dann Fahrzeuge entfernen lassen, wenn auf der Hinweistafel »Absolutes Halteverbot« der Zusatz »außer für Räum- und Müllfahrzeuge« angebracht wurde. »Aber die parkenden Fahrzeuge sind ja kein Müllfahrzeuge.« – »Natürlich nicht«, so der Beamte. Die Erklärung: Die Fahrzeuge behindern zwar eindeutig das Straßenfest, aber nicht die potenzielle Arbeit einer Räumungstätigkeit, somit stellen sie keine unmittelbar durch die MA 67 zu entfernenden Fahrzeuge dar. »Es tut uns sehr leid, wir können nur das illegale Parken im absoluten Halteverbot feststellen und strafen, aber die Fahrzeuge nicht entfernen. Leider.«

Das ist so einer dieser Momente, in dem die kleinen Vögelchen im eigenen Kopf Bach-Arien zu trällern beginnen und es schwer wird, zu sagen, wo Realität endet und Satire beginnt. Die Mitarbeiter der MA 67 interpretierten die Situation durchaus ähnlich. »Aber dann hätte uns die MA 46 doch sagen müssen, dass wir die Zusatztafeln …« – »Ja, ja, das sagen wir denen auch immer wieder.« Die Vögelchen singen gerade »Trotz dem alten Drachen« (Bach-Werke-Verzeichnis 227). »Was sollen wir jetzt tun?« – »Zur Polizeiwache gehen und nachfragen, ob die aktiv werden können, die Chancen sind 50:50«. Gesagt, getan. Das Verhalten der Polizei ist leicht zusammengefasst: Alle sind freundlich, sagen, sie machen es, und nichts passiert. Die Autos blieben, wo sie sind. Ende der ersten Performance.

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Wer bewegt die Autos?

Mangels echter Perspektiven entschied sich das Team, die Stände des Straßenfestes rund um die parkenden Autos aufzubauen. Sicherheitsabstand natürlich. Da wir die eine Seite der Straße sowieso freihalten mussten, wegen einer Zufahrt zu einer Tiefgarage, und den drei parkenden Autos auf der anderen Straßenseite Platz zum Rausfahren lassen mussten, entstand die nur mäßig faszinierende philosophische Frage, ob eine Straße »autofrei« genannt werden darf, weil sie es zwar de jure per Amtsbeschluss ist, aber de facto noch immer den Autos gehört. In einem Stationentheater traten nun die drei zu den Fahrzeugen gehörenden Personen auf. Dies darf als die zweite Performance des Tages gelten. Automobilistin eins trat auf die Straßenbühne mit dem Schrei: »Ich muss hier rausfahren!« – »Äh, gerne.« – »Warum versperren Sie hier alles?« – »Wir machen ein Straßenfest. Es ist eigentlich Halteverbot.« – »Wo steht das?« – »Auf dem Schild.« (Dieses steht drei Meter entfernt.) – »Wann haben sie das aufgestellt?« – »Vor einer Woche.« Die Autotür fällt zu, die Automobilistin fährt ab. Die zweiten Automobilist*innen sind eine fröhliche Familie, sie scheinen sich irgendwie über das Fest zu freuen (wie die meisten Menschen aus der Anwohner*innenschaft – dem äußeren Eindruck und den Gesprächen nach), sie kurven vom Festplatz und winken fröhlich. Kann schon mal passieren, so ein Schild zu übersehen, also »God bless you & Godspeed.«

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Das dritte Auto blieb, wo es war, und kam in Perfomance Nummer fünf zu Ehren, es bildete aber auch den späten, letzten Act der zweiten Performance. Mürrisch wartete am Abend der Besitzer, von einem Schirm leidlich gegen den mittlerweile starken Regen geschützt. Ungemein praktisch so ein Auto, um den Elementen zu trotzen, denn es war sicherlich der letzte trockene Ort der Straße, dachten sich die anderen Anwesenden. Die verbliebenen Straßenfestaufbauten würdigte der Mann keines Blickes. Gut möglich, dass sie ihm nicht aufgefallen waren. Auch wunderte er sich offenkundig nicht, dass die anderen parkenden Autos weg waren. Er bestieg seinen Straßenkreuzer und fuhr mit der beeindruckenden Nonchalance des Herrn der Straße weg. Zu schade, dass er nie erfahren wird, dass sein Auto zuvor frisch poliert worden war. 

Kinder meißeln im Asphalt

Gegen 15:00 Uhr, mit üppiger Verspätung aufgrund der Widrigkeiten, begann also das Fest. Der Sound der DJ-Line machte ein bisschen soulige und elektronische Blockparty und wirklich viele geladene Gäste und Neugierige fanden sich ein. Robin Foods bot Knabbereien an. Die European Public Sphere stand bereit zum Bürger*innendialog, bereitliegende Spielgeräte wurden von den Kids zum anderen Straßengebrauch adaptiert. Der Künstler Tomash Schoiswohl hatte ein Zelt aufgeschlagen, in dem auf zwei kleinen Videomonitoren Verkehrserziehungsfilme der 1970er-Jahre flimmerten. Sie hatten eine eindeutige Botschaft an die Kinder parat: Ihr seid das Problem! Passt gefälligst auf, denn die Straße gehört den Autos. Sehr stimmig, weil die Besucher*innen ins Zelt kriechen mussten. Belehrung ganz nah am Boden.

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Nein, nein, Löcher in die Straße machen, das ist nicht so leicht erlaubt. Hintergründe bitte im in-depth Interview mit der Wiener Sukzession nachlesen. Ein überwiegender Teil der politischen Akteur*innen ist für »coole Städte«, sieht das Problem der Hitzeinseln in Wien, einer der am dichtesten verbauten Städte der Welt, und alle wollen auch gerne was ändern. Nur, das heißt noch lange nicht, dass dann auch wirklich ein Loch in den Boden gemacht werden darf, damit dann dort etwas sprießen kann. Deswegen wurde das Bodenöffnen symbolisch durch »essbaren Asphalt« vorinszeniert. Es ist mehr Kopf- und Herzsache als echtes Aufstemmen. Der Asphalt ist nämlich Zuckerguss, wohlschmeckender und gerade die Kinder meißelten sich gerne durch, bis der Kuchen aufgespachtelt war. 

Das symbolische Meißeln machte aber echten Sound und es mag sein, dass es wer unter dem Asphalt gehört hat. Eher aber nicht, denn unter dem versiegelten Straßenbelag herrscht Grabesruh. In einem zweiten Happening ging die Künstlerin und Klimaschutzpreisträgerin Isa Klee den Zusammenhängen von Bodenversiegelung und Biodiversität auf den Grund. Isa Klee, die als endangeredspeciesadvocacy arbeitet, holte die bodenbewohnende Arten mit temporären Sprays in den Straßenraum und ins kollektive Gedächtnis zurück. Asseln, Ameisen, Springschwänze, Maulwürfe, Regenwürmer und Feldhamster, die durch die Flächenversiegelung und Verbauung tagtäglich ihren Lebensraum verlieren, überdauern so das Fest und sind weiterhin im Stadtraum sichtbar, bis sich die Kreide auflöst. Was vor Ort durch grauen und lebensfeindlichen Bodenbelag verloren ging, machte Klee mittels eines Bodenmikrophones in einem Walk an anderer Stelle im Augartenspitz hörbar. In ihrem Rundgang konnten die Besucher*innen den teils winzigen Bodenbewohner*innen beim unterirdischen Schmatzen und Rumpeln zuhören. Die Arbeit von Isa Klee wird innerhalb der Serie »Wir sind der Verkehr« demnächst vorgestellt.

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Ausgiebige Waschung

Dann wurde es spirituell. Die Künstlerin Sabrina Bühn und der dem skug-Publikum wohlbekannte Autor und Aktivist Kilian Jörg luden als Toxic Mess zur »Letzten Waschung« der sterbenden Mobilitätsform Auto. Zeremoniös wurde ein kleines Plastikauto im feuerfesten Tiegel verbrannt und per gemeinsamem Gebet mit der Gemeinde der zivilisatorischen Bedeutung des Autos gedacht, dass dieses nun nicht mehr wird wahrnehmen können, wenn wir nicht alle ersticken und in der Gluthitze der Klimakatastrophe verbrennen wollen. Dass das bisher verregnete Frühjahr in Wien daran weniger gemahnt als der Himmel über New York, ist ein wetterbedingter Zufall. Die Richtung der Reise ist klar und die Künstler*innen wollen den Abschiedsschmerz erfahrbar machen. Wir lösen uns vom Auto oder die Welt löst sich von uns. Letzte Dinge im kirchenüblichen Lamento-Sing-Sang. Dann ging es an die gemeinsame letzte Waschung des auf der Straße verbliebenen Autos. Würdevoll und feierlich schritten Jörg und Bühn die Straße hinab und es machte den Anschein, als gäbe es für die beiden Priester*innen des Abschieds noch viel zu putzen in den vollgeparkten Nebenstraßen.

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Das Programm aber musste weitergehen, das noch glimmende Feuer des Plastikautos wurde von den anwesenden Kindern interessiert bewacht und auf dem ersten Panel fanden sich zahlreiche Vertreter*innen unterschiedlicher Straßeninitiativen ein. Das Panel bestand aus dem einen Satz: »Ach, das mit dem Regen wird nicht so schlimm.« Nun, die Prognosefähigkeiten bei skug sind wirklich ausbaufähig. Es schüttete plötzlich wie aus Eimern und an allen Ecken hieß es, die eilig herbeigeholten Zeltplanen und Teichfolien im böigen Wind festzuhalten. Daraus wurde eine erhebende Gruppenerfahrung. Es machte den Anschein, als hätten alle Anwesenden mitgeholfen. Beim Abdecken der Boxen, beim Sichern der Kabeltrommeln und vielem mehr. Sicherlich, einige eilten nach Hause, aber es gab, als der Regen nachließ, noch viele helfenden Hände beim Reintragen in project space T/abor und beim Trocknen und Abreiben des nassgewordenen Geräts. Unendlicher Dank an alle! Und merkwürdig zu sagen, aber irgendwie war die Stimmung gut. Es wurde viel gelacht und gescherzt über das Wetterpech, aber sollen wir uns lange damit aufhalten? Wer unter freiem Himmel arbeitet, hat mal Glück und mal Pech. In all den Jahren hält skug im Mittel im tiefgrünen Bereich, die meisten Salons liefen wettertechnisch traumhaft gut ab und komplette Ausfälle hatten wir nie. Diesmal waren wir immerhin bei 30 Prozent. Die Live-Acts holen wir bei Gelegenheit nach, die ausgefallenen Panels versuchen wir mit unseren Berichten der Serie »Wir sind der Verkehr« ein wenig zu entschädigen, indem wir die Initiativen vorstellen oder schon vorgestellt haben.

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Großen Dank auch an Radio Orange 94.0 und dérive – Radio für Stadtforschung, die aufnahmen, was sich aufnehmen ließ, dem »Augustin«, »Unter Palmen« und natürlich der »MALMOE«, die die Saugfähigkeit ihrer neue Doppelausgabe erprobte. Am Abend fuhr der Autor dieser Zeilen die durchnässten, druckfrischen »MALMOE«-Ausgaben und einige nassgewordene Pappen von der Installation von Tomash Schoiswohl zum Papiercontainer und das Gestänge des einen völlig zerbrochenen Zeltes zum Metallcontainer. Dabei entstand der Gedanke, wie hilfreich so ein Salon skug auf Rädern ist, weil er kein bisschen abstrakt ist, sondern sehr konkret und anschaulich macht, wie schwierig es ist, einen Veranstaltungsbetrieb nur mit Lastenfahrrädern aufrechtzuerhalten, und dass gerade bei schwerem Wetter durchaus ein Auto … In dem Moment fuhr der Wind unter eine der großen, nassen Pappen und die klatschte dem Fahrer vor Gesicht und Brust. Die Message der filmreifen Szene war eindeutig, die des Umweltaktivismus von skug aber auch. Egal wie viel Wind uns entgegenbläst: »Let’s go down fighting!«

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P. S.: Der nächste Salon skug findet am 1. Juli 2023 im Garten des ehemaligen Büros von Johanna Dohnal in Penzing statt, mit dem Talkthema »Feministische Sozialdemokratie«. Das Wetter wird sicher gut – wie könnte es anders sein?

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