Headerimage Placeholder

Are Friends Electric?

Seit Tubeway Army ist einiges geschehen. Elektronische Musik wird, wenn spannend generiert, zum Freund. Und vermehrt sind Frauen aktiv.

COLLEEN aka Cécile Schott ist eine 26-jährige Pariserin und »Everyone Alive Wants Answers« (Leaf/Soul Seduction) ein betörendes Debütalbum, wo Vibraphone, Toy Piano, Akkordeon oder Glöckchen sacht den Ton angeben, aber elektronischer Zierrat gleichberechtigt beigemischt wird. In den simple-naiven Instrumentals geht es nie um den Effekt, sondern um die Entfaltung einer etwas melancholischen Grundstimmung, die einen ganz schön gefangen nehmen kann. Definitive Herbst-CD! Könnte auch zu »Everything Else« von ANNE WESTPHALEN (http//sue.mi.cz) gesagt werden. Minimal, moody, sleepy, housy, slow. Die Berlinerin verweist im etwas weniger smoothen Opener »Gleisdreieck« auf ihre Debüt-LP »Of Loops And Quotes«, wo sie Interview-Samples junger Frauen für die Künstlerin Justin Kurland, die das großartige Coverfoto beisteuert, verarbeitete. Groovigeren Click-House offeriert CLAUDIA BONARELLI. Die Schwedin taucht mit »May 68« (www.notype.com), auf transparentem 10″-Vinyl in schwüle, funky Gefilde. Todd Books alias BOOKS ON TAPE, ebenfalls auf No Type, beschreibt seinen Stil als »Beatpunk«. Der Titeltrack »Hey Typical!« mit seinen Schneidbrenner-Loops, bösen Glocken, verwackelten Rumpelbeats und nervigem Keyboardssample ist ihm extrem spannend geraten. Auch das Konzept zu MARC MARCOVIC??? »Ein Lied« (www.feinraus.org) geht auf. Ein mit spanischem Odeur versehener Song erhält durch Remixe von Christian Kleine (Musique à la Morr), Si-Cut.DB (Clickhouse goes iberische Halbinsel), Rechenzentrum (intelligent Beats) und T.Raumschmiere (Electroclash-like) Drehungen und Wendungen. Somit naheliegend: Shuffle lässt sich mittlerweile ins Deutsche deuten und »Schaffelfieber 2« (Kompakt/Ixthuluh) verströmt erneut lässig hüpfende Tracks, die sich, wie DJ Hans Kulisch beim letzten Vienna Summer Soirée von Delhi Delights bewies, auch gut mit indischen Sounds mischen. Vom angerockt technoiden »Bodyrock« der Wighnomy Bros+Robag Wruhme über getragenere Formate wie jene von Superpitcher bis zu T.Raumschmieres erotischem Komeit-Remix »3 Hours«. Und Node 1 klingt gar pinkfloydesk. Anders als im Blues schüttelt die Techno- bzw Techhouse-Shuffle der Bass und 72 Minuten vergehen sehr kurzweilig. Auch nicht ohne: 42 min T.TRAUMSCHMIERE. »Radio Blackout« (Novamute/Virgin) sucht nicht sein Heil in ewiger Tempobolzerei. Zwar ist rasender Punkelectro ebenso drin wie diverse Techno-Rock-Andockmanöver, doch sind auch gemütliche Stomper wie »Querstromerzeuger« dabei. Das Zeichentrickvideo zu »Monstertruckdriver« (vier Bonusvideos auf CD) ist ganz okay, aber es reicht, zum genialen Glamtechnoriff abzutanzen. Großartig auch der digitale Shufflepunk mit Miss Kittin, der noch von atypischem Elektronik-HipHop mit MC Soom Ts geschmeidigen Raps (siehe weiter unten) geschlagen wird (»A Million Brothers …«).
»Narcophony« (www.0101-music.com) von den Franzosen ERIC ALDEA/IVAN CHIOSSONE ist ein gewaltiges Werk, das mit einem 11-köpfigen Ensemble eine wunderschöne Melange aus zeitgenössischer Elektronik und klassischer Besetzung (feat. Oud, Klarinette, Querflöte) zuwege bringt. Im Zentrum: »Petit Buddha«, eine Adpation von Nurse With Wounds »Spiral Insana«. Wie hier Maschinensounds und Streicher ineinandergreifen, ist superb. MINAMO, ein Quartett aus Tokio, tönt ähnlich »Beautiful« (www.staartje.com/www.mdos.at). Unter weich geschlagenen Akustikgitarren mäandern noisige elektronische Texturen, die diese sanft umwickeln. Epische, teils Weltraumassoziationen weckende Soundscapes verwöhnen zum dröhnigen Träumen an flirrend-heißen Sommertagen. Verschlafen geht???s weiter auf dem holländischen Label Apestaartje: Auf »Anomia« gesellen sich zu Gitarre und Electronics noch vereinzelt Piano, Cello, Akkordeon, Klarinette und vermehrt Tapeloops und Field Recordings. Knifflig verschlingt ANDEREGG Soundüberlagerungen, die sich zu beschaulichen melodietragenden Tracks auswachsen. Mantraartiger tönt »Twaalfde Mixer« (info@stichtingmixer.nl) von JOE COLLEY (auch: Crawl Unit). Auf dem Do-7″-Vinyl werden »8 phased loops« meisterhaft eingeblendet, cross- und weggefadet. Die Sounds mahlen am Stand und der Reiz dabei sind die Drones, die Unter- und Obertöne freilegen. Bedrohlicher mahlen TEXTURIZER (www.antifrost.gr). Nikos Veliotis (cello) und Coti K. (el) klingen, als ob sie in einer Athener Fabrik malochen müssten. Drones, die wie Maschinen summen, sind auf der selbstbetitelten CD das pulsierende Element. Auf einer ähnlich gelagerten Ästhetik beruht »All Your Dreams Are Meaningless« (www.notype.com) von COIN GUTTER. Das kanadische Duo lässt darauf kurzfristig Lärm erblühen, jedoch sind das nur Spitzen im sonst behäbig-zähen Maschinen-Maelstrom. Einen solchen Rahmen sprengt 87 CENTRAL. »Formation« (www.staalplaat.com) birgt weit ausladende, wieder mal in Galaktiken abdriftende Soundmaterialien vom no-input Mixer, computer models of feedback systems, field recordings und Gitarrensamples von Dan Armstrong. Jeff Carey ist 87 Central und ist dann am besten, wenn er noch ganz gemeine Bassexperimente à la Stavöstrand drunterstreut. Den Fakt, dass immer mehr abstrakte Clickdub-Acts sich den Roots zuwenden und gern auch MCs beschäftigen, bestätigt BUS aus Berlin. Daniel Meteo (vom Dub-Label Meteosound) und Tom Thiel (Ocean-Club-Member) zeigen sich auf »Middle Of The Road« (www.scape-music.de/Indigo/Hausmusik) dubreggaeinfiziert, und klingen oft nicht elektronisch, sondern authentisch street. Was wohl am Gastspiel von MC Soom-T (vom Monkeytribe Glasgow) liegen mag. Die Schottin rappt mit girlish-smoothem Sprechgesang (ohne Lady-, Bitch- oder Riotrolemodel sein zu wollen) über ihr Leben und stellt sich damit der Realität (»Don’t Be Afraid To Cry«), die Weinen, aber kein Jammern zulässt: »Keep Life Right«!

favicon

Home / Musik / Review Collection

Text
Alfred Pranzl

Veröffentlichung
28.09.2003

Schlagwörter

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen