Mars Williams »Moments Form«
Mars Williams »Moments Form«

Death of Impro

Eine kurze Rundreise durch Neuerscheinungen aus der Impro-Music, natürlich ohne Regeln und ohne Gewähr. Mit CDs von Paranoiz, Ingrid Schmoliner, Christoph Erb, Barrel, Mars Williams, Ingebrigt Håker-Flaten, dem Ftarr-Label und der About Group

Improvisationmusik finde sie eigentlich nach wie vor am spannendsten, erzählte mir unlängst Mia Zabelka in einem Interview. Und ich murmelte so halb in meinen Bart als Einspruch, ja, live eingespielt durchaus, als knisterndes Black-Box-Erlebnis für das Publikum kann Impro-Musik wirklich beglücken. Aber auf Konserve gepresst, na, ich weiß nicht. Pro Jahr erscheinen Dutzende CDs mit reiner Improvisationsmusik und oft genug ist es so, dass diese Stücke allzu klassisch mit einem dissonanten Eröffnungsrülpser beginnen, auf das den stets ein atonales Herumgeschnüffle folgt. Wie kleine Kinder oder junge Hunde bespuckt man sich mit zickigen Noten, steigert sich in quasi-hysterische Episoden hinein, bis man wieder voneinander lässt und abschlafft, musikalisch keuchend wie ein Boxer in den Seilen. Eine Zeitlang liegen alle Musiker in der sphärischen Hängematte, bis es dem einen oder anderen wieder zu lasch, zu fad, zu bunt wird. Hin und wieder stellt sich dann eine synchrone Asymmetrie ein oder ein fast telepathischer Effekt oder man beschließt den Rest des halbstündigen Stücks ein pizzicato-Wettrennen zu veranstalten. Es läuft nur dann anders, wenn zusätzliche Elemente (»Dein Name sei Laptop«, sprach der Herr zum Teufel) hinzugefügt werden, die den Flug der Virtuosität unterbinden oder zumindest herzhaft mobben. Oder wenn ganz andere ästhetische Vorstellungen Eingang finden.

Live vom Tiroler artacts Festival
alison_blunt.jpgAls absolut klassische Fingerübung in dieser Hinsicht ist etwa »Live at artacts 12« von Barrel anzusehen, wenn auch mit einem in fast jeder Hinsicht positivem Ausgang. Hinter dem Namen Barrel verbirgt sich die Violonist Alison Blunt, die Cellistin Hanna Marshall und Ivor Kallin an der Viola. Ein klassisches Streichtrio also, was vielleicht schon die halbe Sympathiemiete ist, denn das live beim Tiroler Festival artacts 2012 eingespielte Hauptstück »If it could speak, it would sound no different« funktioniert zwar komplett nach dem oben beschriebenen Bauplan, aber weil die Besetzung permanent die Assoziation eines außer Rand und Band geratenen Streichtrios erzeugt, befriedigt die Einspielung auf ganzer Linie – abgesehen davon, dass alle drei MusikerInnen in fast traumwandlerischer Weise miteinander agieren, weswegen der eher großkotzige Titel völlig in Ordnung geht. Genialer Impro-Smalltalk eines Streichtrios. Zum Hinknien.

Ebenfalls eine Einspielung vom artacts Festival 2012 präsentiert die CD »Moments Form« mit Saxophonist Mars Williams, Bassist Ingebrigt Håker Flaten und Drummer Tim Daisy. »Moments Form« ist praktisch der jazzige Zwillingsbruder zu »Live at artacts 12«, weniger verschroben und experimentfreudig, dafür auf Hochdruck gespielt, fast durchgepeitscht, und in Summe mindestens ebenso hochklassig. Aber nichts anderes erwartet man auch von dieser Besetzung. Ingebrigt Håker Flaten ist als Bassist von The Thing ohnehin einschlägig bekannt und Mars Williams gehört zu den profiliertesten Musikern der amerikanischen Jazzszene. »Moments Form« ist definitiv eine CD, die Jazz- und Improfans versöhnen mag.

Noise and beauty
paranoiz.jpgEinen ganz anderen Weg beschreiten die drei Ungarn Kálmán Pongrácz (Laptop), Krisztián Bartha (Drums) und Gábor Tóth (diverse Elektronik). Ihre ebenfalls etwas großkotzig mit »The Rules Of Free Improvisation« betitelte und im Eigenverlag erschienene CD ist nämlich ein astreines Noisegetöse. So geht es natürlich auch, einfach die Live Elektronik auf voller Lautstärke krachen und grammeln lassen, dazu ein launiges Schlagwerk, schon klingt es nach sophisticated noise. Trotzdem schön, dass Impro auch so klingen kann. Das Trio der österreichischen Pianistin Ingrid Schmoliner versucht ebenfalls »Impro mit dem gewissen Etwas« hinzubiegen. Auf »Watussi«, gemeinsam mit Saxophonist Joachim Badenhorst und Bassist Pascal Niggenkemper gelingt das abschnittsweise ganz gut, vielleicht auch deswegen, weil Badenhorst ein wenig den Jimmy Giuffrie raushängen lässt. Wir hören Impro-Musik, die zugänglich, stimmig und eher introspektiv als expressiv ist. Das gelingt fast noch besser auf »para-ligo«, einer weiteren CD von Ingrid Schmoliner, aber mit Thomas Stempkowski am Bass und Elena Kakliagou am Flügelhorn, auf der sich einige wirklich beglückende Momente einstellen. Allerdings: Wenn ich die Wahl hätte zwischen den dezenten, hingetupften Vokalpassagen von Elena Kakliagou auf »para-ligo« und der eher manierierten Vokalartistik von Frau Schmoliner auf »Watussi«, ich würde ehrlicherweise der Griechin den Vorzug geben. Aber das ist vermutlich vor allem Geschmackssache.

Komplett nach dem oben beschriebenen Impro-Kochrezept funktioniert »Feel Beetrr« vom Schweizer Saxophonisten Christoph Erb, eingespielt gemeinsam mit Kornettisten Josh Bermann und Fred Lonberg-Holm an Cello und Gitarre. Die auf dem Schweizer Label Veto Records erschienene CD präsentiert großartige Musikalität und Virtuosität, die aber letztlich nur selten zu überraschen vermag. Bei allem Respekt vor Erbs Können, das hier ist impro as usual.

Fernöstlich durchgeknallt
statestate.jpgGanz und gar nicht nach üblichem Baumuster funktionieren die Releases des Japanischen Ftarri-Labels, die aber auch nur zum Teil ins Impro-Fach hineinspielen. Zum größeren Teil sind wir hier ganz in der radikalen Elektroakustik, allerdings mit wirklich explizit fernöstlichen Einschlag. Stille und Auslassung sind hier ebenso Thema wie die Patina eines Tones. Und wer beim ersten Hinhören nur Verweigerung und Sperrigkeit hört, hat vielleicht nicht die richtigen Antennen, um auch Zwischentöne wie eine schüchterne Fragilität oder gar eine heitere Sturheit zu hören. So etwa auf »Ykutojin«, eingespielt von Katsura Yamauchi am Altsaxophon und Toshimaru Nakamura am »no-input mixing board«. Fast unhörbare Momente der Sammlung explodieren in eine elektroakustische Verzerrungstektonik. Das ist streckenweise so abgehoben und sperrig, dass es einem die Ohren verbiegt. Ähnliches gilt auch für »State, State, State« von Katsuyoshi Kou (Gitarre) und Satoshi Hironaka (Drums). Aus einem derartigen Duett könnte man alles Mögliche machen, aber Kou und Hironaka performen derart gegen den Strich, als würden sie den Ausflug einer Kinderklasse ins Technische Museum nachstellen. Wir hören herunterfallende Magnetnadeln und das diskrete Knistern von Elektrospulen. Und weil’s so schön ist, darf hier auch gleich noch »Messier objects« vom selben Label vorgestellt werden. Erneut treffen wir auf Toshimaru Nakamura, aber dieses Mal mit dem Tschechen Ivan Palacky, der Deutschen Andrea Neumann und dem Österreicher Klaus Filip (Filip wird auf der Label-Website übrigens als Australier geführt). Die beiden Tracks wurden aufgenommen in Prag und in Wien, bei letzterer Aufnahme saß Christoph Amann am Mischpult. Wem die beiden CDs zuvor zu einschlägig waren, wird mit diesem Brückenschlag zwischen europäischer und japanischer Musik bzw. zwischen Elektroakustik und Impro-Musik wohl eher glücklich. Eine unterseeische Elektrosphärik schluckt hier viele zickige Unarten der Improvisationsmusik, zum entspannten Zurücklehnen ist das Resultat natürlich trotzdem nicht.

Rock the Impro
about_group.jpgUnd weil es die ganze Zeit schon darum ging, Impro-Musik zu präsentieren, die dem Genre neue Facetten abseits der üblichen Zufallschemie abzugewinnen, muss auch noch »Between The Walls« von der About Group hier reingequetscht werden. Erschienen ist das Teil auf Domino Records, ein britisches Label, das zuletzt Franz Ferdinand oder Tricky unter Vertrag hatte. Wir sind also ganz woanders hier, eigentlich tief im Mainstreamrock, der aber offen in alle Himmelsrichtungen ist, aber auch kein Wunder bei dieser Herkunft. Wir hören John Coxon aus der Dance-Szene, Hot Chip-Sänger Alexis Taylor, Jazz- und Impromusiker Pat Thomas und den Experimentalmusiker Charles Hayward. Diese Vier haben sich einfach ins Studio gesetzt und frei improvisiert, bis daraus ein Song entstand. Auf Platte haben sie aber die Impro-Teile nicht einfach wieder weggeschnipselt, sondern diese zum Teil belassen, während die Songs weiter glattgebürstet wurden. Das hat den Effekt, dass zum Beispiel der Einstieg eine großartige Rock-Impro ist, aus der dann der berühmte Aretha Franklin (bzw. The Stranglers) Klassiker »Walk On By« hervortaumelt. Ein Glücksmoment, ehrlich. Gestrenger Weise muss man aber sagen, dass die Impro-Passagen meist ansprechender sind als die doch etwas verkitschten Allüren von Sänger Taylor. Trotzdem ein mehr als hörenswerter Brückenschlag.

Barrel: »Live at artacts 12« / Idyllic Noise
Williams, Håker-Flaten, Daisy: »Moments Form« / Idyllic Noise
www.lotusrecords.at

Paranoiz
: »The Rules Of Free Improvisation« / Selfrelease

Schmoliner, Badenhorst, Niggenkemper: »Watussi« / Listen Closely
Kakaliagou, Schmoliner, Stempkowski: »para-ligo« / Creative Sources

Berman, Erb, Lonberg-Holm: »Feel Beetrr« / Veto Records

Nakamura, Yamauchi: »Ykutojin« / Ftarri
Kou, Hironaka: »State, State, State« / Ftarri
Filip, Nakamura, Neumann, Palacky: »Messier objects« / Ftarri

About Group: »Between The Walls« / Domino Records

Home / Musik / Review Collection

Text
Curt Cuisine

Veröffentlichung
22.11.2013

Schlagwörter

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