chuzpe.jpeg
Chuzpe

»1000 Takte Tanz«

Cien Fuegos

»Lernen Sie Geschichte!«, feixte einst ein heimischer Staatsmann – ob in prophetischer Eingabe angesichts boomendem Popkultur-Revisionismus unserer Tage oder doch eher als populistische Geste sei einmal dahingestellt. ?ber die vorliegende Platte gäbe es allerdings wirklich viel zu sagen. In gebotener Kürze: Als im Jänner 1982 die Chuzpe-LP »1000 Takte Tanz« erstmalig in die Läden kam, hatte die »österreichische Punk-Band der ersten Stunde« (eine damals gängige Einschätzung) bereits vier Jahre im Vakuum einer nahezu non-existenten Wiener Szene überlebt und allerhand Besetzungs-, Image- wie Stilwechsel vollzogen, immer wieder Fans vergrault und gleichzeitig stets ein Zigfaches davon dazu gewonnen. Die »formidable Formation Chuzpe« (Eigendefinition der Band) hatte sich von einer ruppigen Wirtshaus-Karikatur der Ramones hin zum anerkannten Ü3- Darling und gefeierten Aushängeschild des heimischen New Wave gemausert. Dementsprechend medial ernst genommen, waren die Kritiken zwar durchwegs wohlwollend, aber selten hymnisch: »Tanzmusik, fast ausschlie&szliglich in Deutsch, die vom Punk weit entfernt ist«, urteilte etwa die Tageszeitung »Kurier«. Doch Markus Spiegels Erfolgslabel GiG (kaum zu glauben: In den Jahren vor »Rock Me Amadeus« noch ein waschechter Indie auf dem österreichischen Plattenmarkt) schaffte es, dank starker Fan-Basis mühelos, 2.500 Einheiten der LP zu verkaufen und so nahmen die Dinge ihren Lauf: Mit weiteren Besetzungs-, Image- wie Stilwechseln prägten Chuzpe noch bis in die frühen 1990er-Jahre die Entwicklung der österreichischen U-Musik und wurden schlie&szliglich Legende … Anno 2011/12 scheinen sich in Chuzpe-Belangen die guten Kräfte wieder gesammelt zu haben, wie schon kürzlich die liebevoll gemachte Repro der unveröffentlichten Debüt-Single (»Nervengas/Kopfschüssler« auf Luziprak Records) und eine Unreleased/Rarities- Schnellschuss-Compilation (»Anarchy Bla Bla«, erschienen beim italienischen Collector- Label Rave Up) zu vermitteln mochten. Anlässlich des 30-Jahr-Jubiläums seiner Veröffentlichung hat das Wiener Vinyl- Liebhaber-Label Cien Fuegos nun auch endlich das seinerzeit unterschätzte, über die Jahre zum gesuchten Kultobjekt gewordene Album »1000 Takte Tanz« in einer ansprechenden 180-g-Pressung neu als Vinylscheibe aufgelegt. Eine feine Sache, die schon mit der Wiederveröffentlichung der seltenen Hotel Morphila Orchester-LP gefeiert werden konnte und – wie man so hört – noch mit weiteren Re-Releases rarer 1980er-Austro-Erzeugnisse ihre Fortsetzung finden soll. Ein Fest: Schon bald werden Teenager in New York, Paris und Tokyo zum »Rhythmus dieser Stadt« tanzen und in phonetisch nachempfundenem Phantasie-Üsterreichisch Songs wie »Zu klug für diese Welt« und »Tote Körper tanzen anders« anstimmen. Diese Sache mit dem Geschichtelernen entpuppt sich als gro&szliger Spa&szlig!

favicon
Nach oben scrollen