© David Rinehart
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Zunehmende Leistungsfähigkeit der Selbstzerstörung

Und noch eine Textschatzhebung aus und zu 30 Jahren skug. Wolfgang Fadi Dorninger konversiert in skug #3 mit Mark Pauline von SRL (Survival Research Laboratories) über sozio-politische Satire, manipulative Mechanismen u. v. m.

30 Jahre Musik- und Kulturjournalismus. 25 davon als Printmagazin. In den letzten drei Dekaden skug hat sich einiges an interessanter Berichterstattung angesammelt, viele Artikel sind Zeitzeugen der (Pop-)Geschichte und manche davon nur in unserem Magazinmagazin zu finden (die Hefte kann man übrigens nach wie vor in unserem Shop erwerben). Zum 30. Geburtstag haben wir es uns deshalb zur Aufgabe gemacht, monatlich ein solches Zeitzeugnis aus den Tiefen des Archivs in die Weiten des World Wide Web zu transferieren. Wolfgang Fadi Dorninger brachte seinerzeit als skug-Herausgeber und -Redakteur Performance und Politik mit ein. Hier ein Gespräch mit Mark Pauline, Motor der visionären Survival Research Laboratories, erschienen in skug #3, anno 1991. SRL stehen übrigens seit 1979 für »dangerous and disturbing mechanical presentations« und sind heute nach wie vor aktiv, kommende Shows finden sich auf der Website.

Originaltext in skug #3, 1991

Survival Research Laboratories
Wolfgang Dorninger im Gespräch mit dem SRL-Gründer und Chefideologen Mark Pauline am 20. Jänner 1991 in Barcelona.

»SRL provides a rich, multi-sensual experience with unquestioned power to probe the backbrain and singe the emotional keyboard. If art as well as science can assist in the evolution of the human species, perhaps the art of SRL, with its black-humored, surrealistic frenies of demolition, devastation and doom, can hasten the evolution of the human psyche toward that plateau of permanent overview, where intraspecies human versus human violence ceases to be the source of humor and entertainment.« V. Valle and Andreas Juno, Editors Re/Search Publications S. F.

Die einzigen Akteure bei den Aufführungen von Survival Research Laboratories (SRL) sind Maschinen. Die Gruppe tritt nur als Personal auf, steuert die Aktion per Remote-Control und inszeniert den Ablauf. Die Maschinen sind präzise entworfene und verarbeitete sardonische Aufhebungen ihrer früheren Wirkungsweisen, die im selbstgestalteten Mikrokosmos der Maschinenperformance als Kunstform die Ordnung des Menschen als Herr über die Welt durch die Dominanz von mechanischen Errungenschaften oder nicht-menschlichen Systemen umkippt. In den Maschinenperformances von SRL dienen das Nicht-Rationale und das Absurde als die Grundlinie für jedwede Aktivität. In der Vergangenheit musste sich SRL mit Kritiken auseinandersetzen, »War Games« zu inszenieren, per Computer und Fernsteuerung Maschinen aufeinanderprallen zu lassen. Eine Übertragung auf gegenwärtige Zustände im Sinne sozio-politischer Satire, wie SRL ihre Performances verstehen, wurde der Gruppe abgesprochen.

SCUD versus Patriot als Schauspiel am Himmel über Dhahran ermutigte Militärs, vom Krieg ohne Opfer zu schwärmen, so zu tun, als habe er bloß auf dem Bildschirm stattgefunden. Das ist politische Satire. Der Krieg als Computerspiel ist Realität geworden, genau zu jenem Zeitpunkt, als SRL Vorbereitungen für ihre neueste Performance »The Coreless Abuse Of Premeditated Uncertainty« zur Art Futura in Barcelona trafen. Thematisch handelt die Performance vom Gebrauch von Techniken, welche von Werbefachleuten entwickelt wurden und von der US-Regierung eingesetzt werden, um Situationen zu schaffen, in denen die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen manipuliert werden, damit sie ruhiggestellt werden. »Bei einer Aufführung von SRL siehst du alles, die Mechanismen sind verfolgbar, das Publikum ist vom Aufbau bis zum Ende in eine Erfahrung auf einer multi-sensuellen Wahrnehmungsebene miteingebunden.« (Mark Pauline)

Titel wie »A Bitter Message Of Hopeless Grief« (1987), »From Delusions Of Expediency: How To Avoid Responsibility For Social Disintegration By Acting Without Principle Under The Pretenses Of Utility« (1987), »From Deliberatly False Statementes: A Series Of Tricks And Illusions To Expose Shrewed Manipulations Of Fact« (1985) oder »Failure To Discriminate: …« (siehe Poster) thematisieren die nonverbalen Aufführungen. In einer Epoche der Anpassung und Entfremdung bestimmen Erfahrungen und Informationen, erzeugt und gefiltert, unser Leben. Hoher Lebensstandard als Tranquilizer stört unsere Wahrnehmung, hindert uns, Gestaltungs- und Verantwortungsprinzipien zu entwickeln, Systeme und ihre Wirkungsweisen auszuloten. SRL erforschen die Metaphorik des Überlebens mittels Maschinenaktionen. Sie operieren bis an die Grenzen unserer Wahrnehmung, mobilisieren unsere Sinne und erzwingen Auseinandersetzung, forcieren systemanalytisches Handeln.

Originaltext in skug #3, 1991

SRL wurde 1979 von Mark Pauline in San Francisco gegründet, 1981 trat Matt Heckert der Gruppe bei, 1983 (?) Eric Werner. Werner verließ 1988 SRL, Heckert 1989. In San Bruno, einem Stadtteil des nicht auf Postkarten gezeichneten Bildes von San Francisco, bezog SRL Quartier. Die Nachbarschaft großer Industrieanlagen förderte, ebenso wie der Ölschock, die Aktivitäten, da billiges Material, Maschinen und Werkzeuge durch pleitegegangene Industrien in Überfluss vorhanden waren. Für ihre präzise choreographierten Shows bevorzugen SRL nichtpublikumsbezogene Orte, wie riesige Industriehallen, Parkplätze, Hafengebiete oder Hangars. Intensive Auseinandersetzung mit deren Wirkungsweisen beeinflusst den inhaltlichen Ablauf der Performances wie auch die Thematik.

skug: SRL-Shows besitzen für das Publikum eine enorme Anziehungskraft. Es ist so nah am Geschehen, das sämtliche Sinne fesselt, und dabei doch so sicher, dass es den Mega-Kick fordert.
Mark Pauline: Ich denke, dass die Menschen unsere Entwicklung in einer vielschichtigen, intelligenten Weise sehen und nicht bloß in einer Steigerung, größer und gewaltiger zu werden, als unterschiedliche Inhalte innerhalb der Struktur zu entwickeln. Es liegt in der Natur von SRL, Technologien zu benutzen und zu konstruieren, die tausende Möglichkeiten besitzen. Es gibt Technologien für praktisch jedes Geschehen und so vieles, was wir noch gar nicht erschlossen haben. So wie ich die Zukunft für SRL sehe, befinden wir uns auf einem Expansionskurs hinein in verschiedene technologische Gebiete, nicht aber in jenen Bereich Funktionierendes aufzublasen. Du musst die Vorteile deiner Fähigkeiten benützen, wie sie sind, aber das bedeutet noch lange nicht, diese in einer einseitigen Sicht der Dinge zu verwenden. SRL ist ein breitgefächertes Ding und dementsprechend hat sich auch unsere Organisation verändert. SRL betreibt ein »electronics department«, ein »high energy physics department«, ein »mechanics department« und ein »set department«. Diese Struktur ermöglicht es, flexibel genug zu sein und verschieden gestaltete Shows aufzuführen, da jeder Ort seine Regeln, Qualitäten und Einschränkungen mit sich bringt. 

In welchen technischen Bereichen forcieren SRL anno 1990/1991 ihre Entwicklungen?
SRL arbeitet intensiv im Bereich »high energy physics« und wir haben einiges Equipment von »Star Wars experiments«, wie elektromagnetische Waffen, gebaut. Greg Leyh arbeitet gerade an einem häuserblocklangen Laser in Stanford, wo er Chefingenieur ist. Er liebt es, extrem große elektrische Maschinen zu konstruieren, und wir haben mit ihm die zurzeit größte »Tesla coil« der Welt gebaut. Weiters bauen wir zusammen eine »high energy capacitor« Maschine, denn er ist wirklich der Ingenieur, der bestens über Physik Bescheid weiß. Im »electronics department« treiben Raymond Drewry – er ist so etwas wie unser Chefprogrammierer – und sein Team die Arbeit am Computer voran, wo sie neue Möglichkeiten zur Steuerung von Maschinen entwickeln. Wir forschen auch verstärkt im Bereich Akustik, genauer gesagt an »sound weapons« basierend auf Erfahrungen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren gesammelt wurden, als man die Erforschung und Entwicklung in diesem Bereich vorantrieb. Wir haben tatsächlich eine der ganz großen akustischen Maschinen, die V1 gebaut. Verstärkt arbeiten wir in neuen Bereichen, um das Interface zwischen Maschine und Mensch um einiges einfacher zu gestalten, und wir werden dieses Jahr vielleicht schon bei der Ars Electronica Terra-Novatex-Systeme für die größeren Maschinen haben, da diese am schwersten zu kontrollieren sind. So haben wir die direkteste Verbindung zwischen Operateur und Maschine, was eine subtilere, für die Performance interessantere, mit mehr Möglichkeiten ausgestaltete Bedienung erlaubt. Scott Fisher und sein Team sind uns eine große Hilfe, da sie an dieser Problemstellung interessiert sind. (zu Scott Fisher siehe Ars Electronica Katalog 1990).

In welche Richtung steuert SRL auf Grund dieser Entwicklungen?
Wir arbeiten gezielt in drei Richtungen. Erstens versuchen wir, dass einige Maschinen vollkommen eigenständig operieren. Zweitens, dass einige Maschinen für den Operateur exakter zu steuern werden. Drittens arbeiten wir an »kind a more magic machines«, wie die V1, die beim Publikum unterschwellige Reaktionen hervorruft, denen man sich schwer entziehen kann. Die V1 versetzt z. B. den Körper in Vibration und löst Gefühle wie Beklemmung und Konfusion hervor.

SRL ist also zu einer Organisationsform gelangt, in der Spezialisten ortsunabhängig vom SRL-Store in San Francisco an Entwicklungen arbeiten.
Die meisten Mitarbeiter arbeiten im SRL-Store, aber einige arbeiten während ihrer beruflichen Tätigkeit für uns. Richtige High-Tech-Profis, die besonders hier an der Westküste weit außerhalb üblicher Arbeitssituationen stehen, da die Industrie ihre Fähigkeiten, weit über das Maß kreativ zu sein, benötigt, und dafür werden sie auch bezahlt. Manche nehmen sich bei ihren Firmen frei, um an einer SRL-Show mitzuarbeiten, und werden während dieser Zeit von ihren Firmen dafür auch noch bezahlt. Obwohl manche in ihren eigenen Firmen für SRL entwickeln und konstruieren, hat sich der SRL-Store flächenmäßig so gut wie verdoppelt.

Im September 1991 werden SRL zum ersten Mal in Österreich gastieren, bei der Ars Electronica in Linz (VÖEST Gelände) und zwei Wochen später im Hof der Akademie am Schillerplatz in Wien. Auf ihrer ersten Europa-Tour 1988 traten SRL zweimal in Amsterdam auf und einmal in Kopenhagen. 2.500 Zuseher verfolgten die Aufführung mit dem Titel »Plan For Social Improvement« auf einem Pier im Hafen von Amsterdam. Permanenter Regen behinderte die Gruppe bei den Aufbauten maßgeblich und dennoch konnte die Veranstaltung planmäßig durchgeführt werden, wenngleich Abstriche vorgenommen werden mussten. Eine reduzierte Aufführung in einem Amsterdamer Theater vor dem Hafenevent demonstrierte, wie flexibel die Gruppe auf reduzierter Fläche ihr Konzept umzusetzen vermag. Einen Tag nach ihrer Show im Hafen kam es in der Nachbarschaft zum Pier zu Ausschreitungen zwischen Polizei und Hausbesetzern, als diese ein besetztes Haus räumen wollten. Einige »Yellow Press«-Magazine suggerierten ihrer Leserschaft, dass eben jene Aufführung die Jungend aufgeheizt hätte. In Kopenhagen trat eine mit ausreichend Budget ausgestattete Organisation mit Unterstützung der Stadtverwaltung als Veranstalter auf.

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»They did not even blink an eye, no matter what we did – also when they saw how intense it was going to be. Everyday press was hyping it up, kind of like making direct references, that we were kind of poking little fun at their culture in a pretty serious way. For us it was really interesting to perform in a country where everything looks to be even distributed (money, education) and people live in this self-content way of life.«

Trotz aller Probleme kehrte die Gruppe Europa nicht unbefriedigt den Rücken, auch wenn zwei Aufführungen in England kurzfristig abgesagt wurden und die Kosten der Gruppe über den Kopf wuchsen. Das SRL-Team vergrößerte sich nach der Rückkehr wesentlich und einige Mitarbeiter mit exzellenten Fähigkeiten eröffneten neue Bereiche. Die darauffolgenden vier Aufführungen in den USA übertrafen sämtliche Zielsetzungen und so kam SRL im Jänner 1991 motiviert nach Barcelona, um das Stück »The Careless Abuse Of Premeditated Uncertainty“ aufzuführen.

Mark Pauline: Wir mussten bei unserer Ankunft in Barcelona feststellen, dass die Verantwortlichen auf SRL nicht vorbereitet waren, um jene Voraussetzungen zu schaffen, die wir brauchten. Dem Veranstalter unterliefen einige taktische Irrtümer, die ich sogar verstehen kann, denn der Umstand, dass es so etwas wie SRL gibt, bedeutet noch lange nicht, dass die Gesellschaft dort, wo wir auftauchen, unsere Arbeit versteht oder akzeptiert. Unsere Arbeit ist durchaus nicht konform zu den Konventionen, die in einer Gesellschaft vorherrschen. Üblicherweise werden Projekte wie SRL über die Jahre zahmer und anpassungsfähiger. Wir haben uns für das Gegenteil entschieden. Mit einer Woche Verspätung konnte die Show auf einem Ausweichgelände, welches der Gruppe wie auch dem Veranstalter geeigneter erschien, stattfinden.

SRL performen bei der Ars Electronica in Linz im September 1991. Bei der Ars Electronica 1990 hast du einen Vortrag zum Thema »Technologie und das Irrationale« gehalten wie auch das Aufführungsgelände begutachtet.
Wie immer werden wir auch in Linz Probleme aus dem Weg räumen müssen, und zwar in Bezug auf den Ort, die Situation und die herrschenden Umstände. Aber ich denke, dass in einem Land wie Österreich Dinge geradlinig, direkt verlaufen und dass uns niemand Hindernisse in den Weg legen wird, hervorgerufen durch fehlende Kommunikation oder Desinteresse seitens der Veranstalter. Die Verantwortlichen wirken geradlinig, und die Vorbereitungen entwickeln sich bislang in berechenbarer Weise.

Werdet ihr auf die unmittelbare Umgebung wie auch die historische Situation eingehen?
Natürlich interessiert uns das Umfeld, in welchem unsere Show stattfindet, wie die VÖEST, aber auch Linz als geplantes Hauptquartier des Tausendjährigen Reiches. Unsere Arbeit wird in irgendeiner Weise thematisch Bezug nehmen auf die Geschichte der Stadt, der VÖEST, aber nicht schwerpunktmäßig, denn wir werden auch auf weltpolitische Veränderungen eingehen. Die politischen Wirren im Osten wie auch die Situation Europas kann man nicht ignorieren und die eigene Arbeit davon losgelöst sehen. Selbst wenn wir politische Geschehnisse ignorieren, leben diese Ereignisse im Bewusstsein der Menschen weiter und reflektieren das natürlich auf unsere Arbeit. Wir überlegen uns wirklich, wie Maschinen eine Geschichte erzählen können, die Sinn ergibt, den Menschen anspricht und Reaktionen auslöst. Die Voraussetzungen in Linz scheinen uns dafür gut.

Das Thema zur ARS 1991 ist »out of control«.
Ja, ich denke, dieses Thema besitzt große Bedeutung. Ich selbst beschäftige mich schon sehr lange mit dieser Problematik. Unsere Aufführungen handeln mitunter auch von der zunehmenden Leistungsfähigkeit der Selbstzerstörung, da jede technische Neuerung neue Unfälle mit sich bringt, zumeist größere. Es ist keine Frage von wie vorsichtig du bist und welchen Vorsatz du hast, denn es ist auch stets etwas in deinem Hinterkopf, das dich veranlasst, bewusst das Falsche zu tun. Die Dynamik dieser Art von Fehler wird definitiv darüber entscheiden, was mit unserer Zukunft passiert, da wir uns immer mehr zu einer technologischen Gesellschaft entwickeln. Wir müssen uns auch davor fürchten, dass Menschen sich nicht darauf einlassen wollen, die Mechanismen, die hinter diesen Entwicklungen stehen, begreifen zu wollen. »The will of population expressed through technology – inadvertently, that’s not an accident.«

Danke für das Gespräch und alles Gute!
Danke und noch etwas – wir brauchen Unterstützung. Leute, die sich etwas zutrauen und die an unserer Arbeit interessiert sind, um am Aufbau mitzuwirken. Geld können wir nicht bieten, aber interessant wird es sicher werden. Die Leute sollen selbständig sein und Freude daran haben, sich auf uns einzulassen.

Ars Electronica Linz, SRL-Show am 10. September 1991, Kontakt: Ars Electronica, Postfach 57, 4010 Linz; voraussichtlicher Auftritt: Akademie der Bildenden Künste Wien, Schillerplatz am 18. September 1991

Link: https://www.srl.org/

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