© Sabina Holzer
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All is full of Alu

Unser täglicher Existenztanz zwischen Alltag und Alptraum: »aluminium worlding« von Sabina Holzer in Form der Performance »which zones« am 15. und 16. Juni 2023 im Tanzquartier Wien wie auch in Form einer Publikation mit dem Titel »which dances – which writes. Aluminium Assemblagen«.

Täglich werden 60 Millionen Tonnen Oberflächenmaterial durch Wasser, Wind und andere natürliche Kräfte bewegt. Der Mensch bewegt 156 Millionen Tonnen Erde täglich und ist damit der entscheidende geologische Faktor der Gegenwart. Entstanden durch Witterungsumstände vor 66 Millionen Jahren im Paläozän, ist Aluminium (Al) das dritthäufigste Element in der Erdkruste – nach Eisen das zweitwichtigste Industriemetall. In jeder Handvoll Erde ist Aluminium enthalten. Aber nur wenn der Boden 60 % Bauxit enthält, wird es industriell abgebaut. Diese Bauxitschicht wird abgegraben und in einem sehr energieaufwendigen Prozess, der viel Gift erzeugt, weiterverarbeitet. Terraforming at its worst … Das Rohmaterial, das für die Herstellung von Primäraluminium benötigt wird, ist Aluminiumoxid, auch Tonerde genannt. Aluminium ist ein silberglänzendes, weiches und dehnbares Leichtmetall. Als unedles Metall ist es ausgesprochen reaktionsfreudig und besitzt große Affinität zu Sauerstoff, mit dem es eine dünne, aber sehr dichte Oxidschicht ausbildet. Aluminium ist zäh, korrosionsbeständig und elektrisch gut leitfähig. Es prägt als Primäraluminium sowie als recyceltes Sekundaraluminium die Technosphäre und findet in fast allen Bereichen des täglichen Lebens und der Technik Anwendung, besonders in den Feldern Transport und Verkehr, Bauwesen und Verpackung.

Sabina Holzer und Elisabeth Schäfer haben eine aufschlussreiche, informative wie poetische Textsammlung (Verlag Sonderzahl) rund um das silbrige »shimmer metal« zusammengestellt. Eine von vielen gestellten Fragen lautet zum Beispiel: »Mündet dieses Aufsuchen der Natur als Ratgeber*in nicht immer auch in eine Ausbeutungsgeschichte?« Eine Erkenntnis dieser Toxizität: »Nicht nur im Romantisieren streben wir nach Totalität, auch in der Destruktion. Sabina Holzer ist Performancekünstlerin, Autorin und Movement Facilitator. In ihren Arbeiten erforscht sie Ökologien menschlicher und nichtmenschlicher Körper mit besonderem Augenmerk auf Bewegung und somatische Praktiken. In den letzten Jahren engagiert sie sich gerne in kollaborativen Settings. Philosoph*in Elisabeth Schäfer forscht zu Dekonstruktion, Queer-feministischer Philosophie, psychoanalytischer Theorie, Körper, Gewalt und Traumata, Écriture feminine, Schreiben als künstlerischer Forschung und widerständiger Praxis sowie zu künstlerischen Positionen zum Climate Change. Die alufolierten skug-Fragen hat weiters noch ergänzend der Künstler Jack Hauser, ehemaliger Chemiker und Experimentalfilmemacher, der seit 2005 zahlreiche gemeinsame Werke mit Sabina Holzer realisierte, beantwortet.

© Jack Hauser

skug: In der Textsammlung »which dances – which writes. Aluminium Assemblagen« durchläuft ein informativ-assoziatives Textband den unteren Seitenbereich. Zu erfahren gibt es in dieser Fußnotenzone zum Beispiel: »Aluminium ist eine selbstverständliche, gefährliche Kostbarkeit. Wir sind umgeben von Aluminium in Form von Gegenständen, Stoffen und in unzähligen unsichtbaren Verbindungen. Die praktische Eleganz und leichte Formbarkeit, die Aluminium zu einem der meistverwendeten Werkstoffe in unserer Gesellschaft machen, gehen einher mit dem hohen Energieaufwand seiner Herstellung und der damit einhergehenden Umweltzerstörung.« Das Element Aluminium ist auch verantwortlich für die Künstlerische Leitung, das Konzept und die Performance von »which zones«. Seit wann und warum beschäftigt ihr euch mit diesem Leichtmetall?

Sabina Holzer: Elisabeth Schäfer und ich haben uns für eine »expanded footnote« entschieden, um die unterschiedlichen Beiträge nochmals in Beziehung zu bringen und mit ihnen, durch unser Schreiben, in Resonanz zu treten. 

Aluminium ist 2015 in meiner künstlerischen Forschung »Verschreibungen« zu Materialität von Schrift [1] zu mir gekommen. Aluminium war erstmal insofern interessant, weil ich Material suchte, das reflektiert, leicht verformbar (um mit den Händen Worte zu formen und sie so – anders – »zu begreifen«) und, wegen kleinem Produktionsbudget, leicht und günstig zu bekommen ist. Ich begann mich in dieser Zeit mit der Aussage der Choreografin Anna Halprin zu beschäftigen, dass »der menschliche Körper aus denselben Elementen besteht, wie unser Planet«. Dass wir also Teil dieses Planeten sind und nicht »auf ihm leben«. Mit der Entscheidung für Aluminium begann auch die Beschäftigung mit dem Material. Zuerst ganz einfach und naheliegend durch einen achtsamen Umgang aufgrund des hohen Energieverbrauchs in der Herstellung und dem schwierigen Abbau – Recyceln war sofort Thema und ist es immer noch. Mit Louise Linsenbolz und Thomas Wagensommerer haben wir dann erstmals die Reflexion und den Sound des Materials erforscht. Eigentlich war in dieser ersten gemeinsamen Performance »This cat can play anything & never-ending fire unfinished« schon sehr viel angelegt. 

Die Beschäftigung hat sich in Folge immer mehr erweitert: Was macht das Aluminium im menschlichen Körper? Was ist die europäische Kulturgeschichte des Materials, wie ist es entstanden und eingesetzt worden? Und wie und wo wird es abgebaut und welche Wirtschaftsverhältnisse werden durch den Konsum und die Anwendung von Aluminium sichtbar und gefördert? Denn der Abbau bewirkt eine extreme Zerstörung von Lebensräumen von indigenen Menschen, zum einem durch Umsiedelungen; zum anderen durch die Zerstörung der natürlichen Lebensressourcen. Die Werke zur Aluminiumgewinnung werden oft an Flüsse gelegt, wegen des hohen Strombedarfs, der für die Produktion nötig ist. Dann werden Dämme erbaut, für die Stromherstellung. Bauxit wird abgebaut, das heißt, abgegraben; was bedeutet, dass die obere fruchtbare Bodenschicht langfristig zerstört wird. Das Herauslösen der Aluminiumsalze aus dem Bauxit produziert hochgiftigen Rotschlamm, der von der Natur nicht abgebaut werden kann und die Böden, Menschen und Tiere verätzen würde. Deswegen wird er in großen Becken gesammelt, die aber nicht immer so ganz dicht sind, wodurch das Gift in das Grundwasser kommt. Der Film von Bert Ehgartner »Die Akte Aluminium«, Luitgard Marschalls Buch »Aluminium, Metall der Moderne«, Esther Figueroas Film »Fly me to the moon« und Mimi Shellers Buch »Aluminium Dreams« waren sehr wichtige Lektüren für uns. 

Die Aluminiumerzeugung hinterlässt Desaster. Menschen wie du und ich in anderen Erdteilen sind von diesem Desaster betroffen. Wir sind mit ihnen in Verbindung, durch die Produkte, die wir nutzen. In diesem Sinne gibt Aluminium auch das Konzept vor. Wie es auch in unserem Buch »which dances – which writes. Aluminium Assemblagen« heißt: »aluminium is / a good dog, strolling around / to show unknown fields and battles / and many ways of interacting / want to be unlearned.« Ich arbeite immer noch mit den Materialien von 2015. Ich habe so viel über gesellschaftliche und geopolitische Zusammenhänge erfahren durch das Projekt. Wir sind für die Produktion mit dem Demontage und Recycling Zentrum in Wien in Kontakt gekommen sowie mit Altmetalle Krammer/Gaugle Metalle, um recyceltes Aluminium zu bekommen und Materialien dort abzugeben. Ich selbst bin müll-sensibler geworden, sammle ein. Ich lade auch mein Umfeld dazu ein. Wie auch in dem Score, mit dem das Buch beginnt: »Set a time period, e.g. a week or a month, where you are very specific about your waste separation and recycle all aluminium. Investigate how long you can continue to use different types of aluminium packaging. Collect aluminium items and waste and build a precious sculpture«. Ich versuche das, was ich erfahren habe, Teil meines Alltags werden zu lassen, dass diese Inhalte mein persönliches Verhalten verändern und so auch meine künstlerische Praxis.

Elisabeth Schäfer: Ich bin dem Ruf und der Einladung von Sabina Holzer im Jahr 2019 gefolgt. Wir haben das Material dann in der Folge gemeinsam in zwei performativen Setzungen im Jot12 in der Seestadt erkundet, im Anschluss gemeinsam im Rahmen der choreografischen Assemblage »which dances« im Volkskunde Museum Wien und nun im Tanzquartier im Rahmen von »which zones«, eine Arbeit, die am 15. Juni 2023 in den Studios im TQW Premiere hat, sowie im Buch »which dances – which writes. Aluminium Assemblagen«. Das sind jetzt vier Jahre Aluminium. Im Jänner dieses Jahres waren wir mit Jack Hauser und David Ender gemeinsam in Kolontàr in Ungarn, wo 2010 ein Rotschlammbecken – Sabina Holzer hat eben davon gesprochen, dass der hochgiftige Rotschlamm als Nebenprodukt der Aluminiumgewinnung in solchen Becken gelagert wird – gebrochen ist. Dabei sind über 100 Menschen verletzt worden, zehn Menschen sind gestorben. Circa eine Million Kubikmeter Rotschlamm hat sich über die Landschaft ergossen. Die Folgen sind heute noch sichtbar. Auf dem Cover unseres Buches sieht man die Spuren des Rotschlamms auf der Außenwand des Gedenkhauses in Kolontár.

Jack Hauser: Warum beschäftigen wir uns mit diesem Leichtmetall? Wegen der Erkenntnis, dass alles aus derselben Grundstruktur entstanden ist: Die Erscheinungsform von Aluminium nur als Salz im Boden und niemals elementar hat etwas zu tun mit jeder anderen Existenz und so auch mit der der menschlichen.

© Jack Hauser

Sabina, du hast »in der wunderbaren Gesellschaft von Alix Eynaudi, Elisabeth Schäfer, Mimi Sheller und Medusa« Folgendes geschrieben: »Was können wir wissen, wenn wir uns auf kaputten und ausgebeuteten Böden bewegen? Die Wirbelsäule ist eine Schlange, die andere Gefährt*innen sucht. Sisterhood fragt nach regenerativen Praktiken und Nachhaltigkeit, nach Wegen, wie wir miteinander in Beziehung treten können. Vielleicht zeigen uns Pflanzen den Weg, während sich unsere Finger wie die Wurzeln von Bäumen und anderen Wesen bewegen. Wir teilen Fragmente von alten Mythen für die Zukunft. Schreiben ist untrennbar mit unserer Existenz verbunden. Indem wir unsere unzähligen Abdrücke teilen, versuchen wir zu übersetzen. Wir berühren, um zu lesen. Und tanzen in dem Versuch, uns selbst in ein Rätsel voller Geheimnisse und komplizierter Sorgfalt zu verwandeln.« Wie kann mensch sich diesen transformativen Paartanz von Geheimnis und Sorgfalt vorstellen?

Sabina Holzer: Ich möchte hier gerne anmerken, dass der ganze Prozess seit 2015 mit den unterschiedlichen performativen Setzungen und auch das Buch in sehr engen und wunderbaren Kollaborationen entstanden ist: Der Künstler und mein Partner Jack Hauser ist immer sehr in die künstlerische Umsetzung involviert. Die Choreografin Brigitte Wilfing und der Künstler Thomas Wagensommerer begleiten den Prozess auf unterschiedliche Weise seit 2015. Elisabeth Schäfer ist seit 2019 mit ihrem philosophischen und poetischen Input sehr wesentlich für die ganze Auseinandersetzung und das Tun. Aber auch die Zusammenarbeit mit der bildenden Künstlerin Katrin Hornek, mit der ich seit 2018 zu Körpersteinen und Mineralien, Mikroplastik und Stickstoff gearbeitet habe, ist wesentlich für die Arbeit. Genauso wie der Philosoph Kilian Jörg, mit dem ich gemeinsam schreibe und auch unterrichtet habe, der Kurator Herbert Justnik, der Autor und Kulturwissenchaftler Thomas Ballhausen und der Musiker, Performer und Übersetzer David Ender. Ich bin sehr froh, dass auch die Tänzerin und Choreografin Alix Eynaudi, mit der ich seit 2019 im engen Austausch zu Text, Poesie und Choreografie als kritische Praxis bin, nun Teil der künstlerischen Setzung »which zones« im Tanzquartier ist. Auch die Zusammenarbeit mit Eva Holzinger in der Produktion ist toll. Eben wie Alix Eynaudi in ihrem Gedicht »somewhere we stay« sagt: »how i love the mutual indebtedness that is not about paying one another back, but about enjoying that dependance«. 

Ich arbeite immer wieder unter recht prekären Bedingungen. Ohne diese Menschen und viele andere, ich hier nicht alle aufzählen kann, wäre die Arbeit nicht möglich. »Transformativer Paartanz« gefällt mir sehr gut! Ich bin in meiner künstlerischen Praxis sicher von einem Bedürfnis, andere Formen von »Gemeinschaft«, von Zusammensein zu üben, als das von unserer turbokapitalistischen Gesellschaft auf vielerlei Weise vorgegeben ist, angetrieben. Wie können wir gemeinsam etwas tun, etwas erschaffen oder gemeinsam sein – also uns gemeinsam ins Unbekannte wagen? Ich frage mich, wie kann ich das gestalten und welche Bedürfnisse muss ich beachten, dass wir gut miteinander umgehen? Wie ist das mit den Materialien, die wir nutzen? Wie wirken menschliche, nicht-menschliche und mehr-als-menschliche Akteur*innen miteinander? Kann uns die Ästhetik und Poesie helfen, einen anderen Umgang miteinander zu üben? Ästhetik beschäftigt sich ja mit Wahrnehmung. Wenn wir unsere Sinne für unsere Umgebung öffnen (und zum Beispiel nicht die ganze Zeit das Smartphone vor der Nase haben – ich mache das natürlich auch!), was nehmen wir dann von unseren Umgebungen wahr? Zugleich sind der Tanz und die Poesie ja etwas, das sich der Sprache auch entzieht und darüber hinaus weist – zuweilen auch dem eigenen Verständnis. Deswegen ist es auch geheimnisvoll oder rätselhaft und hoffentlich auch humorvoll. Dahingehend unterstützt uns der Text – und nicht nur dieser – bei der Performance. 

Jack Hauser: Vorstellen kann man sich in der formulierten Darstellung. Die Performance ist deshalb notwendig, weil es ein jenseits der Vorstellung realisieren soll. 

© Sabina Holzer

Der Kurator und Kulturwissenschaftler Herbert Justnik bemerkt: »Bei ›which dances – eine choreografische Assemblage‹ war – performativ gesehen – der Score (im Sinne einer Handlungsanweisung) Entwicklungsraum für Material und Aufführung zugleich.« Was meint er damit genau? 

Sabina Holzer: Diese Aussage ist in einem gemeinsamen Gespräch entstanden. Die wundersame Begegnung und Zusammenarbeit mit Elisabeth Schäfer als Philosophin ist auch eine Annäherung an unterschiedliche Arbeitspraktiken. Im Volkskundemuseum hat sich unsere Zone über vier Räume erstreckt. Inspiriert von den Scores von John Cage haben wir eine Zeitklammer von zweimal täglich 40 Minuten gesteckt, in der wir diese Zone performativ aktivieren wollten. Wie sollten wir beide in unseren unterschiedlichen künstlerischen Praktiken »bewegen« und »schreiben«? Wir haben von Anfang an mit einem Score, mit verschiedenen Tätigkeiten gearbeitet: Schwingen, Schreiben und Lesen. Das Schreiben und Lesen der jeweiligen Praxis entsprechend – also bei mir über die Choreografie, eine »lesende« und »schreibende« Form des Tanzens. Dann: »Suche für jede Tätigkeit einen der vier Räume aus, in dem du dieser nachgehst. Eine der Tätigkeit kann maximal zweimal ausgeführt werden. Besuche jeden Raum mindestens einmal. Mindestens einmal treffen sich E und S.« Diese Handlungsanweisung haben wir zwei Wochen lang während dem Aufbau und während den Performances/Aktivierungen im Raum praktiziert. So ist das Material entstanden, die Bewegungen, die Texte, die wir dann bei den Aktivierungen mit Besucher*innen aufgesucht und weiterentwickelt haben. Auch bei »which zone« arbeiten wir wieder mit Scores, um Inhalte untereinander abzustecken und doch die Möglichkeit zu haben, auf den Moment zu reagieren. Für mich funktionieren Scores bei transdisziplinären Kollaborationen gut, weil jeder aus seinem Gebiet, Verständnis und seiner Lust heraus reagieren kann und wir so auf Augenhöhe viel voneinander lernen. 

Elisabeth Schäfer: Die Aufgabe, die wir, oder vielmehr, der wir uns stellen, ist nicht, eine Arbeit »über« Aluminium zu machen, sondern eine Arbeit gemeinsam mit Aluminium. Das Aluminium als Co-Akteur*in im Raum zu verstehen. Damit haben wir auch für die performativen Künste die neue Frage aufgeworfen (die sich auch andere in diesem Bereich stellen): Wenn es bislang die eher menschlichen und großteils psychischen Konflikte gewesen sind, die auf die Bühne, in performative Räume und Settings gebracht wurden – welche Konflikte können wir anhand von Materialien und der menschlichen Verwicklung in deren Materialgeschichten zeigen? Konflikte spielen sich dann im performativen Raum nicht mehr nur in der Sphäre des Zwischenmenschlichen ab, sondern im Zwischen aller Akteur*innen, den menschlichen, nicht-menschlichen und mehr-als-menschlichen. Das könnte der Entwicklungsraum für Material und Aufführung sein, von dem Herbert Justnik spricht. 

© Sabina Holzer

Aluminium ist das »Metall der Moderne« (Luitgard Marschall) und ein Wegwerfprodukt, das – wie übrigens auch Plastik – nach dem Zweiten Weltkrieg den gesamten Globus eroberte: »Aluminium hat uns zum Beispiel Leichtigkeit und Schnelligkeit gebracht. Ganze Kampagnen wurden in den 1950er Jahren gegen Sparsamkeit und Nachhaltigkeit gefahren. Aufgefahren mit schwerem Geschütz sozusagen. Um den Menschen die Sparsamkeit abzugewöhnen. Um Wegwerfprodukte auf den Markt bringen zu können. Den industriellen Markt. Drei Anläufe hat die Aluminiumdose gebraucht, bis sie von Herr und Frau Europa und Herr und Frau Amerika angenommen wurde. Ja, lass uns gebrauchen und wegwerfen! Lass uns schnell sein! Lass uns schnell davonkommen von diesen unsäglichen Erinnerungen an den Krieg.« Ist ein Entkommen vom omnipräsenten Aluminiumverbrauch überhaupt noch vorstellbar?

Sabina Holzer: Ich verstehe deine Frage. Aber vielleicht sollten wir uns auch die Frage stellen, wie lange wir uns auf diesem Planeten so eine immense Produktion und Verwertung von Aluminium noch leisten können? Wie lange können wir es uns leisten, fruchtbare Böden auszubeuten, Wälder zu roden; Menschen, Pflanzen und Tieren den Lebensraum zu nehmen? Esther Figueroa, jamaikanische*r Filmemacher*in und Aktivist*in sagt in einem Interview mit FIALA (eine von Frauen geführte Freiwilligenorganisation und Teil der Frauenbefreiungsbewegung): »Es ist am besten, dort anzufangen, wo du bist und wer du bist. Es ist am besten, mit dem unschuldigen oder virtuosen Narrativ aufzuhören und versuchen zu verstehen, wo du bist. Und wie sich der Ort, an dem du bist, auf den Rest der Welt auswirkt. Was dort passiert, wo du bist, und wie dies mit anderen Orten zusammenhängt. Lerne also etwas über dich selbst. Erfahre, wo du bist. Erfahre, wie das mit Menschen an anderen Orten zusammenhängt und wie diese Menschen und Orte sind.« [2] 

Jamaika und der karibische Raum war im 20. Jahrhundert einer der Hauptlieferanten von Aluminium für die USA. Genauso wie in Europa ist die Aluminiumindustrie eng mit der Kriegsindustrie verbunden. Laut WWF hat das afrikanische Guinea mit 7.400 Millionen Tonnen die weltweit größten Bauxit-Reserven – daneben gehören Jamaika, Australien, Brasilien und Indien zu den wichtigsten Herkunftsländern des Aluminiumerzes. Meine Aufmerksamkeit für Aluminium – wo es überall zum Einsatz kommt und wie es sehr konkret unser Zusammenleben im globalen Norden vereinfacht und begünstigt – hat all dieses Wissen sehr verändert. Recyceln ist enorm wichtig. Aber auch ganz einfach weniger und anders zu konsumieren. Recyclen ist überhaupt und immer mehr unser Motto für die künstlerische Praxis. Auch jetzt für die Performance »which zones«.

Elisabeth Schäfer: Die Frage nach dem Entkommen ist schwierig. Ich denke nicht, dass es eine Welt ohne giftige Materialien geben kann. Und es damit auch nicht um ein Entkommen gehen kann oder um die Vorstellung, dass wir eine ganz »reine« Welt entwerfen könnten. Aus meiner Perspektive geht es zunächst um den Umgang mit dem Giftigen. Wissen wir, bei welchem Material giftige Nebenerzeugnisse bei der Gewinnung entstehen? Wissen wir, wer an welchen Orten der Welt besonders unter dem toxischen Müll zu leiden hat? Wer wird in welchen Produktionsprozessen vergiftet und wer stirbt dabei? Wer wird betrauert? Welche Leben werden geschützt, welche nicht? Ist es nicht vielmehr so, dass viele von uns – vor allem an den privilegierten Orten dieser Welt – dazu tendieren, das Giftige lieber auszublenden und nicht sehen zu wollen, auf wessen Kosten wir dieses und jenes für unverzichtbar halten? Sich der Tragweite von Produktionsprozessen bewusst zu werden, wird zwangsläufig zu einem anderen Umgang führen müssen. Das ist jedenfalls noch immer meine Hoffnung. Sie ist nicht besonders berechtigt angesichts der Geschichte der Menschheit, aber gerade, weil diese Hoffnung so unrealistisch widerständig und hartnäckig ist, will ich sie nicht verabschieden. Recyclen ist wichtig. Wann fangen wir an zu recyclen? Doch hoffentlich, wenn wir wissen, wie kostbar das bereits Produzierte ist – wenn wir wissen, um welchen Preis es produziert wurde.

© Jack Hauser

»Wir wollen unsere Arbeit im Bereich Kunst und Ökologie ansiedeln, ausgehend von der Überzeugung, dass Kunst mit ihrer interdisziplinären Sprache zwischen Natur und Mensch in Bezug auf bestehende Umweltprobleme vermitteln und so die Lebensbereiche der verschiedenen Existenzformen auf der Erde zum Besseren verändern kann.« Das klingt vielversprechend und beruhigend, aber hat die Kunst wirklich diese Wirkmächtigkeit?

Sabina Holzer: Für mich ist das keine Beruhigung, sondern eher eine Aufforderung, Zeiträume zu gestalten, in denen von Kunst inspirierte Praktiken und Begegnungen stattfinden können, nämlich: nicht instrumentalisierte und konsumorientierte Räume und Begegnungen, in und bei denen es hauptsächlich um Waren und Effizienz geht. Ich halte das in der heutigen Zeit für eine enorme Herausforderung. Welche große Wirkmächtigkeit Kunst auf das Leben von Menschen eigentlich hat, wie sehr sie das Potenzial hat, eigenständiges Denken zu fördern, sich (spielerisch) mit etwas zu beschäftigen, was unverständlich ist, die Möglichkeit, kritisches Denken zu entwickeln, zeigt sich eigentlich daran, dass die Kunst in autoritären Regimen oft verboten ist. 

Jack Hauser: Die Übertreibung gehört auch zur Kunst. Die Kunst ermöglich es, kritisch gegenüber der Gesellschaft zu sein, weil uns genau diese Gesellschaft diesen Raum freigegeben hat. Die Freiheit der Kunst ist Teil der Demokratie. Kunst kann kritisch sein, ohne sich feindlich gegenüber der demokratischen Verfassung zu positionieren. 

Elisabeth Schäfer: Der Klimawandel und seine äußerst beunruhigenden Folgen, die wir nicht erst in der Gegenwart, sondern schon seit einiger Zeit zu spüren bekommen, lassen uns, denke ich, geradezu reflexartig – wie jede Katastrophe – nach einer oder sogar der wirkmächtigen Disziplin oder Ressource fragen, die alles zu ändern vermag, die uns retten kann. Ich denke, wir sollten diesem Reflex nicht zu schnell nachgeben. Die Künste können viele Mikropolitiken mit anstoßen. Deleuze und Guattari verwenden den Begriff Mikropolitik ja, um einen Bereich von Aktivitäten zu benennen, die im öffentlichen, geteilten Leben wirken, die aber nicht in die traditionellen Paradigmen der Politik passen. Mikropolitische Aktivitäten sind keine Handlungen von Politiker*innen oder Parlamenten und sie zielen nicht direkt auf Wahlen oder politische Legislaturperioden ab. Vielmehr sind die Hauptakteur*innen von Mikropolitiken kleinere Formate der Setzung, die körperlich affizieren, soziale Milieus temperieren und so weiter. Die Betonung von mikropolitischen Fragen folgt aus der Überzeugung, dass gemeinsames Handeln eine unverzichtbare somatische und affektive Dimension hat. Wir können die Betonung des Mikropolitischen bei Deleuze und Guattari auch als eine intersubjektive und kollektivistische Version von Foucaults Vorstellung von Praktiken des Selbst lesen, die Foucault als Mittel definierte, mit denen Menschen »eine bestimmte Anzahl von Operationen an ihrem eigenen Körper und ihrer Seele, ihren Gedanken, ihrem Verhalten und ihrer Seinsweise vornehmen, um sich selbst zu transformieren«. Es geht um die transformative Kraft. Und dieses Vermögen ist sicherlich auch eines der Künste. 

© Sabina Holzer

Jeroen Peeters weist darauf hin, dass der Anthropologe Tim Ingold zögert, unsere menschlichen, sozialen Seinsweisen in der Welt als »Assemblage« zu bezeichnen – ein ausdrücklicher Verweis auf Deleuze und Guattaris »agencement«. Er zieht es stattdessen vor, von interstitieller Differenzierung zu sprechen, denn »die Differenz entsteht ständig inmitten des Miteinanders, in der fortwährenden Sympathie des Miteinanders«. Sabina, du wiederum bezeichnest den Menschen als transsubjektive, translokale, transsensible, Spezies-übergreifende Assemblage. Bei welcher Denktemperatur lassen sich die beiden Sichtweisen verschweißen? 

Jack Hauser: Bei der Temperatur der fröhlichen Wissenschaft.

Sabina Holzer: Eigentlich glaube ich, dass diese beiden Verständnisse gar nicht so weit auseinander liegen. Wenn ich Tim Ingold richtig verstehe, würde ich sagen: Ich denke materialistischer. Ich würde sagen, das Miteinander ist elementar gegeben. Wie anfangs gesagt: Genau aufgrund der Zusammensetzung unsere Biosphäre sind die Lebewesen auf diesen Planten, wie sie sind. Wäre sie anders, würden die Lebensformen auch anders ausschauen. Ich verstehe die Lektüre von Donna Haraway, Isabel Stengers, Karen Barad, Vanessa Machado de Oliveira, Elisabeth A. Povinelli und auch Ursula K. Le Guin oder Oktavia Butler ebenfalls in diesem Sinne. So wird die Differenzierung für mich eher in der elementaren Zusammensetzung wirksam. Wieviel Sauerstoff, wieviel Wasser brauchen wir Menschen und was brauchen Pflanzen, was braucht ein Stein? Trotzdem sind auch in unseren Knochen Mineralien und Bakterien, die in unseren menschlichen Körperzellen Photosynthese betreiben, um den Stickstoff umzuwandeln und unserem Körper zugänglich zu machen. Ich würde sagen »Sympathie« ist die große Übung. Ja zu diesen Abhängigkeiten zu sagen. Anzuerkennen, dass wir Teil sind. 

Elisabeth Schäfer: Vielleicht muss nicht alles verschweißt werden, was zusammen oder in einer Nähe zueinander gedacht werden kann. Bei einem Begriff – wie zum Beispiel Assemblage – zu bleiben, bedeutet auch, an die Grenzen dieses Begriffes zu gehen und damit immer auch ein Stück aus ihm herauszugehen. Aus dem Terrain eines Begriffes herauszugehen, heißt jedoch nicht einfach, einen ganz anderen Begriff machen oder meinen. Es bedeutet eher: Hinausgehen und dennoch drinnen bleiben. Mein Eindruck war, wir wollen Assemblage denken und der Bewegung der Differenz des Begriffes selbst folgend das Terrain des Begriffes auch verlassen. Und damit sind wir in einem Bereich des Übergangs, des trans-, unterwegs. 

© Sabina Holzer

Die Wissenschaftsjournalistin Tanja Traxler stellt in ihrem Textbeitrag, unter anderem bezugnehmend auf die choreografische Assemblage »which dances«, mit einem Schwerpunkt auf die Materialität von Aluminium, folgende Fragen: »Was hat Aluminium über seine Verwicklung in Klimaprobleme, die Verteilung von Impfstoffen oder Getränkeverpackungen zu sagen? Und welche Geschichten erzählen sich zwei Aluminiumfolien, wenn niemand zuhört?« Habt ihr darauf Antworten gefunden?

Sabina Holzer: Hier laden wir alle Leser*innen und Besucher*innen ein, um gemeinsam mit solchen Fragen auf mögliche Antworten zu spekulieren! Deswegen machen wir Aluminiumtänze!

Elisabeth Schäfer: Die Antworten, die wir auf diese Fragen gefunden haben, verstecken sich in den poetischen Passagen des Buches. Anders als mit Poesie lassen sich diese Antworten nicht übersetzen. 

Jack Hauser: Sie erzählen sich von ihren choreografischen Problemen. Wo bin ich? Wo bin ich hier? Bin ich in Bezug auf die Bewegung, in der du bist? Was ist mein Stillstand zu deiner Bewegung? Was ist dein Stillstand zu meiner Bewegung? Das ist die Beziehung? Es geht nicht ums Zuhören. Wir brauchen das auch nicht zu verstehen. Wir verwenden das Aluminium nicht als Metapher.

© Jack Hauser

Für die Performance »which dances« hat Thomas Wagensommerer den Sound gestaltet, der »die Materialeigenschaften von Aluminium zur Erzeugung von Klängen ausstellt«, wie Tanja Traxler in ihrem Textbeitrag »The sound of quantum drums« anmerkt. Kannst du uns etwas über die spezielle Sound-Generierung erzählen?

Sabina Holzer: Thomas wird auch für »which zones« jetzt im Tanzquartier wieder den Sound machen. Soweit ich das verstanden habe, ist der Sound – also das Knistern – von Aluminium sehr speziell. Die Sound-Frequenz ist sehr weit gestreut und impulshaft. Es ist schon richtig »schwarzes Rauschen«, hat er einmal gesagt. Dieses Knistern erzeugt Ausschläge, die sehr Frequenz-intensiv sind. Er dehnt diese Impulse aus, um mit den darin enthaltenen Soundbits arbeiten zu können. Er »gräbt sie sozusagen aus«. Für das Volkskundemuseum Wien hat er in einem der Räume ein 3D-Bild generiert und damit eine generative Installation konstruiert, die immer wieder neue Sounds produziert und  unberechenbar ist. Es war wie ein lebendiges Ding, welches Zustände aufnimmt, die nicht kontrollierbar sind. Die Installation ist mit den Sounds von Aluminium, mit Aufnahmen aus unseren Proben, mit Texten, die wir einander vorgelesen haben und so weiter »gefüttert« worden. 

Jack Hauser: Jetzt für das Tanzquartier haben wir Thomas vorgegeben, dass es bitte kein Sound fürs Ohr sein soll, sondern einer, der ein Mitschwingen der Materialien erzeugen soll. 

© Sabina Holzer

Das Vorwort des Textbandes »which dances – which writes. Aluminium Assemblagen« kommt von der brasilianischen Journalistin Clarice Lispector. Warum habt ihr diese Autorin für die einleitenden »Denkbilder« ausgewählt?

Elisabeth Schäfer: Für unsere Auseinandersetzung mit Figuren der Ausbeutung und deren widerständigen Strategien der Transformation ist die Figur der Medusa wichtig geworden, wie sie auch in Hélène Cixous’ berühmtem Essay »Le Rire de la Méduse« auftaucht. Für das Projekt eines Andersschreibens, von manchen »Écriture féminine« genannt, von anderen »Queer-Écriture« oder auch »Alloécriture« sind für Hélène Cixous die Texte von Clarice Lispector von zentraler Bedeutung. Cixous schreibt in »To live the Orange«, dass Lispectors Stimme zu ihr kam »from far away, […] it brought me insights I once had, intimate insights, naïve and knowing, ancient and fresh […] this voice was unknown to me.« Mit Lispector geht es Cixous um ein Freilegen von etwas Bekanntem im Unbekannten, etwas Heimlichem im Unheimlichen etc. Etwas, was da ist, und doch verschüttet. Wir haben uns auf eine ähnliche Suchbewegung begeben. 

Jack Hauser: Wir machen das, um unseren Ansatz etwas von der künstlerischen Forschung zur poetischen Forschung zu verschieben.

Sabina Holzer: Es ist interessant, dass du sie Journalistin nennst! Ich kenne sie eigentlich mehr als herausragende Schriftstellerin, deren Texte ich sehr liebe und die mich immer wieder verblüffen. Wie diese »Eröffnungsrede« von ihr. Ich habe diesen Text zufällig während der Probe im Jot12 2019 gefunden – eigentlich beim Lesen vor dem Einschlafen. Diesmal war ich dann aber gleich hellwach, weil ich mich in dieser Zeit mit dem Aluminiumabbau in Brasilien beschäftigt habe, der vor allem in den 1960er- und 1980er-Jahren in sehr großem Maße vor allem im Amazonas-Gebiet stattfand und große Schäden verursacht hat. Es war mir, als ob sich dieser Text auf die ignorante, absurde Gewalt, die so oft mit dem Versprechen einer besseren Zukunft einhergeht, bezieht. Es ist ein poetischer Text, der sich auf reale Umstände bezieht. Diese Form von Verbindungen suchen wir in unserer Arbeit auch. Schreiben ist ein wesentlicher Teil unserer Praxis. Hélène Cixous und die »Écriture féminine«, die Elisabeth schon erwähnt hat, begleiten mich seit Langem. Ich bin sehr froh, dass mit Cixous und Lispector die Medusa als poetische Denkfigur in die Arbeit gekommen ist. Brigitte Wilfing schreibt mit ihr in dem Buch. Auch Elisabeth, gemeinsam mit Tanja Traxler, sucht sie auf in ihrer Begegnung mit den Texten von Elizabeth A. Povinelli. Und wir freuen uns auf ihre poetische Spuren in »which zones« – so etwas wie »Schichtschlangenschreiben«, wie Jack Hauser und David Ender es nennen.

[1] Kontext ist das Projekt »Stoffwechsel – Ökologien der Zusammenarbeit«, das ich mit Brigitte Wilfing und Anita Kaja/Im_flieger konzipiert habe.

[2] https://www.filia.org.uk/latest-news/2021/2/19/esther-figueroa-colonization-globalization-and-aluminium-mining-in-jamaica

Links: 

https://www.cattravelsnotalone.at/ 

https://tqw.at/event/which-zones-holzer/ 

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