Der unglaublich müde aussehende Schlagzeuger Tomasz Pawluczuk dreht beim Konzert am 17. September 2023 im Wiener Chelsea ordentlich auf. Zurückhaltend und fast melodiös scheint er einen ganz eigenen Stil entwickelt zu haben. Slow Punk nenne ich als alte Schlagzeug-Punkerin diesen Schlagzeugstil. Eine Art Slowcore, im Gegensatz zu Hardcore. Post-Punk, wie andere Journalist*innen diesen Stil beschrieben, mag ich nämlich nicht. Dass er sich wirklich ganz alleine Schlagzeug beibrachte, erzählt Tomasz später. Nur wie er die Stöcke halten sollte, zeigte ihm wer.
Die polnische Band Trupa Trupa im Chelsea bedeutet heftiges Getanze vor, aber auch hektisches Herumlaufen und Dirigieren des Sängers und Gitarristen Grzegorz Kwiatkowski auf der Bühne. »Wir spielen schon vierzehn Jahre zusammen und früher stand Grzegorz stocksteif auf der Bühne, erst in den letzten Jahren bewegt er sich«, lächelt Tomek. »Er ist ein verrückter Typ, der immer das Gleiche anhat – ich glaube, er besitzt 25 blaue Hemden und die Goldstreifen an seine Hosen näht er sich selber an.«
Leider versteht man Grzegorz’ Ansagen durch das Mikrophon schlecht, auch die Liedtexte, in denen es teils um die Internierung seines Großvaters Józef Kwiatkowski im Todeslager Stutthof geht, bleiben unverständlich. Im späteren Konzentrationslager ging seine Großtante Marta Kwiatkowski verloren – in dem Sinne, dass sie nach ihrer Befreiung geistig umnachtet blieb.
Dafür und dagegen
Grzegorz hat er einen unglaublichen Gedichtband geschrieben, »brennend« heißt er. Der Hintergrund ist, dass der Großvater den neunjährigen Enkel auf das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers mitnahm und dort schrie und weinte. Heftig für ein Kind. Sohn und Tochter des Großvaters hatten gedacht, der Besuch würde ihm helfen, waren aber über seine Reaktionen schockiert und verzweifelt. Er muss eine Art Flashback gehabt haben!
In dem Gedicht »Welt« in »brennend« steht, dass jemand von den Zeug*innen des Holocausts seinen eigenen kleinen Sohn mit in den Wald nimmt, der ihm, als er weinte, die Tränen mit der Hand vom Gesicht wischt. »Und ich bereute es so sehr, dass ich das Kind auf die Welt gebracht habe«, lautet die letzte Zeile des Gedichts, das die Stimme eines Überlebenden darstellen soll. Als ich per E-Mail nach Gdańsk protestiere, dass ich das nicht richtig finde, erstens einen Kleinen mitzunehmen und zweitens seine Geburt zu bereuen, antwortet Grzegorz umgehend: »I understand why you are against and in some way I am against too. I am both pro and against.«
In einem Interview für »in geveb«, eine jüdische Zeitschrift in New York, erklärte Grzegorz seine Arbeitsweise: »I use scraps, fragments, shards. Johan, the protagonist of the Ingmar Bergman film ›Hour of the Wolf‹, says, ›The Mirror has been shattered. But what do the shards reflect?‹ To me, humanity is like a shattered mirror, smashed by the Holocaust, and I salvage the shards. As a musician I am obsessed with musical fragments of reality, of conversations, of landscape. I gather these little musical or anti-musical remnants.« Als er die Notizen seines Opas aus dem Lager fand, begann er, mit diesen zu arbeiten: »When I found my grandfather’s camp notes I realized that my writing style was almost exactly the same as his. This was a big shock for me.«
Hoffnung auf Erinnerung
Nach dem Konzert entschuldigt sich Bassist Wojtek Juchniewicz, dass er Kunstlehrer an einer Schule sei. Ein Lehrer! Er arbeite mit charakterstarken, widerstandsfähigen ukrainischen Kindern, erzählt er. Der Bandname Trupa Trupa bedeutet übrigens »a troupe of corpses« und reflektiert auf die Berge an Schuhen von Ermordeten, die Gregorz und das frühere Bandmitglied Rafał Wojczal vor ein paar Jahren im Wald rund um Stutthof fanden. Sarah Hannah Matuson Rigler, die als Sechzehnjährige in Stutthof interniert war, beschrieb die Schuhhaufen als Berge, so groß wie Gebäude. Sie sagte, dass man Zettelchen in vielen der Schuhe fand. Menschen, die dem Tod gegenüberstanden, kritzelten schnelle Botschaften in der Hoffnung, dass man sie nicht vergessen würde.
Warum der Großvater überhaupt in Stutthof interniert wurde, ist nicht klar. Großtante Marta Kwiatkowski verweigerte die Zwangsarbeit, die Grzegorz als Sklavenarbeit beschreibt. Warum sein Gedichtband so dünn ist, so kurz und bündig bleibt, erklärt der Poet so: »I see my poetry as a signal, a demonstration that the history is still alive and there is still a generation, a young generation, that is trying to remember the victims, and to analyze the mechanisms of evil. This shows that dark forces are not winning and evil will not have the last word.« Grzegorz schreibe gerade an einem Kinderbuch, erzählt Schlagzeuger Tomasz noch.
Links: https://trupatrupa.com/
https://grzegorzkwiatkowski.com/
https://parasitenpresse.wordpress.com/2023/06/20/grzegorz-kwiatkowski-brennend/