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Sea Urchin

»Yaqaza«

Kraak

Eine Drum-Machine scheppert Hi-Hat- und Snare-Sounds unaufdringlich und ungerade vor sich hin, die begleitenden Bässe erinnern entfernt an Dub-Produktionen, ohne deren Druck zu erzeugen oder Frequenztiefe zu erreichen. »Yaqaza« klingt wie das verwehte Lo-Fi-Echo einer Sommerplatte tropischer Herkunft – vielleicht erscheint sie deshalb auch im Herbst. Wie beispielsweise die Peaking Lights oder Monopoly Child Star Searchers (und einige andere) vor ihnen, so verschmelzen Sea Urchin Elemente aus Dub, Reggae und Exotica mit zunächst inkompatibel erscheinenden Versatzstücken aus New Age, Musique concrète und Sound-Poetry. Dabei kommt eine sehr eigentümliche Musik heraus, die zu gleichen Teilen entspannt und an den Nerven zerrt – je nach eigener Bedürfnislage, gewissermaßen. Die zehn Songs auf »Yaqaza« pluckern nicht verlässlich lange genug vor sich hin, um bekiffte Trägheit zuzulassen, denn sie sind zu sprunghaft komponiert, sprudeln vor Einfällen und können einem daher auch schon mal auf den Zeiger gehen. Andererseits ist es gerade die esoterische Quengeligkeit und mitunter laszive Verschrobenheit (gibt es so etwas?), die das Album reizvoll erscheinen lassen, da es sich eben aufgrund jener Qualitäten nicht als Stoner-Klangtapete eignet. Will man das Album auf den Begriff bringen und versuchen zu definieren, was auf »Yaqaza« zu hören ist, so wird man nicht umhin kommen, von einer stilistisch extrem verdichteten Klangkunst zu sprechen: Musik, gemacht von Leuten, die den lieben langen Tag Musik hören – und zwar nicht unbedingt die, die du schon kennst. Jetzt höre ich schon die Zwischenrufe: »Hipsterscheiß!«, »Distinktionsdeppen!« – und ich gebe zu, ich muss ein bisschen grinsen, aber nur kurz. Denn wenn auch mit bürgerlichen Vorstellungen von Avantgarde nicht mehr hantiert werden kann (und sollte), so ist es doch auch gut zu wissen (und zu hören), dass es neugierige und kreative Köpfe gibt, die – wozu ist der ganze Kram (von Eden Ahbez, Franco Battiato und Robert Ashley über Lee Perry bis hin zu Dolphins Into The Future und den ungezählten elektronischen Experimenten in den Klangnischenwelten der Gegenwart) sonst da? – ihre Köpfe in verstaubte Plattenkisten und digitale Bibliotheken stecken, um mit Hilfe dieser Archive, ihrer Phantasie und ästhetischen Sensibilität unterschiedlichste musikalische Stile zu etwas Originärem zu verbinden, das sich der schnellen begrifflichen Zuordnung weitgehend entzieht, in keine Schublade passt und auch nicht wie »von gestern« klingt. Um behelfsweise und völlig aus dem Zusammenhang gerissen Monster Magnet zu variieren: »It’s a futuristic bastard world music thing, I don’t fully understand«. Muss ich aber auch nicht. Selbstversuch unbedingt empfohlen.

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Text
Holger Adam

Veröffentlichung
21.10.2016

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