winkelschleifer
»The Privilege of mere Existence«

Winkelschleifer

La Lotta Continua Records

Auf dem Weg nach unten wird’s heiß. So heiß, dass die maroden Balken schon mal bersten, die den ganzen Laden zusammenhalten. Stahl taugt da schon mehr, zerrinnt aber auch und wird zu blutrotem Saft, der in alle Himmelsrichtungen spritzt und tiefe Kerben in unsere Seele ätzt. Aber aufgepasst: Alles muss in Flammen stehen. Wir setzen unsere Steampunk-Brillen auf, wischen uns den Schweiß von der rußverschmierten Stirn und drehen den Regler des Verstärkers bis zum Anschlag nach rechts. Jetzt gibt’s Krach. Eigentlich könnten wir uns entspannt auf dem nächsten Plüschsofa im Schein der Feuerbrunst räkeln, den organisatorischen Aufwand übernimmt sowieso wer anderer. Apokalypsen-Sound made by Winkelschleifer. Die Drinks sind im All-inclusive-Urlaub in der Unterwelt inkludiert.

Winkelschleifer bastelt mit seiner Gitarre und einigen Effektkasterln Musik, die das Ende der Welt beschwört – im letzten Moment aber nochmal den Gitarrenschwanz einzieht, weil’s eigentlich doch ganz leiwand ist, so wie’s ist. Die musikalischen Scherereien entlockt der Maestro seinem Instrument manchmal allein, in letzter Zeit aber auch mit der Band Baits. Stöpselt Maurizo Massaro, so der ziemlich coole Straßenname von Winkelschleifer, die Gitarre solo ein, brummt und keift es im Maschinenraum, als hätte man eine Horde Pitbulls mit Schmieröl abgefüllt. Weil jedes Tierleben zählt, schleift er seine Akkorde manchmal aber auch durch das Feedback der Verstärkertürme, worauf sogar der härtesten Motorrad-Gang südlich von Traiskirchen ein paar leise Fürzchen entfahren. Vor Aufregung, natürlich. Die alten Herren sind den Lärm nicht mehr gewohnt. Seit Lemmy Kilmister den Löffel in den Rockbrei getaucht hat, cruisen coole Biker aus Solidarität nur noch in schwarzen Leinenhemden durch die Gegend. Gut für sie. Die Musik von Winkelschleifer strahlt nämlich vieles aus: Tod und Finsternis zum Beispiel. Farben suchen wir hier aber vergeblich. Wer braucht schon Blau, Grün oder dieses verdammte, lebensaffirmative Orange, von dem immer alle schwafeln. Da kommt einem bei dem Gedanken daran der Rote-Rüben-Smoothie von gestern hoch. Anstatt zu würgen, tauchen wir die Farbpalette lieber in übelriechende Pest und suchen darin die »50 Shades of Grey«. Geil.

Tut sich unter Tage doch mal der Himmel auf, verabschiedet sich die Sonne gleich wieder mit einem ordentlichen Kracher. Wie das klingt, hört man sich am besten im Stück »Collaborateur/Corroborateur« an. Da stecken ganz Neugierige das Köpfchen vorsichtig aus der Erde. Am Horizont blinzelt der letzte Sonnenschein ein paar Klangwolken an. Hinter ihnen geht die Welt unter. Wir schießen ein paar Fotos, weil das irgendwie nett aussieht. Wer gräbt, beißt irgendwann auf Granit. Da ist eigentlich Schluss, aber wir wollen weiter. Deshalb ruckzuck die schweren Maschinen aus der Verpackung gepult. Winkelschleifer schwingt den Presslufthammer über seinem Kopf, rammt ihn mit ordentlich Wumms in den Beton und hämmert tiefe Löcher gegen die Dunkelheit. Ratatat. So muss das sein. Weil der ganze Zinnober ganz schön an die Substanz geht, tigern wir zwischendurch zur Saftbar. Neue Energie durch frisches Obst und grünes Gemüse. Schmeckt nach Gülle, sieht auch so aus – aber – hell yeah – es wirkt. Schließlich sind wir hier, um uns ordentlich durchschütteln zu lassen. Das geht mit den neuen Stücken von Winkelschleifer ziemlich gut. Detox on the dark side of the moon – oder so. Am Ende fließen Tränen. Irgendjemand fühlt sich bei »The Privilege of mere Existence« an seine Jugend erinnert. »Wisst ihr noch, damals, als ihr das erste Mal Twin Peaks gesehen habt?«, schreit die Gestalt, bevor sie mit den Worten »Das ist so schön, das erinnert mich voll an früher« das Licht anschaltet.

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