Franzobel © Julia Heimburger
Franzobel © Julia Heimburger

Weltuntergang live?

Kurz vor Ende der Ausgangsbeschränkungen erzählt uns Franzobel noch etwas von seinem unveränderten Alltag in Isolation, den er doch insgeheim für Selbstbetrug hält. Ein kurzer Abstecher in die Quarantäne eines Schriftstellers und warum er des Virus überdrüssig ist.

Der österreichische Schriftsteller Franzobel, der normalerweise damit beschäftigt ist, zahlreiche Romane, Theaterstücke oder Gedichte zu schreiben, macht eigentlich auch in der Quarantäne nichts anderes: Der Schriftsteller-Alltag bleibt im Großen und Ganzen wenig verändert. Jedoch schweifen die Gedanken nun vielleicht in andere Richtungen und lassen dann doch die eine oder andere Meta-Corona-Reflexion zu. Im Gespräch berichtet uns Franzobel u. a. über den Weltuntergang, Eskapismus und seine Schanigarten-Sehnsucht.

skug: Wo befindest du dich gerade in Isolation?
Franzobel: In meiner Wohnung, oft auch in der Wohnung meiner Freundin. Beide sind in Wien. Wir haben das Glück, einigen Platz zu haben, und das Pech, weder Balkon noch Garten zu besitzen.

Was ist dein »Quarantäne-Alltag«?
Der ist nicht sehr viel anders als sonst: Schreiben, Lesen, Kochen, Mittagsschläfchen, Radfahren, vielleicht noch einen Film schauen.

Wie fühlt man sich als Schriftsteller in der Isolation? Ist der Unterschied groß?
Der Unterschied ist gering, weil sich an der Tagesstruktur wenig ändert, aber da ist natürlich auch Selbstbetrug dabei. Es gibt keine Lesungen, keine Treffen mit Theaterleuten, keine Interviews, bei denen man Menschen gegenübersitzt … Und auch die Arbeit wird immer wieder abgelenkt durch Meldungen zum Virus.

Wird sich die Corona-Situation (mit all ihren Maßnahmen und Konsequenzen) auf deine Themenfindung für zukünftige Arbeiten auswirken? Wenn ja: Wieso?
Das kann ich nicht beantworten. Themen sind ja wie Beziehungen, man verliebt sich und verbringt dann viel Zeit zusammen. Ich habe aber nicht vor, über Corona zu schreiben, weil das niemand mehr interessiert, wenn es einmal vorbei ist. Ich merke ja jetzt schon eine Übersättigung an all den Corona-Tagebüchern. Die Josefstadt hat mich gefragt, ob ich ein Stück über den lieben Augustin und damit indirekt über Corona schreiben will, aber das habe ich abgelehnt, gerade jetzt interessieren mich ganz andere Themen – Konquistadoren, neue Physik, Utopien. Vielleicht ist das Eskapismus?

Und zur Realität: Wie hast du die Situation rund um Corona verfolgt?
Ich habe das bereits zum Jahreswechsel sehr genau verfolgt, weil mich schon damals die Vorgänge in China schwer irritiert haben. Dass es so heftig kommen wird, hätte ich dennoch nie gedacht. Im Februar war ich in Brasilien, am 1. März, dem Tag meines Rückflugs, gab es dort genau einen Fall, mittlerweile sind es hunderttausend oder so. Ich muss aber ergänzen, dass mein Interesse nachgelassen hat, eigentlich bin ich es schon überdrüssig.

Als Bürger: Was sind deine persönlichen Prognosen für die Gesellschaft für die nächsten Jahre?
So, wie es aussieht, werden wir auf Jahre keine Normalität mehr haben. Wirtschaftlich wird das eine Katastrophe. Massenarbeitslosigkeit, soziale Unruhen, vielleicht sogar noch Ärgeres. Wir sind in einer Art Gesundheitsdiktatur gelandet, die sich absolut und humorlos gebärdet wie eine ultraorthodoxe Religion. Die Leute werden überwacht und vernadert. Das ist alles ganz schrecklich. Manchmal kommt es mir vor, als würden wir gerade den Weltuntergang live erleben und dazu bloggen und tickern. Vielleicht werden wir aus diesem Albtraum nie aufwachen.

Als Schriftsteller: Wie, glaubst du, wird sich die Situation auf die Literaturwelt auswirken – sowohl von der Perspektive der Literat*innen als auch der Rezipient*innen von Literatur?
Wenn die Quarantäne noch lange anhält, wird es irgendwann komisch sein, von Menschen zu lesen, die sich ungezwungen treffen, umarmen, vielleicht sogar küssen. Dann müsste alles neu geschrieben werden. Sollten wir doch bald wieder einen Normalzustand erreichen, wäre kaum eine Änderung spürbar. Das Erinnerungsvermögen der Menschen tendiert ja gegen Null. Tourismuswahn, Kaufrausch, Raubbau an der Natur … alles, wo uns der Virus gebremst hat, würde wieder weitergehen wie zuvor.

Man hat ja davon gehört, wie Camus’ »Pest« anscheinend dank der Pandemie eine neue Welle an Interessent*innen bekommen hat. Welches Buch/Stück/Gedicht/etc. würdest du hinsichtlich der Lage empfehlen, zu lesen, und wieso?
Ich lese gerade »The Stand« von Stephen King – die ersten tausend Seiten gingen recht flott, nun beginnt es sich etwas zu ziehen, achthundert Seiten fehlen noch. Mein »Floß der Medusa« kann ich auch allen ans Herz legen, weil es Menschen im Ausnahmezustand zeigt. Ansonsten werde ich nicht müde, Tom Wolfe und Thomas Harlan zu empfehlen.

Hast du sonstige Empfehlungen in anderen künstlerischen Bereichen, (Musik, Film, Serien u. v. m.) die du gerade in Ausnahmezustandszeiten den Leuten ans Herz legen würdest?
Ich habe gerade nichts entdeckt, was mir so richtig die Schuhe ausgezogen hätte. Allerdings schreibe ich momentan an einem dicken Roman und bin daher nur begrenzt empfänglich. Die Bilder meiner Freundin, Ramona Schnekenburger, finde ich sehr interessant … kann man sich auf ihrer Homepage ansehen. Die Filme »The Lobster« und »Der Schacht« fand ich auch ganz inspirierend.

Wie hältst du dich selbst bei Laune?
Mit Bier und Wein, Koks und Dope, Zucker und Mayo …

Wenn die Corona-Situation nun von einem Tag auf den anderen vorbei wäre, was würdest du als erstes machen und wieso?
Ich würde in den nächsten Schanigarten gehen, mich in die Sonne setzen und ein frisch gezapftes Bier trinken. Nun kann man das eh auch so bald. Wahrscheinlich würde ich ans Meer fahren.

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